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Die Zärtlichkeit des Blicks

Zentrum seiner Arbeit war der Kreuzberger Kiez rund um den Chamissoplatz, viele seiner einfühlsamen Schwarz-Weiß-Fotografien wurden auch in der taz veröffentlicht: Eine Erinnerung an den jüngst verstorbenen Berliner Fotografen Wolfgang Krolow

Von Rolf Hosfeld

No one can sing the blues like blind Willie McTell“. Wir hörten Bob Dylan, und wir, die wir hier zusammengekommen sind, wissen, wie sehr Wolfgang diese Musik liebte. Die unsentimentale Stimme Dylans, der minimalistische Einsatz von Instrumenten und die merkwürdige Welt, die sie thematisieren. Amerika, die Gescheiterten und Verrückten, Jahrmärkte der Eitelkeiten, ein ohnmächtiger Gott; aber keiner singt den Blues so eindringlich wie der blinde Willie McTell.

Das sind Bilder und Gedanken, die auch von Wolfgang hätten stammen können. Für einen Augenmenschen wie ihn, der mehr, auch Verborgenes, sehen konnte als viele andere, hatte die Welt immer etwas fast aus den Fugen Geratenes an sich. Nichts ist, wie es scheint, und weniges schön, dafür aber sehr menschlich. Er begegnete dieser sensiblen Einsicht nie mit Verzweiflung, sondern immer mit sanfter, mitunter ironischer oder sarkastischer Melancholie, mit einem hohen Maß an Contenance und Witz und bis zuletzt mit einer ungeheuren Lebensbejahung und Tapferkeit. Man sieht das auch in seinen Fotografien. Und selbst, als ihn vor fast 15 Jahren ein gesundheitlicher Tiefschlag traf, entglitt ihm diese Haltung nie. Das hatte etwas Außergewöhnliches an sich.

Wolfgang Krolow

Der Fotograf Wolfgang Krolow wurde 1950 bei Kaiserslautern geboren, wo er als Jugendlicher auch gelegentlich mit der Bluesharp in Ami-Clubs auftrat. 1970 zog er nach Berlin. Er studierte an der Hochschule der Künste Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Fotografie und arbeitete als freier Fotograf. Zentrum seiner Arbeit wurde der Kreuzberger Kiez, und in Kreuzberg ist Wolfgang Krolow auch am 24. September 2019 verstorben.

Die Rede Der Text hier auf der Seite ist ein Auszug aus der Trauerrede, mit der der Autor und Historiker Rolf Hosfeld seinen langjährigen Freund bei der Beerdigung am 29. Oktober 2019 auf dem Friedhof an der Bergmannstraße würdigte. Mehr Bilder und Informationen zu Wolfgang Krolow finden sich auf www.wolfgangkrolow.de.

Ende der 70er Jahre wurde er einem größeren Publikum auch durch eine Reihe von Fotobüchern bekannt. Seine Fotografien aus zahlreichen europäischen Städten wie Montpellier, Ländern und Orten wie Albanien oder Wolgograd wurden in zahlreichen Tageszeitungen und Magazinen veröffentlicht. Zentrum seiner Arbeit aber wurde und blieb der Kreuzberger Kiez rund um den Chamissoplatz. Hochsensibel und mitunter etwas unstetig und gefährdet im Inneren brauchte er diesen festen Ort im Leben.

Er wurde sein großes Thema und die Menschen dort seine Muse. 1979 veröffentlichte er das Fotobuch „Kinder in Kreuzberg“ mit Texten der Schriftstellerin Erika Runge, 1981 das „Instandbesetzer-Bilderbuch“ mit Texten des Schriftstellers Peter-Paul Zahl, 1982 „Seiltänze. Ein Fotobuch aus Kreuzberg“ mit Texten von Peter-Paul Zahl und mir, 1983 das Fotobuch „Was fang ich an in dieser Stadt. Lieder aus 15 Jahren“ mit Texten von Klaus Hoffmann, und 1991 „Albanien.Ein Fotolesebuch“, herausgegeben von Stefan Orendt und unserem gemeinsamen Freund Giuseppe DeSiati. Kreuzberg, das Leben in einem von kulturellen und sozialen Begegnungen und Spannungen geprägten Mikrokosmos, der zugleich Spiegel einer großen Welt ist, blieb sein Lebensthema.

Er ging völlig anders an die Sache heran als die meisten anderen Fotografen, die ich in meinem späteren Berufsleben kennenlernen sollte. Nie habe ich später wieder jemanden getroffen, der so behutsam operierte wie Wolfgang. Er konnte oft stundenlang beobachten, Bilder, Konturen, Licht und Schatten in seinem Kopf entstehen lassen, bevor er auch nur einen Knopf an seiner Kamera, die er fast wie eine Stradivari behandelte, anfasste. Fotografie war für ihn immer ein Akt großer Zärtlichkeit und fast erotischer Zuneigung.

Fritz J. Raddatz beschrieb seine Fotografien für das Buch „Seiltänze“ damals in der Zeit als „temperamentvoll“ und „Partei ergreifend“ und schloss seine Rezension mit den Worten: „Wenn es das gäbe: ein Händedruck per Buch.“ Er verglich ihn mit Arthur Fellig, der sich Wegee nannte und der spätestens seit der Publikation seines Buches „Naked City“ von 1947 zu den großen Sozialfotografen des vergangenen Jahrhunderts zählte. Jim Rakete schrieb nüchterner, aber nicht weniger eindringlich im Tip: „so ist Kreuzberg noch nie fotografiert worden“. Und Max Scheler, den Robert Capa in den 50er Jahren für die New Yorker Fotoagentur Magnum gewann und der Mitte der 80er Jahre mein Kollege in Hamburg war, fand Wolfgangs Fotografie mit hanseatischem Understatement „außerordentlich beachtlich“, was sehr viel Lob bedeutet.

Sein größter Fan wurde jedoch Friedrich Christian (F. C.) Gundlach, der Gründungsdirektor des Hauses der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen. Über Jahre sammelte er Fotos von Wolfgang. Das ist umso erstaunlicher, als Wolfgang nie zu dem Karussell großer internationaler Agenturen und Magazine gehörte, die Gundlachs Leben prägten. Gundlach begründete in den 50er und 60er Jahren die deutsche Modefotografie, und er war ein stilprägender Porträtfotograf.

Wolfgangs Fotokunst achtete er mit geradezu rührender Anhänglichkeit. Er telefonierte regelmäßig mit ihm, und auch vergangenes Jahr in Hamburg ließ es sich der 92-Jährige nicht nehmen, den im Rollstuhl aus Berlin angereisten Kollegen persönlich zu begrüßen. Wolfgang war eben weit mehr als ein interessanter Kiezfotograf. Seine Fotos sind Kunstwerke, die wie alle gute Kunst mit Synästhesien spielen, verborgene Strukturen sichtbar machen, Geschichten erzählen, Psychologien offenlegen – besonders eindrucksvoll in seinen Porträts von Chet Baker, Heiner Müller, Gisèle Freund oder Sarah Wagenknecht – und Melodien erzeugen.

1982, als ich intensiv mit ihm zusammenarbeitete, war die Zeit der Punks. Kanten und Ecken bis zum Zickzack der Runenschrift machten den versöhnlichen Rundungen und organischen Formen der sechziger und siebziger Jahre Platz. An die Stelle greller Buntheit traten harte Schwarz-Weiß-Kontraste. In die Haut eingeritzte Narben, beeindruckend in Wolfgangs Bildern festgehalten, ersetzten die Perlenfüllhörner der Hippiegeneration. Und doch wollte Wolfgang unbedingt mit seinem Buch diesem depressiven Zeitgeist etwas entgegensetzen. Er bestand auf dem Titel „Seiltänze“, dem Leitmotiv seines eigenen, mitunter etwas anarchischen Lebens.

Alles das war seit einem Schlaganfall 2005 nur noch Erinnerung. Wolfgang selbst aber erfand sich neu als invalider Lebenskünstler und fand dabei zu einer Ruhe, die er sein ganzes Leben nicht hatte.

Uns wird er fehlen.

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