Die Wahrheit: Operation Kreditkarte

Wie ich einmal restalkoholisiert, mit leicht verquollenen Äuglein und einem Furz im Bauch bei meinem Bankdirektor vorstellig wurde.

Illustration: Miriam Wurster

Es ist nun schon zum wiederholten Mal derselbe Mist. Ich miete über ein Portal ein Auto für den Urlaub und bemerke erst danach im Kleingedruckten, dass mein Kreditkartenlimit nicht für die Kaution ausreicht.

Ich besitze nämlich nur so eine Art Kinderkreditkarte, ähnlich einer dieser Kinderfahrkarten zum Ausmalen, die die Kleinen im Zug bekommen, damit sie „perfekt mit Mama und Papa die Ticketkontrolle nachspielen“ können. „(Diese ist natürlich kein offizielles Reisedokument!)“ warnt die DB scherzhaft und in Klammern. Muss man ja immer dazusagen bei den doofen Kunden.

In Schönschrift darf das Kind seinen Namen sowie Start und Ziel der Reise eintragen, dann gibt es im Bordbistro auch kleine Geschenke wie die „miniLOK“ oder „eine Sammel-Spielfigur vom kleinen ICE und seinen Freunden“. Wer auch immer die sind: das verträumte Verspätinchen, die kesse Susi Signalstörung und der freche kleine Rudi Rettungseinsatz in ihrem neuesten Abenteuer, „durchs verwunschene Tal in umgekehrter Wagenreihung“?

Ich wiederum könnte zwar mit Mama und Papa perfekt das Blockieren einer Kautionssumme mit der Kinderkreditkarte nachspielen; die aber ist natürlich kein offizielles Liquiditätsdokument. Und ein Geschenk bekomme ich auch nicht. Weder Sparschwein, Knax-Heft noch Sumsi-Stofftier. Zum einen bin ich schon älter als zwölf, und zum anderen bin ich bei der Commerzbank. Die machen keine Geschenke.

Ich empfinde die Situation als demütigend. Mama und Papa sollen mit ihren 168 Jahren gar nichts davon wissen, dass ihr Sohn im gnädigen Dämmerlicht seiner allerletzten Lebenshälfte noch immer nicht kreditwürdig ist. Ich habe keinen Baum gepflanzt, kein Haus gebaut, kein Kind gezeugt, kein Geld verdient. Ich bin kein frommer Soldat der Leistungsgesellschaft.

Aber wie denn auch? Die bösen Buben in der Schule hatten mir schon zu Beginn der ersten Klasse das Federmäppchen weggenommen und stachen mir fortan bis zum Abi nonstop von hinten mit dem Zirkel in den Po. Wie soll man sich da konzentrieren? Außer Lesen und Schreiben habe ich praktisch nichts gelernt. Ich bin nur eine coole Socke mit Löchern drin.

Bankboss am Schreibtisch

„Weiche Lohnfaktoren“ haben für mich sehr an Bedeutung gewonnen: Da auf Lesebühnen die Freigetränke längst den Eintrittserlös übersteigen, sitze ich am Mittwochvormittag mit leicht verquollenen Äuglein dem Bankboss an dessen Schreibtisch gegenüber. Ich bin gekommen, um endlich ein Karten­limit für Erwachsene auszuhandeln.

Seriöse Argumente führe ich nicht im Gepäck. Wahrscheinlich sehe ich eher nach der Frage aus: „Alter, haste mal ’nen Verfügungsrahmen von zweitausend Euro? Oder ’ne Kippe? Oder vielleicht was zu essen?“ Es fehlen nur noch die Schürfwunden in Folge unkontrollierter Stürze im Gesicht.

Trotzdem hat er mich bis in sein Allerheiligstes vorgelassen. Privatbilder und FC-Bayern-Becher. Hier stellt sich nun heraus, dass ich bei ihnen noch als Student gelistet bin, und – zumindest das entspricht der Realität – auch keine regelmäßigen Einkünfte nachweisen kann. Eigentlich, so der Filialleiter erstaunt, gehörte ich als Selbstständiger schon lange in den Geschäftskundenbereich. Aber ich wollte ja nie was von denen; seit dreißig Jahren habe ich nicht Piep gemacht. Deshalb bin ich unauffällig immer weiter nach unten durchgerutscht, eine verborgene Assel im dunkelsten Kellerwinkel des Systems.

„Richtig, Herr Bankdirektor – ich bin ja freiberuflich.“ Ich lache ein wenig zu laut, zu spitz und zu restalkoholisiert. Um „frei“ und „beruflich“ herum habe ich je zwei Paar Gänsefüßchen in die Luft gemalt, um dem Bankchef ironisch anzuzeigen, dass ich weder ihn noch mich über meine tatsächlichen Verhältnisse hinwegzutäuschen gedächte. Immer schön ehrlich sein, gerade zu Bankern, die kennen das ja nicht anders.

Er würde einmal sehen, was sich machen ließe, murmelt er. Seine flinken Äuglein huschen, zum Monitor gewandt, von links nach rechts, von oben nach unten durch die dürren Daten und suchen nach Argumenten für den treuen Kunden. Das ist nett. Kann aber auch sein, dass er froh ist, wenn ich bald verschwunden bin und er den Raum auslüften kann.

Das Stillsitzen behagt mir nicht. „Geld ist nicht alles.“ Erneut scheppert aus mir diese falsche Ausgelassenheit, für die ich mich im selben Moment schon wieder hasse. Es gibt keinen Grund für gute Laune, und ich habe auch keine. Doch im Handumdrehen verwandle ich meine innere Leere in gequirlte Scheiße: „Aber vielleicht fange ich ja mit Singen an. Wie Leonard Cohen, nachdem er mit dem Schreiben nichts gerissen hat. Und auch Picasso, als ihm die Kaninchennummer … ach, egal, lassen wir das. Was meinen Sie, Herr Ackermann? Hm?

Mein Konzept scheint ihn zu überzeugen, denn er klemmt sich hinter den Telefonhörer, um „auf dem kurzen Dienstweg einen alten Freund“ in der Geschäftskundenabteilung anzurufen. Als Auszubildende haben sie einst Stricke an griechische Rentner verschickt, die einzige Ausnahme ever von der restriktiven Präsentpolitik des Instituts. Der eine hat sie gerollt, der andere verpackt. Das schweißt zusammen.

Eisbärenkalender an der Wand

„Ja, hallo, hier XY Dingenskirchen, Filiale Sesamstraße.“ Er bekommt den Kameraden offenbar gleich an die Strippe. „Wir haben hier einen ‚Herrn‘, der …“ Ich höre gar nicht weiter zu. Entweder die lassen sich darauf ein, oder eben nicht. Ich kann daran eh nichts ändern. Ich bin ein kleiner Fisch. Meine Referenzen liegen auf dem Tisch. Mit den Fingern trommle ich einen flotten Rhythmus auf die Platte, während ich zum wiederholten Mal den Eisbärenkalender an der Wand hinter seinem Schreibtisch mustere. Eisbären, Scheißbären. Gelangweilt ziehe ich das an der Seite stehende Foto seiner Frau zu mir heran und imitiere alberne Kussgeräusche. Furzen muss ich auch. Ich kann geradezu riechen, wie die „Operation Erwachsenenkreditkarte“ in ihre alles entscheidende Phase tritt.

Deshalb passe ich nun ausnahmsweise doch mal wieder auf. „Ja, ist gut“, höre ich die Führungskraft sagen. „Dann können wir das so machen“, er setzt eine kurze Pause, „solang nicht alle Stricke reißen.“ Beide lachen. Das scheint so etwas wie ihr Running Gag zu sein.

Er legt auf und wendet sich mir zu. Aufgeregt kipple ich auf meinem Stuhl. „Geht in Ordnung“, sagt er. „Wir haben den Rahmen jetzt auf Zwotausend erhöht. Gilt ab sofort.“

„Hurra!“ Ich trample im Sitzen auf der Stelle und klatsche fest in beide Hände. Ich fühle mich wie ein König: eine richtige Kreditkarte! „Danke, Herr Bankdirektor“, sage ich mit fester Stimme, „ich werde Sie nicht enttäuschen!“ Ich bin so froh. Geld ist nämlich doch alles. Mama und Papa werden stolz auf mich sein.

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