piwik no script img

Als Hamburg Perle wurde

Kohlenstaub und Malocherschweiß für den Coffeetable: Ein bildschöner Fotoband blickt auf das unschöne Arbeitsleben vor über hundert Jahren im Hamburger Hafen zurück

Am Sandtorhafen wird um 1900 Kohle entladen Foto: Franz Schmidt und Otto Kofahl/Archiv Werner Hummel

Von Hermannus Pfeiffer

Die Musikhalle, gestiftet von der Reederfamilie Laeisz, der alte Elbtunnel oder der Wasserturm im Stadtpark – vieles also, was heute den architektonischen Reiz Hamburgs ausmacht – wurde um 1900 erbaut. Zudem entstanden um die Jahrhundertwende öffentliche Einrichtungen wie Hauptbahnhof, Justizforum und die Kanalisation. Sie alle prägen noch heute das Bild dieser Stadt.

Erst im Kaiserreich war Hamburg zur Weltmetropole aufgestiegen. Dabei profitierte das selbst ernannte „Tor zur Welt“ davon, dass sich die internationalen Warenströme von der Ostsee in die Nordsee und den Atlantik verlagert hatten. Mit dem Sandtorhafen wurde das erste moderne Hafenbecken geschaffen. Mit neuester Technik wie Dampfkräne und direktem Bahnanschluss sowie der Gasanstalt Grasbrook, welche für die Beleuchtung der Kais sorgte. Nach der Eröffnung des Sandtorhafens steigt die Zahl der ankommenden Schiffe um das Dreifache, das Umschlagsvolumen wächst sogar um das Zehnfache. Der einst kleine Provinzhafen an der Elbe gehört als großzügig ausgebauter „Freihafen“ bald zu den Gewinnern der Globalisierung.

Hinter dem sichtbaren neuen Reichtum wirkte harte Arbeit. Geleistet wurde sie von denjenigen, die aus der hafennahen Alt- und Neustadt in die privaten Mietskasernen der neuen Stadtteile Hammerbrook, St. Pauli und Eimsbüttel verdrängt wurden. Sie mussten Platz machen für Speicherstadt und Kaufmannskontore in der neu geschaffenen „City“. Den Hafenarbeitern hat der Dölling-und-Galitz-Verlag nun ein bibliophiles Denkmal gesetzt. Wie es schöner, so viel Begeisterung sei einmal erlaubt, nicht vorstellbar erscheint.

Dabei zeigen die Nachdrucke der Daguerreotypien, die der Chemiker Franz Schmidt und der Fotograf Otto Kofahl belichtet hatten, keine romantische heile Welt. Ausgerüstet mit einer schweren Holz-Plattenkamera begaben sich die beiden in den Jahren 1890 bis 1904 per Pferdefuhrwerk zu den verschiedensten, oft schwer zugänglichen Standorten im Hamburger Hafen. Sie umrundeten das gesamte Hafengebiet und hielten dabei die maritime Welt mit den dort tätigen Menschen, mit Schiffen, Hafenbecken, Arbeitsgeräten und Gebäuden im Bild fest. Immer wieder taucht in den Bildern die Reederei ­Laeisz auf.

Im Jahr 1908 wurden die 167 Fotografien Schmidts und Kofahls erstmals als Sammlung veröffentlicht. Dass sie über hundert Jahre später wieder auftauchten, verdanken wir einem Zufall. Der Hamburger Journalist Thomas Metelmann war zum Abendessen bei einem Nachbarn eingeladen. Als Nachtisch wurde eine alte Holzkiste gereicht, in der die historischen Aufnahmen lagen. Metelmann erkannte deren Strahlkraft, suchte einen Verlag und transkribierte die Bildunterschriften.

Diese Beschreibungen, mit denen die Fotografen ihre oft spannungsgeladenen Bilder versehen hatten, besitzen einen eigenen Charme. Die Texte entwickeln aus den Fotos Geschichten, etwa auf der legendären Schiffswerft Heinrich Brandenburg: „Ein Vormann führt nun die Platte aufs Genaueste so unter einen Stahlstempel der Maschine, dass dieser, mit unwiderstehlichem Druck niedergehend, das Nietloch richtig herausstanzt.“ Das geldstückartige Stahlstück fällt dann „glatt herausgedrückt zu Boden“.

England, so erfahren wir ebenfalls, besitzt eine ganz gewaltige Marmeladenindus­trie, die den Weltmarkt beherrsche. Das „Alte Land“ liefert die Früchte – per Eisenbahn. „In den Waggons befinden sich die Pflaumen unverpackt aufgehäuft; hier werden sie in Körbe geschaufelt und mit Holzwolle bedeckt.“ Pferdewagen warten im Hintergrund, um die Pflaumenkörbe „auf den Kai an die englischem Dampfer zu bringen“.

Eine Streikforderung lautete, nicht mehr als 36 Stunden hintereinander arbeiten zu müssen

Die aufgrund der langen Aufbau- und Belichtungszeiten gestellten Fotos illustrieren vor allem die Arbeitsbedingungen der Menschen. Dabei zeigen (!) sie die Ausbeutung der Hungerlöhner durch Reeder und Kaufleute. Mehr als die Hälfte aller Hamburger hatte damals „das dürftige Einkommen“ von unter 1.000 Mark im Jahr, schreibt der spätere Gewerkschaftsvorsitzende Carl Legien in seiner Analyse des Streiks, der im Winter 1896/97 elf lange Wochen den Hafen lahmlegte. Ein Großteil des Lohns der Arbeiter ging für die Miete drauf. Und wer sich kein Zimmer mit Küche leisten konnte, schlief zur Untermiete oder als „Schlafgänger“, der nur stundenweise ein Bett nutzen durfte. Gleichzeitig, so Legien, hatten schon 658 Millionäre in Hamburg „ihr Domizil“.

Nicht alle der zwei Dutzend verschiedenen Hafenarbeiter-Kategorien, die meist als Tagelöhner malochten, verdienten ganz wenig. Aber die Schauerleute ächzten unter erbärmlichen und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen. Segelfrachter und Dampfer liefen den Hafen naturgemäß unregelmäßig an. Die Reeder wollten freilich ihre Schiffe schnellstmöglich wieder auf Reisen schicken, um die Hafengebühren gering zu halten und möglichst viele Frachtfahrten zu machen. Für Hafenarbeiter bedeutete dies oft drei Schichten und mehr im Stück.

Eine Streikforderung lautete daher, nicht mehr als 36 Stunden hintereinander arbeiten zu müssen. Aber der lange Streik der Hafenarbeiter endete mit der Kapitulation vor den Arbeit-„Gebern“. Reeder Carl Heinrich Laeisz sagte vollmundig: „Es steht mir völlig frei, die Forderungen der Arbeiter zu bewilligen; das fällt mir aber gar nicht ein!“ Stattdessen stiftete er die Musikhalle, die heute seinen Namen trägt.

„Der Hamburger Hafen um 1900 – Ein historischer Rundgang. Daguerreotypien von Franz Schmidt und Otto Kofahl“, Dölling-und-Galitz-Verlag, München und Hamburg 2019, 224 Seiten, 167 historische Abbildungen, mit Rundgangskarte und Register, 49,90 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen