Prozess gegen SS-Wachmann: Zeuge zieht sich zurück
Im Hamburger Prozess gegen einen SS-Wachmann im Konzentrationslager bei Danzig hat ein zweifelhafter Zeuge seine Nebenklage zurückgezogen.
Die Vorsitzende Richterin der Jugendstrafkammer, Anne Meier-Göring, begrüßte diese Entscheidung. Der Nebenklagevertreter habe damit dem Gericht vorgegriffen. Denn die Kammer hatte nach einem Bericht des Magazins Der Spiegel die Glaubwürdigkeit des 76-jährigen Loth prüfen lassen und war zu dem Schluss gekommen, dass die Angaben des Zeugen und Nebenklägers über sein Leben zumindest teilweise nicht stimmen können.
So hatte Loth behauptet, er sei als Säugling mit seiner jüdischstämmigen Mutter im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig interniert gewesen und habe dort, wie auch seine Mutter, eine Häftlingsnummer eintätowiert bekommen. Zum Schluss seiner Aussage hatte er erklärt, er vergebe dem heute 93-jährigen Angeklagten Bruno D. und hatte ihn unter Tränen umarmt.
Aber: Nur im Konzentrationslager Auschwitz wurde den Häftlingen eine Nummer eintätowiert. Als „zusätzliche Demütigung“, sagte Meier-Göring. Außerdem hatte Der Spiegel bereits Ende Dezember belegen können, dass Loth nicht, wie er es zunächst dargestellt hatte, im KZ Stutthof geboren wurde, und auch nicht aus einer jüdischen Familie komme. Er stammt vielmehr aus einer evangelischen Familie. Sein Großvater war bei der Waffen-SS.
Zeuge „nicht besonders glaubwürdig“
Die Zulassung des Zeugen und Nebenklägers Loth war, so führte Meier-Göring am Montag aus, allein wegen der Aktenlage gefallen. Nach seiner persönlichen Aussage erschien die Biografie des in den USA lebenden Loth dann allerdings „nicht besonders glaubwürdig“, so die Richterin. „Wir hatten in der Hauptverhandlung sogleich den Eindruck, dass man sich auf diese Zeugen nicht werde stützen können.“
Nebenklagevertreter Cornelius Nestler, der die KZ-Stutthof-Überlebende Judith Meisel vertritt, sagte, ihm sei bereits nach einer kurzen Internetrecherche klar geworden, wie abwegig die Darstellung von Loth sei. Es sei erschreckend, dass die Anwälte „das nicht gesehen“ haben. Er befürchtet, andere Gerichte könnten in ähnlichen Verfahren den Nebenklägern nun weniger vertrauen und sie, wenn „sie nur ihre eigene Geschichte erzählen könnten“, nicht mehr als Nebenkläger zulassen.
Diese Sorge wies Meier-Göring am Montag zurück. Man wisse, dass die Nationalsozialisten viele Dokumente vernichtet hätten. Um den Opfern gerecht zu werden, sei es daher nötig, ihnen zu vertrauen. Denn es sei oft unmöglich, Papiere oder Unterlagen als Belege anzubringen. Mit diesem Hinweis leitete Meier-Göring zum historischen Sachverständigen Stefan Hördler über.
Stefan Hördler, Historiker und Sachverständiger
Bereits am 12. Verhandlungstag hatte der Historiker, der schon bei mehreren anderen Verfahren über die Wehrmachts- und SS-Strukturen dabei war, ausgeführt, dass auch der Angeklagte nicht die Wahrheit gesagt hatte. So hatte D. ausgesagt, er habe den Wachdienst im Konzentrationslager Stutthof nicht verlassen können, nachdem er von der Wehrmacht zur SS überstellt worden war: „Mir drohte wohl das Strafbataillon.“ Das sei falsch, sagte Hördler. „Auch im KZ Stutthof bestand jederzeit die Möglichkeit, zu wechseln, sich in eine andere Einheit versetzen zu lassen.“
Versetzungen waren möglich
Hördler legte am Montag dar, dass zum KZ-Wachdienst abkommandierte Soldaten, wie der Angeklagte, einen Antrag auf Rückversetzung in die Truppe stellen konnten. „Bis zum 1. September 1944 war eine mögliche Rückversetzung zur Wehrmacht leicht“, sagte Hördler. „Und danach auch grundsätzlich möglich.“ Als ein Beispiel führte er einen Wehrmachtsoldaten an, der in Neuengamme bei der SS war. Es habe also Versetzungen in eine andere Truppe gegeben hatte. Das wäre auch für Bruno D. möglich gewesen.
Bruno D. soll im KZ Stutthof zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Gefangenen zu verhindern. Der Prozess findet vor einer Jugendkammer statt, weil der Beschuldigte zur Tatzeit 18 Jahre alt war. Der Prozess wird am 17. Januar fortgesetzt.
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