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Neue Aussage im Fall Lübcke„Weiß nicht, wie er dazu kommt“

Der Tatverdächtige für den Lübcke-Mord bezichtigt einen Mitbeschuldigten der Tat – und erhebt Vorwürfe gegen seinen früheren Anwalt.

Lässt Fragen offen: Stephan Ernst, hier nach einem Haftprüfungstermin im Juli 2019 Foto: Uli Deck/dpa

BERLIN/KASSEL taz | Nach der erneuten Aussage von Stephan Ernst, dem Tatverdächtigen im Mordfall Walter Lübcke, geht der frühere Anwalt des Rechtsextremisten ­gegen seinen einstigen Mandanten vor. „Ich werde Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung stellen“, sagte Dirk Waldschmidt der taz. Zudem werde er eine Klage auf Unterlassung gegen Ernst einreichen. „Seine Behauptungen sind unwahr.“

Ernst hatte am Mittwoch in einer erneuten Befragung eine neue Tatversion des Lübcke-Mordes präsentiert. Nicht er, sondern der Mitbeschuldigte Markus H. habe den Kasseler Regierungspräsidenten in der Nacht zum 2. Juni 2019 vor dessen Haus erschossen. Gemeinsam sei man damals zu Lübckes Anwesen gefahren, um dem CDU-Mann eine „Abreibung“ zu verpassen. Als Lübcke nach einem Streit auf der Terrasse Hilfe holen wollte, habe sich „versehentlich“ ein Schuss aus dem mitgebrachten Revolver gelöst. Geschossen habe aber nicht Ernst, sondern Markus H. So schilderte es Ernsts Anwalt Frank Hannig am Mittwochabend auf einer Pressekonferenz.

Ernst war zwei Wochen nach der Tat festgenommen worden, aufgrund einer am Tatort gefundenen DNA-Spur. Er gestand den Mord: Er habe Lübcke wegen dessen Kritik an Geflüchtetengegnern 2015 erschossen. Der 45-Jährige führte die Ermittler auch zur Tatwaffe in einem Erddepot und benannte zwei Waffenvermittler: Markus H., ebenfalls ein Kasseler Rechtsextremist, und Elmar J., ein 64-Jähriger aus NRW. Dann zog Ernst das Geständnis zurück.

Geständnis gegen finanzielle Zuwendungen?

Nun die erneute Wende. Auf die Frage, warum Ernst die Tat zunächst gestanden habe, sagte Hannig, dies sei auf Anraten seines früheren Anwalts Waldschmidt geschehen. Es habe die Ansage gegeben, Markus H. außen vor zu lassen. Ernst habe sich damit den Schutz seiner Familie und finanzielle Unterstützung versprochen.

Waldschmidt, ein rechter Szeneanwalt, der Ernst nur zwei Wochen vertrat, weist das zurück. „Ich weiß nicht, wie er zu solchen Aussagen kommt.“ Er selbst sei damals von Ernsts Geständnis überrumpelt worden, habe davon aus dem Radio erfahren. Nun versuche Ernst offenbar so viel Schuld wie möglich auf andere zu schieben, so Waldschmidt.

Hannig wollte sich am Donnerstag zu der Strafanzeige und Unterlassungsklage von Waldschmidt nicht äußern. Er hatte die neue Aussage damit angekündigt, dass Ernst nun „die Wahrheit über die Tatnacht ans Tageslicht bringen“ werde.

„Ständig neue Versionen“

Auch der Anwalt von Markus H. zieht diese Aussage indes in Zweifel. „Jeder Beobachter kann sich selbst die Frage stellen, wie glaubwürdig jemand ist, der ständig mit neuen Versionen eines Geschehens aufwartet, zu dem er ursprünglich ein vollständiges Geständnis abgelegt hat“, sagte Björn Clemens. Vor dem Bundesgerichtshof hatte er bestritten, dass H. überhaupt nur vom Mordplan wusste. Zwar hätten sich beide Männer gut gekannt und Ernst eine Aktion angedeutet. H. habe aber gedacht, es gehe um etwas wie das Beschmieren einer Hauswand.

Markus H. ist, genau wie Elmar J., seit Ende Juni in Haft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen wegen der Vermittlung der Tatwaffe Beihilfe zum Mord vor. Die neue Ernst-Aussage wird dort nicht kommentiert. Die Ermittler prüften aber schon früh, ob weitere Täter am Tatort waren. Nach taz-Informationen fanden sich dafür bisher keine Hinweise oder DNA-Spuren.

Bundestag tagt kommende Woche zum Fall

Und tatsächlich stellen sich einige Fragen. Wenn Ernsts neue Version stimmt, warum nannte er den Ermittlern überhaupt Markus H.? Und warum sollen beide Männer mit geladenem Revolver die Aussprache mit Lübcke gesucht haben? Warum trafen die geübten Schützen den CDU-Mann „versehentlich“ direkt in den Kopf? Und was für Anreize konkret soll Ernst für ein Geständnis bekommen haben, das ihn lebenslang hinter Gitter bringen könnte?

Die neue Einlassung beschäftigt derweil auch die Politik. Die FDP forderte eine Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestags. Innenexperte Benjamin Strasser nannte die Aussage „brisant“. Es gehe bei dem Mord nun um eine rechtsextreme Gruppe. Bei der Bundesanwaltschaft müsse „noch mal alles auf links gedreht werden“.

Der Innenausschuss wird sich aber ohnehin kommende Woche mit dem Mordfall Lübcke beschäftigen. „Eine Sondersitzung ist weder nötig noch sinnvoll“, sagte die Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) der taz. Die Behörden bräuchten erst mal Zeit, um die neue Aussage auszuwerten. „Seriöse Sacharbeit ist gefragt und kein medialer Aktionismus einzelner Abgeordneter.“ Der Ausschuss verfolge jede Entwicklung in diesem Mordfall sehr genau.

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