Berlinale-Jurypräsident Jeremy Irons: Der Gentleman als Hofnarr
Der Schauspieler Jeremy Irons wird Jurypräsident des Berliner Filmfestivals. Seine öffentlichen Bemerkungen sorgen oft für Befremden.
Er hat eines dieser Gesichter, die sich ins Gedächtnis einbrennen und dort ganz eigene Bilder hervorrufen. Wobei das Gesicht weniger durch seine Expressivität als durch seine beruhigende, manchmal beunruhigende Gesammeltheit auffällt. Der Schauspieler Jeremy Irons hat sich durch seine ebenmäßigen Züge und seinen wachen, melancholischen Gesichtsausdruck den Ruf des seriösen Gentleman-Darstellers mit gelegentlichen Abgründen erspielt.
Verschiedensten Filmen hat er sein mimisches Gepräge verliehen, von seiner Doppelrolle als perverses Arzt-Zwillingspaar in David Cronenbergs Psychothriller „Die Unzertrennlichen“ (1988) über seinen Auftritt als Investmentbank-CEO in J. C. Chandors Finanzkrisendrama „Der große Crash – Margin Call“ (2011) bis zu seinem Part als weltabgewandter Architekt in Ben Wheatleys düsterem Science-Fiction-Entwurf „High-Rise“ (2015). Immer very british und sehr kontrolliert.
Jeremy Irons bietet sich insofern als perfektes Gesicht für seine kommende Rolle des Jurypräsidenten der Berlinale an. Das Filmfestival hatte seine Entscheidung vergangene Woche bekannt gegeben.
Während er äußerlich anscheinend durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist, gibt sich Irons in seinen öffentlichen Äußerungen hingegen mitunter als schwer kontrollierbar zu erkennen. Was er zu Themen von der Homo-Ehe bis zur Abtreibung hat verlauten lassen, ist allemal kontrovers. Unrühmliches Highlight dürfte bisher seine Bemerkung gegenüber dem Streamingdienst HuffPost Live aus dem Jahr 2013 sein, die gleichgeschlechtliche Ehe könnte dazu führen, dass Väter ihre Söhne heirateten, um die Erbschaftsteuer zu umgehen. Irons hat diesen Satz später bedauert.
Zwischen allen Stühlen
An Statements wie diesen merkt man: Irons macht sich seine eigenen Gedanken. Er macht sich aber anscheinend weniger Gedanken darüber, welche Wirkung das Kundtun derselben gegenüber den Medien hat. Oder es stört ihn nicht weiter, wenn er damit aneckt. Soziale Medien nutzt er übrigens nicht. In seinem Fall wohl eine vernünftige Entscheidung.
Ganz so krude wie seine steuerpolitischen Bedenken gegen die Zivilrechtsreform zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare fällt nicht jede seiner Skandalaussagen aus. Dem Guardian etwa sagte er zur Frage der Abtreibung: „Ich finde, dass Frauen diese Entscheidung treffen dürfen sollen, doch ich glaube auch, dass die Kirche recht hat, wenn sie Abtreibung eine Sünde nennt. Denn Sünden sind Taten, die uns verletzen. Lügen verletzt uns. Abtreibung verletzt eine Frau – es ist ein heftiger mentaler, manchmal auch körperlicher Angriff.“
Damit setzt er sich in nicht ganz leicht zu ertragender Ambivalenz zwischen alle Stühle. Einerseits stößt er Befürworter des Abtreibungsrechts vor den Kopf, die sich der etwaigen Folgen eines Abbruchs durchaus bewusst sind und die Brandmarkung als Sünde nicht nötig hätten. Andererseits kann die katholische Kirche kaum glücklich darüber sein, von Irons auf eine bloße Gewissensinstanz reduziert zu werden – rechtlich befürwortet sie die Abtreibung, anders als Irons selbst, ja keineswegs.
#MeToo und Männerhände
Man muss den Schauspieler nicht für seine Ansichten verteidigen. Ihn wegen dieser Ausfälle rundheraus abzulehnen wäre genauso abwegig. Man darf daher gespannt sein, wie sich Irons in seiner Funktion als Jurypräsident der Berlinale äußern wird, insbesondere zu Fragen wie #MeToo, bei dem das Filmfestival eine klare Haltung vertritt. Irons ist da weniger eindeutig, meinte – im Jahr 2011 wohlgemerkt – schon mal, dass ein Klaps einer Männerhand auf den Po einer Frau nicht zwangsläufig vor Gericht enden müsse.
Doch dann ist da wieder der Jeremy Irons, der 1991 bei den Tony Awards als einer der ersten Prominenten öffentlich mit der damals neuen Roten Schleife seine Solidarität mit HIV-Infizierten bekundete. Und im Sommer 2019 zeigte er sich solidarisch mit dem unabhängigen römischen Filmfestival Cinema America, dessen Publikum von Rechten attackiert worden war: Vier junge Zuschauer, die das T-Shirt des Festivals bei einer Vorführung trugen, waren nach dem Film von Rechtsextremen verfolgt und brutal verprügelt worden. Irons, der als Gast beim Festival einen Film vorstellte, trat danach seinerseits im Festival-T-Shirt auf die Bühne und verurteilte die Tat.
Man wird ihn nicht so leicht einsortieren können. Das ist gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!