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Nordduell auf Augenhöhe

Holstein Kiel und der Hamburger SV haben sich 1:1 unentschieden getrennt. Für die Kieler wäre mehr drin gewesen: Nach frühem Führungstreffer spielten sie lange in Überzahl

Spannung auf dem Platz, Pyros auf den Rängen: Nordderby zwischen Holstein Kiel und dem HSV am Samstag Foto: Frank Molter/dpa

Von Andreas Geidel

Nein, so wirklich zufrieden war nach dem 1:1 im Nordderby der Zweiten Fußball-Bundesliga zwischen Holstein Kiel und dem Hamburger SV niemand der Beteiligten. Weder der Aufstiegsfavorit aus der Hansestadt, obwohl er am Samstag in der Nachspielzeit nach seiner siebten Ecke und einem Irrlauf des Kieler Keepers Ioannis Gelios immerhin noch durch Joker Timo Letschert (90.+1) den verdienten Last-Minute-Ausgleich bejubeln durfte. Noch die Störche, bei denen fast jeder vor dem Anpfiff ein Remis per Unterschrift angenommen hätte.

Auch Holstein-Trainer Ole Werner rätselte, warum seine Mannschaft im ausverkauften Holstein-Stadion die 1:0-Führung durch Janni Serra (44.) nicht ins Ziel gerettet hatte. Sein Team spielte 67 Minuten lang in Überzahl – nach einer harten, aber vertretbaren Roten Karte gegen den Hamburger Bakery Jatta (26.). Doch auch im zweiten Durchgang agierten die Kieler passiv und erspielten sich nicht eine einzige Torchance.

Keine leichte Aufgabe für Werner, der mit seinen 31 Jahren jüngster Chefcoach der beiden höchsten deutschen Profiligen ist. Er kam erst am 15. September von der vergleichsweise beschaulichen Regionalliga Nord als Nachfolger des glücklosen Andre Schubert in die Zweite Liga. Werner steckt selbst noch mitten im Lehrgang zur Fußball-Lehrer-Lizenz und darf damit als Symbol für den riskanten, von Improvisation geprägten, in den vergangenen beiden Spielzeiten aber sehr erfolgreichen Kieler Weg beschrieben werden: Talenten statt routinierten Stars vertrauen, diese besser machen und dann teuer verkaufen – große Personalumbrüche und situative Leistungsschwankungen inklusive.

„Wir sind natürlich enttäuscht, weil die drei Punkte auf dem Silbertablett lagen“, erklärte Werner. „Aber bei einer solchen Passivität im Anlaufen des Gegners und bei eigenem Ballbesitz wirst du am Ende bestraft. Es ist das klassische Phänomen: Im Fußball wird vieles zwischen den Ohren entschieden.“

Holsteins Mittelfeld-Stratege Jonas Meffert pflichtete seinem Coach bei: „Wir haben in der zweiten Halbzeit genau das Gegenteil von dem gemacht, was wir uns in der Pause vorgenommen hatten. Vielleicht haben wir uns nicht mehr so getraut, weil wir mit dem 1:0 im Rücken etwas zu verlieren hatten. Besser wäre es wohl für uns gewesen, wenn es bei elf gegen elf Spielern geblieben wäre.“

Der ehemalige St.-Pauli-Sportchef Uwe Stöver, der am 7. Oktober Fabian Wohlgemuth in Kiel als Geschäftsführer Sport beerbt hatte, meinte: Sieben Zähler aus den vergangenen vier Partien gegen die Top-Teams aus Stuttgart, Bielefeld und Hamburg sowie gegen Bochum „lesen sich zwar gut“ – „es hätten aber zehn sein müssen“, so der 52-Jährige.

Holstein kämpft nun weiter um den Klassenerhalt. Der wirtschaftlich mit einem deutlich größeren Etat in einer anderen Dimension schwebende HSV versucht, trotz der nunmehr fünf Auswärtsspiele in Serie ohne Sieg, weiter den Aufstieg zu schaffen. Den muss der HSV aufgrund seiner finanziellen Situation dringend erreichen. Es trafen so Clubs aus zwei Fußball-Welten aufeinander – mit einem personellen Bindeglied: David Kinsombi.

Der 23-jährige Königstransfer des HSV hatte noch in der vergangenen Saison die Kapitänsbinde von Holstein Kiel getragen und mit drei Treffern maßgeblichen Anteil an den zwei Niederlagen seines heutigen Arbeitgebers in den Duellen gegen die Kieler (0:3, 1:3) gehabt.

Jetzt stand Kinsombi am Samstag in den Katakomben des ehrwürdigen Holstein-Stadions. Und strahlte in seinem gewöhnungsbedürftigen rosafarbenen HSV-Trikot übers ganze Gesicht. Auch wegen des späten Ausgleichs. Kinsombi wirkte, als wäre er glücklich, zumindest kurzzeitig zurück in seinem Wohnzimmer zu sein, in der Idylle seiner Kieler „Familie“, mit der er seine bislang größten Erfolge gefeiert hatte. „Mit dem Platzverweis hat sich die Statik des Spiels komplett verändert. Wir wollten in der zweiten Halbzeit sehr, sehr gut verteidigen, um nicht das 0:2 zu kassieren, und am Ende noch einmal Tempo machen. Das ist uns gelungen“, referierte der Mittelfeldspieler, um sich dann als Orakel zu betätigen: „Wir spielen in der kommenden Saison Erste Liga, Holstein schafft ohne Sorgen den Klassenerhalt.“

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