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EuGH-Urteil zu Polens JustizreformFrechheit siegt – aber nicht immer

Kommentar von Barbara Oertel

An den beanstandeten Gesetzen hat Kaczyński schon geschraubt, Resthirn ist also noch vorhanden. Der Kommission wird das hoffentlich nicht reichen.

Kaczyński muss sich wohl doch weiter mit unliebsamen Richtern herumschlagen Foto: reuters

F ür Jarosław Kaczyński wäre es zu schön gewesen: Eine politisch genehme Frühverrentung von Vertretern der Judikative in Tateinheit mit einer Verlängerung des jeweiligen Dienstverhältnisses – natürlich nach Gutdünken des Justizministers. Doch da ist erfreulicherweise der Europäische Gerichtshof (EuGH) davor. Der beschied am Dienstag Kaczyński und seiner polnischen Regierungspartei PiS, dass die Justizreform von 2017 die Unabhängigkeit der Justiz verletzt.

Genau darum aber geht es der PiS, die auf wichtigen Posten in Gerichten und Staatsanwaltschaften ihre Erfüllungsgehilfen platzieren will – frei nach dem Motto: Was interessiert uns der Rechtsstaat, Gewaltenteilung war gestern.

Mittlerweile müsste den Nationalpopulisten, die bei den Wahlen im Oktober mit über 40 Prozent wieder eine satte Mehrheit eingefahren haben, dämmern, dass sie damit nicht durchkommen. Schon im vergangenen Juli beanstandete das Luxemburger Gericht das Gesetz, das unbotmäßige Richter am Obersten Gerichtshof durch eine Absenkung des Pensionsalters mal eben aufs Altenteil entsorgen wollte.

Seit Oktober ist auf Betreiben der Europäischen Kommission ein weiteres Verfahren beim EuGH gegen Warschau anhängig. Dabei geht es um Disziplinarmaßnahmen, die gegen Richter auf Grundlage ihrer Urteile eröffnet werden können. Man ahnt bereits, dass es bei derartigen Entscheidungen wohl kaum um die juristische Kompetenz der Beteiligten geht. Weniger Ungemach aus Europa droht Polen durch ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren der Kommission nach Artikel 7 – dank sei Ungarns Premier Viktor Orbán, der den Daumen senkt und damit das Einstimmigkeitsprinzip konterkariert.

Die Frage ist, wie die PiS mit der neuerlichen Niederlage umgeht. Dass noch etwas Resthirn bei den Verantwortlichen vorhanden ist, zeigt der Umstand, dass an den beanstandeten Gesetzen bereits geschraubt wurde. Der Kommission wird das hoffentlich nicht reichen. Rechnen muss man aber mit der Risikobereitschaft von Kaczyński und Co., sich wieder eine blutige Nase zu holen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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2 Kommentare

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  • Einfach nur lustig das in der Nato und EU jeder eintreten kann, aber keiner kann suspendiert oder rausgeworfen werden. Wozu gibt es Kritieren/Regeln bei der Aufnahme wenn man diese im Nachhinein abschaffen kann?

  • Es geht hier nicht um Resthirn, sondern um autoritäres Staats- und Gesellschaftsverständnis, das von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung mitgetragen wird und das nicht nur in Polen. Die EU badet jetzt aus, dass sie naiver Weise oder gegen besseres Wissen (m. E. v. a. gegen Russland), reihenweise Staaten des ehemaligen Ostblocks aufgenommen hat, die keine offene Zivilgesellschaft, Demokratie oder Toleranz gegenüber anders Denkenden kannten, geschweige denn einen Rechtsstaat hatten. Sie können bis heute nur bedingt oder gar nicht mit diesen Strukturen und Werten einer modernen Demokratie umgehen.



    Diese sind aber noch nie vom Himmel gefallen, auch nicht in den Genen der Menschen verankert oder Gott gewollt. Sie sind das Resultat einer langen historischen Entwicklung mit vielen Rückschlägen, zuweilen massivem äusserem Druck sowie inneren Revolten und aktuell, in alten, klassischen Demokratien dieser Welt, wieder in Frage gestellt. Der europäische Gerichtshof kann Gesellschaften nicht mit Urteilen ändern, er kann allenfalls Kosmetik betreiben.



    Demokratie ist eben noch nicht, wenn es Wahlen gibt. Das zeigt sich exemplarisch an den Bürgern der Ost-Bundesländer. Sie durften und wollten der Bundesrepublik beitreten, aber niemand hat sich darum gekümmert, sie in den vergangenen 30 Jahren in den demokratischen Staat zu integrieren, somit ist eben ein Teil dieser Menschen draussen geblieben und sieht die Demokratie nicht als beste Staatsform. Soll man das jetzt diesen "Ossis" vorwerfen?