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Wer wird Kulturhauptstadt Europas?Die europäische Dimension der Rübe

Zwei norddeutsche Städte stehen auf der Shortlist für die Kulturhauptstadt 2025: Hannover und Hildesheim. Wie haben sie das geschafft?

Altes Kulturgut: Herrenhäuser Gärten in Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Braunschweig taz | Die Spannung war fast ein wenig wie bei der Oskar-Verleihung: Am 12. 12. um 13.30 Uhr startete die Verkündung des engeren Bewerbungsfeldes für die Europäische Kulturhauptstadt 2025 in der Landesvertretung der Freien und Hansestadt Hamburg in Berlin. Nach den strengen Regularien wird es turnusmäßig wieder eine Stadt in Deutschland sein (neben einer slowenischen).

Erst ein paar schöne Reden, in denen aber immerhin das bisherige Procedere und die Kriterien rekapituliert wurden, die alle Bewerber zu erfüllen hatten. In diesem Fall waren es ja acht Städte: Chemnitz, Dresden, Gera, Hannover, Hildesheim, Magdeburg, Nürnberg und Zittau.

Also: Seit 1985 wird der Titel Europäische Kulturhauptstadt von der EU verliehen, in Deutschland hatten 1988 Berlin, 1999 Weimar und 2010 Essen mit der Region Rhein-Ruhr bereits die Ehre. Mit sechs Jahren Vorlaufzeit muss der ausrichtende Staat ein nationales Auswahlverfahren durchführen. Das Ergebnis wird in mehreren Runden juriert, vier Jahre vor Beginn soll der Europäische Rat seine Nominierung treffen.

Im September 2018 eröffnete die Kulturstiftung der Länder, die im Auftrag der Kultusministerkonferenz die Auswahl durchführt, mit einem Call for Submission das Rennen, im Oktober folgte ein Workshop der ernsthafteren Aspiranten. Am 30. September dieses Jahres mussten dann die Bewerbungsschriften, die sogenannten Bid Books, in Berlin eingereicht werden, die auf 60 Seiten ein detailliertes und begutachtungsfähiges Kulturkonzept, explizit also kein „buntes Festival“, umreißen mussten.

Die Konzepte müssen detailliert sein, also explizit kein buntes Festival

Die Bewerbungen wurden von einer 12-köpfigen europäischen Jury, die am 10. und 11. Dezember in Berlin beriet, intern geprüft. Den Delegationen der Städte wurde nochmals die Möglichkeit der Präsentation geboten, sie mussten sich aber auch kritischen Fragen stellten.

Abgeklopft wurden sechs Punkte: Ist die Bewerbung ein Beitrag zu einer langfristigen Kulturentwicklungsplanung der Stadt? Wie steht es um die europäische Dimension des geplanten Kulturhauptstadt-Programms, ihre Stimmigkeit und künstlerische Qualität? Wie um die Umsetzungsfähigkeit eines ganzjährigen Programms in der Bewerberstadt, ihre Strukturen zur Durchführung und last but not least: die Erreichung und Einbindung der Bürger?

Die Österreicherin Sylvia Amann, Expertin für EU-Kulturpolitik und Vorsitzende der Jury, fand warme Worte für alle Bewerber, die durch eine hohe künstlerische und konzeptionelle Qualität überzeugt hätten, und vor allem durch ihre hohe Zahl: ein wahrhaftes Bekenntnis zu Europa.

Gewonnen hätten ohnehin alle, wenn sie die angeschobenen Prozesse und Ideen nun weiterverfolgten. Aber: „Als Jury mussten wir eine Entscheidung treffen, die zugunsten von Magdeburg, Hannover, Nürnberg, Chemnitz und Hildesheim gefallen ist.“ Dresden, Gera und Zittau sind somit raus, der Norden jubelt gleich mit zwei Kandidaten!

Hannover überzeugte also mit seiner Bewerbung in Romanform, die den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz und den Universalkünstler Kurt Schwitters durch die Stadt wandeln und sie über die zwangsläufige Relevanz der Leinemetropole für Europa und den Titel räsonieren ließ. Und steht mit dessen Aufforderung „Vorwärts nach weit“ seit 1920 ja quasi in den Startlöchern für Größeres.

Hildesheim entdeckte in einem „Workshop der Verrückten“, so Bewerbungsleiter Thomas Harling, die Zuckerrübe, sieht in dieser hässlich runzligen Agrarfrucht die Region widergespiegelt, die tatkräftig die Bewerbung unterstützte. Aber auch großes metaphorisches Potenzial: die organische, geradezu magische Synthese zu etwas Wertvollerem, die Themen wie Zukunft, Umwelt und Ökonomie ganz essenziell einbezieht.

Chemnitz hatte 200 Menschen an der Bewerbungsschrift werkeln lassen, immerhin: Die Einbindung der Bürger scheint in dieser von negativen Schlagzeilen so arg gebeutelten Stadt ja aufs Demonstrativste geglückt.

Angeblich 1.000 Jahre alt: der Rosenstock an der Apsis des Hildesheimer Doms Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Magdeburg ging mit dem ungarischen Literaturwissenschaftler Tamás Szalay in die Bütt, er hat das Städtchen Pécs bereits erfolgreich zur Kulturhauptstadt geführt. Nur Nürnberg blieb mit zwei Professor*innen auf dem Siegerpodest blass.

Hannover und Hildesheim müssen nun ihre Bewerbung bis zum 31. Juli 2020 in einem weiteren, dann 100-seitigen Bid Book substanziieren, bevor im Herbst eine Jury die Städte bereist und zum Jahresende die finale Entscheidung fällt. Vielleicht sollte Hildesheim eine weitere Synthese wagen, und sich mit Hannover zusammentun? Schwitters hätte zur Zuckerrübe sicherlich auch was Passendes parat.

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1 Kommentar

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  • Bin ich Lokalpatriot? Der beste Humor ist, wenn Magdeburg Kulturhauptstadt wird. Dafür sollten alle Ländertickets dann für ein Jahr bis nach Magdeburg reichen. So kommen mehr Gäste aus den Nachbarländern. Magdeburg hat viel zu zeigen, die Elbe, das Hundertwasserhaus und das Erlebnismuseum Phäno in Wolfsburg könnte so auch erreicht werden. Bruno Taut hat einst die Stadthalle gebaut. Mutige fahren auch bis nach Reform um sich über das Bauen in der DDR zu informieren. Im Sommer ist der Mückenwirt an der Elbe ein Tipp. Früher war Magdeburg die Werkbank von Dortmund und Berlin und hatte viele Versicherungen und Banken. Man kann im Café sitzen und viel darüber lesen. Leider ist Magdeburg bei Hostels eine Sechsminus und die Jugendherberge völlig überteuert. Das kleine InterCity Hotel ist noch relativ günstig und auch das Maritim macht faire Preise. Meine Kinder sind in Magdeburg geboren, das nimmt mich für Magdeburg ein, aber wirklich, was bringt die Kulturhauptstadt nach Magdeburg? Es gibt im Stasi-Knast eine Gedenkstätte. Im wesentlichen ist es die schöne Elbe, die lockt, bei Schönebeck ist sie breit wie der Missesippi. General Steinen kam aus Magdeburg. In Magdeburg trafen sich Rote Armee und US Army auch. Es hatte früher viel Rüstungsindustrie und auch die Abteilung Fremde Heere Ost des RSHA war in Magdeburg angesiedelt. Die Stadt wurde daher sehr bombardiert, den Rest erledigte der Sozialismus. Eigentlich gibt es die Stadt nicht mehr, sondern nur die Erinnerung an sie, doch so erging es Stalingrad und Seoul auch. Magdeburg ist vielleicht ein Experiment. Um Kulturhauptstadt zu werden genügt das vielleicht. Die Stadt setzt sehr auf Zuzug aus aller Welt, ist auch bei Osteuropäern beliebt. Macht das Chancen? Hannover sieht auch nicht schlechter aus und hat sogar einen Airport.