: „Alle ein Teil der Lösung“
Der Physiker Uli Wischnath hat ein Klimaschutz-Programm entwickelt, das die eigene Verantwortung in den Mittelpunkt stellt. Ab Januar können Teilnehmer bei einem Modelllauf in Findorff etwas für ihre Klimabilanz tun.
Von Mahé Crüsemann
taz: Herr Wischnath, trennen Sie Müll zu Hause?
Uli Wischnath: Ja! Altpapier, gelben Sack, Kompost, Hausmüll, alle Batterien natürlich raus, Elektrokleingeräte, Leuchtstofflampen und so weiter.
Es ist das Erste, das einem einfällt, wenn man sich fragt: Was tue ich selbst zu Hause für die Umwelt und den Klimaschutz?
Mülltrennung ist natürlich sinnvoll. Klimaschutz ist aber nicht das gleiche wie Umweltschutz. Plastiktüten zum Beispiel: für den Umweltschutz ein total wichtiges Thema, die Mikroplastik-Meeresverschmutzung gefährdet Ökosysteme. Natürlich ist fast jede Plastiktüte auch aus Erdöl gemacht und daher unter Klimaaspekten nicht gut, aber es ist definitiv fürs Klima kein Big Point. Big Points sind das, was die Erderwärmung wirklich vorantreibt.
Was wäre denn ein Big Point?
Es gibt Leute, die das Gefühl haben: Ich sortiere meinen Müll, ich fahre Fahrrad, ich kaufe im Bioladen ein, wenn Auto, dann nur über Carsharing. So, jetzt habe ich so viel getan, jetzt darf ich an anderer Stelle auch mal ein Auge zudrücken: Ich fliege nach Bali. Unter Klimagesichtspunkten kann man bei allen vier Sachen, die ich zuerst gesagt habe, sündigen, so viel man lustig ist – wenn man den Flug nach Bali weglassen würde, würde man immer noch besser dastehen. Man sollte sich darüber bewusst sein, wo die großen Hebel sind. Dann kann man da ansetzen, wo viel CO2 verursacht wird, und nicht da, wo es vielleicht gerade am leichtesten zu machen, aber nicht besonders bedeutsam ist.
Wie sind Sie auf die Idee für „Klimaschutz for All“ (K4All) gekommen? Gab es einen Anlass?
Ich war in meiner Funktion als Geschäftsführer von Bauwende e. V. letztes Jahr beim Klimagipfel in Katowice – mit dem Bus, nicht mit dem Flugzeug. Ich bin da der „We are still in“-Initiative aus den USA begegnet. Das ist ein Zusammenschluss von Universitäten, Gemeinden, Bundesstaaten, aber auch Unternehmen, die gesagt haben, auch wenn Trump aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigt, für uns bleibt das Abkommen das Maß der Dinge. Das, was ich von „We are still in“ mitgenommen habe, war: nicht auf die Politik warten, sondern als Zivilgesellschaft das Richtige tun. Das adressiert Klimaschutz for All.
Sie beschäftigen sich beim gemeinnützigen Verein Bauwende mit politischen Forderungen. Wieso jetzt mit K4All die persönliche Ebene?
Uli Wischnath, 52, ist promovierter Umweltphysiker und Geschäftsführer von Bauwende e.V..
Für mich ergänzt sich das. Der Verein Bauwende bemüht sich insbesondere darum, dass Klimaschutz und Ressourcenschonung am Bau adressiert werden. Auch „Fridays for Future“ versucht die Politik zu drücken, dass sie das Richtige tut. Mit K4All möchte ich diesem Druck von hinten einen Zug von vorne zur Seite stellen. Ganz oft herrscht das Gefühl vor, dass man sich schuldig fühlt, überfordert und tendenziell hilflos. Es geht darum, dass wir alle ein Teil der Lösung der Klimakrise sein müssen, aber auch können.
Wie funktioniert das Programm?
Die Teilnehmenden werden Teams bilden. Dadurch hat man auch eine andere Verbindlichkeit. Das K4All-Programm wird durch Badges strukturiert wie Pfadfinderabzeichen. Je nach dem Abschneiden und dem, was man sich vornimmt, gibt es dann für die Aufgaben Punkte. Die Hälfte der Punkte gibt es aber schon dafür, dass ich mich der Aufgabe stelle. Die Tatsache, dass ich mich mit dem Thema auseinandersetze und mir angucke, wo ich persönlich stehe, das ist meiner Meinung nach das Elementarste.
Wie geht das konkret?
Der Modelllauf in Findorff fängt im Januar an. Man erstellt erst mal seinen eigenen CO2-Fußabdruck. Bei K4All ist neben dem Fußabdruck aber auch der Handabdruck wichtig, also die Frage: An welchen Stellen tue ich im positiven Sinne etwas für den Klimaschutz? Dazu macht man auch eine Eröffnungsbilanz. Anschließend ist jeder Monat einem der Big Points des Themenfeldes Klimaschutz gewidmet. Die Teilnehmenden bekommen dazu Informationen, mit denen sie feststellen können, wo sie stehen, und sich überlegen, wie sie bei diesem Thema von jetzt an weitermachen wollen.
Wie werden der Hand- und Fußabdruck gemessen?
Beim Fußabdruck sind es ganz klassisch Tonnen CO2. Die Basiseinheit beim Handabdruck ist Zeit, die man für den Klimaschutz aufbringt. Bezogen auf den Fußabdruck und Handabdruck selber gibt es keine Verrechnung, sondern die stehen einfach getrennt nebeneinander. Es ist mir wichtig, dass es ein einerseits strukturiertes, machbares, aber eben auch motivierendes Programm ist und nicht ein schlechtes Gewissen macht.
„Weight Watchers für Klimaziele“ nennt der Erfinder Uli Wischnath sein Programm für mehr persönlichen Klimaschutz.
Mit einer App sollen die Teilnehmer über ein Jahr lang verschiedene Aufgaben zum Thema Klimaschutz lösen – im Team oder allein.
Der ökologische Fuß- und Handabdruck werden erfasst. Letzterer misst gesellschaftliches Engagement fürs Klima.
Der Testlauf beginnt im Januar in Findorff. Ist der erfolgreich, soll das Projekt irgendwann bundesweit anlaufen.
Geht eine Veränderung, wie Sie sagen, „ohne schlechtes Gewissen“ überhaupt?
Der Kern der Sache ist nicht das schlechte Gewissen, sondern der Wunsch, und den unterstelle ich jetzt einfach mal allen, dass wir diese Welt in einem gut bewohnbaren Zustand an die nächsten Generationen übergeben. Das wohnt uns allen inne. Das Programm gibt einem die Chance, seinen Beitrag dazu zu leisten, damit das passieren kann. Ja, natürlich äußert sich so etwas als schlechtes Gewissen, wenn ich weiß, dass ich etwas tun muss, aber es nicht tue. Ich hole diese Leute gerne ab. In dem Moment, wo ich anfange, etwas zu tun, wird das schlechte Gewissen ersetzt von dem guten Gefühl, das Richtige zu tun.
Wenn ich an so einem Programm teilnehme, dann habe ich mich ja schon mal mit dem Thema Klimaschutz auseinandergesetzt. Ich bin in meiner Bubble, wo wir alle den Planeten bewohnbar zurücklassen wollen. Aber es gibt ja auch Menschen außerhalb dieser Bubbles. Was ist mit denen?
Klimaschutz for All heißt Klimaschutz for All, weil es für alle offen ist. Aber ja, der Einwand ist vollkommen berechtigt. Ich sage es jetzt mal so: Unser Programm ist nicht die „Einstiegsdroge“. Was ich mir wünsche, ist, dass die Leute, wenn sie für sich Klarheiten gewonnen haben, andere Leute werben. Die, die als erste mitmachen, das werden hauptsächlich Leute sein, die in der Bubble drin sind. Aber die werden dann andere Menschen dazu bewegen, sich mit Klimaschutz auseinanderzusetzen und da etwas zu verändern. Das ist ein ganz wichtiger Hebel, über den das Programm auch die 70 Prozent der Bevölkerung erreicht, die für das Thema offen, aber bisher nicht engagiert sind.
Kennenlerntermin für „Klimaschutz for All“ heute um 17 Uhr, Klimazone Findorff, Münchener Straße 146
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