: Abschied des Theater-helden
Intendant Ulrich Mokrusch hat Bremerhaven auf Deutschlands Theaterlandkarte verankert – und ohne städtisches Geld eine Jugendsparte gegründet. Jetzt wechselt er nach Osnabrück
VonBenno Schirrmeister
Für Bremerhaven ist das ein herber Schlag: Intendant Ulrich Mokrusch wechselt nach elf Jahren als künstlerischer Leiter des Stadttheaters 2021 nach Osnabrück. Dort hat Ralf Waldschmidt, unter Klaus Pierwoß einst Chefdramaturg in Bremen, seinen Vertrag nicht verlängern wollen. Es heißt, er mochte sich den anstehenden Umbau der Spielstätten nebst den ständigen Querelen um die Ko-Finanzierung durchs Land nicht zumuten.
Kunst braucht Veränderung, Künstler auch, schon klar: Was Neues ausprobieren, das ist verständlich, auch wenn der Wechsel eher ein Karriereschritt als ein Sprung ist: Vom Etat her haben die Städtischen Bühnen in Osnabrück gerade mal eine Schippe mehr. Und vom Renommee ist man locker auf Augenhöhe, obwohl Osnabrück dank ICE-Verbindung für Großkritiker erreichbar ist. Die bekommt Bremerhaven jetzt auch. Tatsächlich aber ist es bereits ohne unter Mokruschs Führung gelungen, die Stadt auf der Theaterlandkarte Deutschlands zu etablieren. Die Wirtschaftswoche sieht es derzeit sogar unter den Top Ten der 73 ausgewerteten Großstädte. Dass Bremerhaven in Kulturrankings besser abschneidet als Bremen, kommt so oft nicht vor.
Die Hochwertigkeit seiner Theaterarbeit ist Mokruschs Haus immer wieder bescheinigt worden, seit es in der Kritikerumfrage 2011 zum „besten Theater abseits der Zentren“ gekürt worden war. Die letzte der zahlreichen Auszeichnungen war dann vergangenes Jahr eine Nominierung für den International Opera Award für die Wiederentdeckung von Phyllis Tates’Jack-The-Ripper-Oper „The Lodger/Der Untermieter“ aus dem Jahr 1960. Internationale Wahrnehmung – das hatte es seit Gründung des Theater 1911 nicht gegeben.
Aber es war verdient, genauso wie 2015 der Deutsche Theaterpreis: Denn ja, die trauen sich was in Bremerhaven, gerade in der kostspieligen Musiktheatersparte, Zeitgenössisches und viel 20. Jahrhundert, und „das hat auch beim Publikum funktioniert“, sagt Mokrusch, der bei den Entdeckungen und Uraufführungen oft genug selbst Regie geführt hat. „Das ist tatsächlich meine Passion“, sagt er. „Das Kernrepertoire zu inszenieren interessiert mich nicht.“
Wichtiger noch war ihm aber die Öffnung des Theaters in die Stadt. „Das haben wir hier wirklich exzessiv getan“, sagt er. Indem man an Orte gegangen ist, an die sich auch ein Publikum ohne Premierenanrecht verirrt, sei es „zu Begegnungen“ gekommen, sagt Mokrusch. „Und auch dem Stammpublikum hilft ein ungewöhnlicher Spielort manchmal, sich für neue Formen zu öffnen.“ Noch weiter geht Mokruschs zweite große Tat. Als er 2010 nach Bremerhaven kam, hatte das Stadttheater drei Sparten. Jetzt sind es vier.
„Dass es gelungen ist, das Kinder- und Jugend-Theater zu etablieren, mit eigener Spielstätte und Personal“, so Mokrusch, „darauf bin ich stolz“. Vier TheaterpädagogInnen hat man – doppelt so viele wie Bremen – und fast alle Schulen kooperieren, „das wirkt auch stark in die Stadt hinein“. Deren soziale Nöte sind bekannt: In Bremerhaven sind fast 40 Prozent der Kinder auf Hartz IV angewiesen. Nirgends ist Jugendtheater wichtiger als hier. Gelungen sei der Aufbau „mit Unternehmen von hier: die Stadt hatte keine Möglichkeit gesehen, das zu finanzieren. Und jetzt ist es nicht mehr wegzudenken – und wird auch meinem Fortgang überdauern“, verspricht Mokrusch.
In der Stadt weiß man, was man an ihm hat, logisch: Erst im Januar hatte man ihm den Vertrag um fünf Jahre verlängert, bis 2024. Jetzt teilt Kultusdezernent Michael Frost mit, dass der Abgang nach der nächsten Spielzeit „für die Theaterentwicklung in unserer Stadt eine Zäsur“ bedeute, was unterkühlter klingt, als es gemeint ist. Die Vorbereitung für die Neu-Ausschreibung laufe bereits. „Ich möchte das Verfahren möglichst bald nach dem Jahreswechsel eröffnen“, so Frost zur taz.
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