Inside Fridays for Future: Wie organisiert man die Bewegung?

Die wohl größte deutsche Jugendbewegung wächst und wächst. Gleichzeitig halten viele den Protest für ausgereizt – und zanken um die Frontfrauen.

SchülerInnen sitzen an einem Tisch und lachen

Wird hier etwa zu viel diskutiert? FFF-Plenum in Berlin Foto: Christian Mang

Hamburg taz | In Hamburg ist Fridays for Future (FFF) schon am Limit: Wenn die Gruppe weiter wächst, bekommt sie Probleme. Wo sollen sich so viele Menschen treffen, wo sollen sie demonstrieren? Zu den wöchentlichen Plena kommen im Schnitt 50 bis 60 Aktive. Es ist nicht einfach, einen so großen Raum zu finden, wenn man keine Miete zahlen will. Ab und zu nutzen die Schüler*innen Firmenräume, die ihnen die Entrepreneurs for Future überlassen. Eine Dauerlösung ist das nicht.

Fridays for Future ist die vielleicht größte Jugendbewegung aller Zeiten in Deutschland. Wie viele Menschen dem Vorbild von Greta Thunberg folgen und sich in der Graswurzelbewegung engagieren, wissen die Jugendlichen selbst nicht. Aber beim letzten globalen Streiktag, dem 20. September, brachten sie allein in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf die Straße. Damit, und mit den wöchentlichen Schulstreiks, haben sie zumindest eins erreicht: Wer über Klimapolitik redet, kann sie nicht ignorieren.

Auch in anderen Städten kennt Fridays for Future das Platzproblem. Die Kölner Ortsgruppe hat sich anfangs im Büro von Greenpeace getroffen, mittlerweile ist das zu klein. Auch die Straßen werden eng: Am 20. September musste der Lautsprecherwagen in Köln die von Demonstrant*innen geflutete Innenstadt umfahren, um an die Spitze der Demo zu gelangen.

Wie organisiert man so eine große Bewegung? Wie kommunizieren Zehntausende Menschen, wie treffen sie Entscheidungen?

„Es gibt keine bundesweite Koordinierung“, erklärt Carla Reemtsma von FFF Münster. Stattdessen gibt es eine WhatsApp-Gruppe, in der aus jeder Stadt zwei bis drei Delegierte teilnehmen. Mittlerweile gibt es rund 700 Ortsgruppen. Macht 1.400 bis 2.100 Teil­nehmer*innen in einer WhatsApp-Gruppe? In der Praxis seien es etwas weniger, sagt Reemtsma, etwa tausend.

Meist wird telefoniert

Während das öffentliche Interesse an den wöchentlichen Streiks bereits deutlich nachgelassen hat, komme im Schnitt noch immer täglich eine neue Regionalgruppe hinzu, sagt die Hamburgerin Nele Brebeck, die sich in der Betreuung der FFF-Ableger engagiert. „Mittlerweile sind wir auf Ebene der kleinen Landkreise angekommen“, sagt sie. Die größeren sind schon alle dabei.

Sie streiken: Die Temperaturen steigen. Der Meeresspiegel auch. „Fridays for Future“ ruft am 29.11. zum Klimastreik. Samstag protestiert „Ende Gelände“ gegen den Braunkohleabbau. Und am 2.12. beginnt die UN-Klimakonferenz.

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Die rund 1.000 Delegierten treffen sich – bis auf Ausnahmen wie den Sommerkongress Anfang August in Dortmund – so gut wie nie. In der Regel telefonieren sie nur. Rund 100 von ihnen wählen sich dann in einen Telefonraum ein. Eine Moderator*in kann die Teilnehmer*innen stumm schalten und ihnen das Wort erteilen. „Inhaltlich wird da nicht viel diskutiert“, sagt Reemtsma, „eher Informationen ausgetauscht.“ Die inhaltliche Arbeit finde in den Ortsgruppen und den AGs statt.

Es gibt eine bundesweite Website-AG, eine Presse- und eine Social-Media-AG, eine Finanz- und eine Newsletter-AG sowie eine für die Planung von globalen Streiks. Und eine für die Kommunikation mit anderen Fridays-Gruppen wie Parents oder Scientists for Future. Auf regionaler Ebene kommen noch AGs für die Planung und die Rede­beiträge der Freitagsdemos hinzu.

Die Mitglieder der Ortsgruppen kommunizieren über „Slack“, ein Onlinetool, das hauptsächlich von Unternehmen genutzt wird. In verschiedenen Channels tauschen sich die Mitglieder aus, laden Dateien hoch, erstellen Termine und Untergruppen. Wenn sie gemeinsam an Dokumenten arbeiten, nutzen sie Google Docs oder Etherpads. Damit können mehrere Teil­neh­mer*innen am gleichen Text arbeiten, anstatt sich Textentwürfe mit Anmerkungen hin und her zu schicken. Außerdem haben die Schüler*innen ein eigenes Wiki, in das jede*r reinschreiben kann.

Um Abstimmungen durchzuführen, nutzen sie Polls. Diese funktionieren ähnlich wie Terminfindungs-Sites wie Doodle: Auf eine Frage, etwa „Unterstützen wir die Aktion zivilen Ungehorsams von ‚Ende Gelände‘ in der Lausitz?“, gibt es verschiedene Antwortmöglichkeiten und eine Deadline. Auf diese Art können Tausende Aktive innerhalb weniger Tage eine Art Konsens erzielen. Das meiste aber entscheiden die Ortsgruppen autonom.

Ortsgruppen sind sauer

Klingt alles urdemokratisch, ist aber auch anfällig für Schwächen. Wo formelle Hierarchien flach sind, spielen informelle oft eine umso größere Rolle. So gibt es zwar offiziell kein oberstes Entscheidungsgremium von FFF. Es gibt aber Aktivist*innen, die besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen und deshalb de facto mehr Entscheidungsmacht haben als andere. Wer in Talkshows sitzt und Interviews gibt, setzt Themen und beeinflusst Diskurse. Doch das sind bei FFF ziemlich wenige, gemessen an der Anzahl der Akti­vist*innen. Nicht wenige Ortsgruppen – und auch Bündnispartner*innen – sind sauer darüber.

Besonders in der Kritik: Luisa Neubauer, die bekannteste FFF-Sprecherin. Als sie ihre Unterstützung für die von dem Kondom-Start-up „Einhorn“ initiierte Bür­ger*in­nenversammlung im Berliner Olympiastadion bekannt gab, hieß es zuerst, FFF Deutschland unterstütze das Projekt. Dass nur die Berliner Ortsgruppe dahinterstand, bei der Neubauer organisiert ist, wurde erst auf den zweiten Blick klar – zu sehr ist Neubauer zum Gesicht der Bewegung geworden. Die Veranstaltung brachte FFF viel Knatsch ein, weil die Ini­tiator*innen im Werbevideo behaupten, die Weltrettung sei jetzt für 29,95 Euro zu haben – den Eintritt zum Großevent.

Seit September hat Neubauer zudem eine Kolumne im Magazin Stern und hat mit ihren 23 Jahren bereits ein Buch veröffentlicht. Das finden nicht alle gut. „Die Medien picken sich immer eine raus“, beschwert sich FFF-Sprecherin Nele Brebeck gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk. Gleichzeitig beschwerten sich andere Aktive über Brebeck: Als Ortsgruppensprecherin wolle sie immer das letzte Wort haben. Auch Carla Reemtsma durfte mit dem Philosophen Richard David Precht im ZDF diskutieren. Aber hinter den Frontfrauen wird die Personallage dünn, jedenfalls wenn es um größere Fragen geht.

„Fridays for Future hat eine Organisation aufgebaut, in der ein paar wenige Leute den Output kontrollieren. Demokratische Entscheidungsprozesse und offene Diskussionen sind da kaum möglich“, sagt ein Aktivist aus dem FFF-nahen Spektrum. Für Bünd­nis­­partner*innen sei es frustrierend, wenn die Machtverhältnisse intransparent seien.

Eine weitere Schwierigkeit ist, dass es Entscheidungen gibt, die größer sind als die Frage, ob man dieses oder jenes Projekt unterstützen will. Wie soll es weitergehen? Was passiert, wenn das Mobilisierungspotenzial ausgeschöpft ist? Und vor allem: Wie gehen die Schüler*innen damit um, wenn noch deutlicher wird, was sich ohnehin schon abzeichnet – dass sich weder in der Politik noch in der Gesellschaft etwas verändert. Die Bundesregierung baut die Windenergie ab und die Kohle weiter ab. Die Deutschen buchen Flüge wie bekloppt und kaufen SUVs als Zweitwagen. Was macht das mit den Schulstreikenden, welche Konsequenzen ziehen sie daraus?

„Viele von uns machen sich Gedanken darüber“, sagt Carla Reemtsma. Aber aufgrund der Organisationsstruktur sei es schwierig, Entscheidungen zu treffen. Ein Strategieprozess mit 700 Ortsgruppen sei nicht möglich. Die Organisationsstruktur zu verändern hält sie aber auch für nicht praktikabel. „Fridays lebt davon, dass es so niedrigschwellig ist“, sagt Reemtsma. Einen Verein mit Vorstand zu schaffen, würde FFF lähmen, fürchtet sie. Die Hemmschwelle, sich einzubringen, wäre dann möglicherweise zu groß.

30 Stunden und mehr pro Woche

Trotzdem kommen Fakten auf die Bewegung zu, die sich nicht aussitzen lassen: Der Winter steht vor der Tür, die Streiks interessieren immer weniger Menschen, sie binden Ressourcen und zehren Kräfte. Viele bei FFF arbeiten 30 Stunden pro Woche oder mehr für die Bewegung – neben Schule oder Studium. Wie lange will man noch vor den Rathäusern stehen, ohne dass etwas passiert?

Im Raum steht seit Kurzem der Vorschlag, nicht mehr jede Woche zu streiken, wie viele größere Ortsgruppen es derzeit noch machen. Der 13. Dezember könnte ein gutes Datum für den letzten wöchentlichen Freitagsstreik sein, denn an dem Tag wird die Bewegung ein Jahr alt. Nur: Eine solche Entscheidung wiegt schwer, man müsste sie intensiver diskutieren als nur in einer Telefonkonferenz oder per WhatsApp. Dafür aber gibt es kein Forum.

„Ich glaube, wir brauchen jetzt viel Zeit für interne Prozesse“, sagt Pauline Brünger von FFF Köln. Die Ortsgruppe unterstützt die Idee, mit dem wöchentlichen Streik aufzuhören. „Wir haben ein Jahr lang von Freitag zu Freitag durchgepowert“, sagt Brünger. „Dabei sind die Möglichkeiten ja endlos.“ Man könnte eine NGO werden oder Lobbyarbeit machen, auf die Flughäfen und Autobahnen gehen, Bildungsarbeit in Schulen machen oder sich selbst beibringen, wie man Solarpanels verlegt.

Und was ist, wenn trotzdem alles nichts bringt – wenn in Europa in wenigen Jahrzehnten die Wasserverteilungskämpfe losgehen und die Küstenregionen absaufen? Bereitet sich FFF auf eine solidarische Gesellschaft im Post-Klimawandel vor? „Wir versuchen noch, das Worst-Case-Szenario auszublenden“, sagt Nele Brebeck. „Das macht schlechte Laune und nimmt Hoffnungen, die uns antreiben.“ Es könne aber gut sein, dass man nächstes Jahr anfange, sich damit auseinanderzusetzen. Ohnehin müsste 2020 viel passieren, um die 1,5-Grad-Erwärmung nicht maßlos zu reißen.

Aber: Sich auf neue Ziele und Ak­tions­formen zu einigen erfordert ebenfalls tiefgehende Diskussionen. „Am Ende machen alle Ortsgruppen, was sie wollen“, sagt Carla Reemtsma. Das sei ja auch eine Stärke der Bewegung: „Oft entstehen die besten Sachen dadurch, dass die Leute einfach etwas machen.“

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