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Hanseaten vom Mars

Persönliche Einkreisung der Szene: Der Hamburger Musiker Knarf Rellöm hat ein Buch geschrieben – über die Hamburger Schule und voller eigener Songtexte

Von Jan-Paul Koopmann

Knarf Rellöm hat ein Buch geschrieben. Und das fängt bereits mit der ungeheuerlichen Möglichkeit an, dass es eventuell hier oder da Menschen gibt, die nicht so ganz genau wissen, wer dieser Rellöm sein soll. Diese erste kurze Geschichte spielt in den 90ern und geht so: Elvis Costello gibt schon heute Abend ein Konzert in Hamburg und Rellöm soll kurzfristig den Support machen, weil (und das ist wichtig) Die Sterne keine Zeit haben und Tocotronic auf Tour sind.

Tatsächlich ist in „Wir müssen die Vergangenheit endlich Hitler uns lassen“ viel von der Hamburger Schule die Schule. Gleich zweimal kommt die Beobachtung vor, dass die Songzeile „Freunde, ich hab Freunde und die lassen mich niemals allein“ sehr anders wirkt, wenn Tocotronic sie anstelle von Rocko Schamoni singt: trauriger nämlich und gleichzeitig wütend. Um solche dezenten Spannungen geht es, was gerade nicht wahnsinnige Breite meint, sondern eine persönliche und enge Einkreisung der Hanseaten-Avantgarde von DJ Koze bis zu Die Goldenen Zitronen.

Wer die nicht kennt, wird sich wahrscheinlich auch mit dem Buch schwertun. Für alle anderen ist es wunderschön, auch wenn weite Teile nicht neu sind: Es sind diverse Songtexte von Rellöms wechselnden Bandprojekten (Die Zukunft, Umherschweifende Produzenten, A Tribe Called Knarf) abgedruckt – und Erzählstücke, die so auch schon mal in der Testcard standen, oder in dem Lesebuch „This Book is Tocotronic“ (Leander Verlag, 2013).

Cut-up mit Fernbedienung

Interessant ist jedenfalls, wie die Lyrics gelesen noch mal ganz neue Qualitäten entwickeln und stimmig aufgehen im Konvolut so unterschiedlicher Textformen und -verständnisse. Es sind auch Cut-up-Experimente dazwischen: Knarf Rellöm sitzt mit der Fernbedienung auf dem Sofa und zappt so lange, bis ihm der nächste interessante Satz für seinen Text unterkommt. Und die Sache mit der Urheberschaft: „Wir müssen die Vergangenheit Hitler uns lassen“ erinnert schon auf dem Textmontage-Cover daran, dass die Idee nicht neu ist, das Titelblatt damit vollzuschreiben, was ein Cover ist. Sie kommt von der englischen Band XTC, die ihr Album „Go 2“ mit so einem Erklärtext übers Bewerben beworben hat.

Folgerichtig ist auch die Selbstverständlichkeit, in einem Buch voller Songtexte auch eine Coverversion aufzuführen: „Der Krieg-Song“ der Goldenen Zitronen nämlich. Okay, Rellöm hat ein „La“ mehr im Refrain und auch sonst geht er unwesentlich anders. Trotzdem ist wohl das Covern selbst die Geschichte – und damit die Verortung im kollektiven Werk einer Szene.

Und das ist doch schön, wo Rellöm sich sonst so schwertut mit Ortsbestimmungen: „Ihr meint, wir wären aus Hamburg / Nein, das sind wir nicht / Wir sind auch nicht aus Deutschland / Nein ,wir sind vom Mars“, dichtet er, während Rocko Schamoni im Klappentext nachschärft: „Knarf Rellöm ist mein liebster europäischer Künstler aus Hamburg.“

Knarf Rellöm: „Wir müssen endlich die Vergangenheit Hitler uns lassen“, Ventil Verlag 2019, 152 S., 15 Euro

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