STUDIEN WIRKLICH VERSTEHEN II: Immer mitten in die Fresse
… UND BLAU Im Netz wird heftig draufgehauen. Weil die Menschen anonym unterwegs sind?
Streit ist die Fortsetzung der Diskussion mit anderen Mitteln. Und im Netz wird viel diskutiert, jeder kann überall und zu allem etwas sagen, meinen, behaupten. Der Mechanismus, der hierbei greift, ist altbekannt: „Ja!“ – „Nein!“ – „Doch!“ – „Blödsinn!“ – „Arschloch!“ Die Beteiligten schaukeln sich hoch. Und im Internet ist die Summe der Beteiligten theoretisch unendlich – und man diskutiert oft mit kaum oder gleich vollständig Unbekannten.
Auch immer gleich zur Hand: eine Studie, die herbeizitiert werden kann. So gibt es inzwischen ganze Forschungsprojekte über die Streitkultur im Internet wie das EU-Forschungsprojekt zu „Kollektiven Emotionen im Cyberspace“. Aber warum etwas erforschen, für das bereits jeder seine eigene gut funktionierende Erklärung hat?
Es liege an der gefühlten Anonymität im Internet, dass man offener und direkter mit seinem virtuellen Gegenüber kommuniziere, sagen die einen. Die anderen meinen, es wäre vor allem das Aufeinanderprallen von Menschen, die sonst nicht miteinander in Kontakt kämen.
Die Kollektivemotionsforscher des EU-Projekts sagen, dass die Anonymität zwar ihr Scherflein zum Zwist beitrüge, aber ohne sie träte wohl bald Selbstzensur ein.
Am Ende bleibt wieder nur die Wahl zwischen Pest (Streit) und Cholera (Selbstbeschneidung). Und der eine oder andere wünscht sich sicher die gute alte Zeit zurück, in der man am Stammtisch Diskussionen führen konnte und Kurt Tucholskys „Sprache ist eine Waffe“ noch lange nicht das Ende der Diskussion war. Sondern die Faust. So gesehen, mag es dann doch als zivilisatorischer Fortschritt durchgehen, sich nur noch virtuell die Köpfe einzuschlagen. FALK LUEKE
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