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Labour-Parteitag in GroßbritannienKampf um Herz und Seele der Partei

Nach wie vor steht die britische Labour-Opposition im Schatten der Antisemitismus-Debatte. Manche jüdische Mitglieder haben bereits aufgegeben.

Joseph Cohen und Peter Gregson diskutieren vor dem kontroversen Plakat beim Labour-Parteitag Foto: Daniel Zylbersztajn

BRIGHTON taz | Auf der satirischen Zeichnung steht Jeremy Corbyn an einem Rednerpult mit palästinensischer Flagge und den Worten „Palästinensische Rechte“. Dahinter feuert Benjamin Netanjahu aus einem israelischen Bomber, auf dem „die Lobby“ geschrieben steht, Raketen auf den Labour-Chef ab und ruft „Antisemit! Antisemit! Antisemit!“. Auf einer Rakete steht das Wort „Verleumdung“.

Das Banner hing vor dem Konferenzzentrum in Brighton, wo Anfang dieser Woche der Labour-Parteitag stattfand. Es wurde schließlich von der Polizei entfernt – just in dem Moment, als davor zwei Männer intensivst diskutieren.

Der erste, Joseph Cohen, trug schwarze jüdisch-orthodoxe Kleidung, er leitet ein Informationswerk zu Israel. Der andere, Peter Gregson, trägt ein rotes T-Shirt mit der Parole „Boykottiert und isoliert Israel“, ist Gründer der Gruppe „Labour gegen zionistischen islamophoben Rassismus“ und wurde im Frühjahr wegen Antisemitismus aus seiner Gewerkschaft geworfen und von der schottischen Labour-Partei suspendiert.

Auf einem Flugblatt nennt Gregsons Gruppe die Vorwürfe von Antisemitismus in der Labour-Partei Schwindel und den jüdischen Labour-Verband JLM (Jewish Labour Movement) einen „Verteidiger des rassistischen Apartheidstaates Israel.“

Das vergangene Jahr war für die JLM nicht einfach. Aufgrund ihrer Klagen nahm die britische Gleichberechtigungs- und Menschenrechtskommission (EHRC) offizielle Ermittlungen gegen Labour wegen institutionellen Antisemitismus auf. Sechs Parlamentarier aus Unter- und Oberhaus haben die Partei verlassen und nannten Antisemitismus als Grund.

Beschuldigte wie der suspendierte Labour-Abgeordnete Chris Williamson haben dagegen die parteiinterne Gruppe „Labour Against the Witchhunt“ (Labour gegen die Hexenjagd) gegründet.

Die „Hexenjagd-Gegner“ haben einem Informationsstand direkt neben dem Ausgang des Konferenzzentrums in Brighton. Der jüdische Verband JLM trifft sich derweil in der Synagoge der Stadt.

„Nicht aufgeben, bis Jeremy Corbyn weg ist“

„Was wir hier erleben, ist nicht ein Kampf von Juden oder für Juden, sondern ein Kampf um Herz und Seele der Partei“, sagt Ruth Smeeth, eine jüdische Abgeordnete, die sich geweigert hat, aus Labour auszutreten. Labour-Veteranin Margeret Hodge, Tochter eines Holocaustflüchtlings und für ihre Beschimpfung Corbyns als „verdammter Rassist“ berühmt geworden, zeigt ein Flugblatt der rechtsradikalen BNP gegen sie aus dem Jahr 2010, das auch von Linksextremen in den sozialen Medien benutzt worden sei. „Ich werde nicht aufgeben, bis Jeremy Corbyn weg ist“, sagt sie.

JLM-Vorsitzender Michael Katz bedauert am Ende der Veranstaltung, er könne nicht garantieren, dass es JLM nächstes Jahr – dabei meint er auch das am Sonntagabend bevorstehende nächste jüdische Jahr – noch gebe. Das hänge auch vom EHRC-Urteil ab.

Beim Parteitag 2018 hatte sich Labour von der internationalen Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Allianz (IHRA) distanziert, weil sie darin das Recht auf Kritik an Israel gefährdet sah.

Rund die Hälfte aller Parteitagsdelegierten trägt dieses Jahr Aufdrucke der Palästina-Solidaritätsbewegung samt palästinensischer Fahne auf den Umhängebändern ihrer Konferenzausweise. Beim Infostand der lange von Corbyn geführten Palästina-Solidarität liegen Israel-Boykottaufkleber. Drinnen diskutieren die Delegierten über einen Antrag zu einer „ethischen Außenpolitik“, der sich vor allem für „das Recht der Rückkehr von Palästinenser*Innen nach Hause und das kollektive Recht auf Selbstbestimmung“ einsetzt“, für den „Stopp jeglichen Waffenhandels, der mit der Verletzung der Menschenrechte von Palästinenser*Innen in Verbindung steht“ und gegen „Handelsverträge, welche die Rechte von Palästinensern verletzen“.

Getragen wird der Antrag unter anderem von der Gruppe Jewish Voces of Labour (JVL), vor einigen Jahren von Corbyn-treuen jüdischen Labourmitgliedern als Gegenstück zur etablierten JLM gegründet. Zu ihrer Nebenveranstaltung in Brighton hat JVL den revisionistischen antizionistischen Historiker Ilan Pappe und die ehemalige israelisch-palestinänische Knesset-Abgeordnete Hanin Soab eingeladen.

Als JVL-Mitglied, sagt im Plenum Vanessa Stilwell, sei sie eine von 1.000 Juden, die bei Labour niemals Antisemitismus erlebt hätten und die Corbyn als „den antirassistischsten Parteiführer, den die Partei je hatte“, ansehen. Der Saal, der bei voller Kapazität bis 5.000 Delegierte aufnehmen kann, bricht in Beifall und Applaus aus, bei stehenden Ovationen werden palästinensische Fahnen gewedelt. Solidarität für die palästinensische Sache wird mit Verleugnung jeglichen Antisemitismus in der Partei gemischt.

Beschlossen wurde ein Schnellverfahren, das der Parteiführung erlaubt, bestimmte Fälle von Antisemitismus direkt dem Parteivorstand vorzulegen

Barnaby Marder, ein langjähriger jüdischer Labour-Aktivist, erklärt auf seiner Facebookseite einen Tag später, dass ihn das zum Entschluss brachte, endgültig aus Labour auszutreten.

Eine Debatte zum Antisemitismus wurde hingegen auf den Samstag verlegt, den jüdischen Feiertag, trotz des Hinweises der JLM, dass jüdisch-religiöse Genoss*Innen dann möglicherweise nicht teilnehmen könnten.

Beschlossen wurde ein Schnellverfahren, das der Parteiführung erlaubt, bestimmte Fälle von Antisemitismus direkt dem Parteivorstand vorzulegen. JLM-Vorsitzender Katz kritisierte, dass damit keine unparteiische Instanz urteile, sondern ein politisches Gremium: „Dadurch könnten Fälle in derartigen Schnellverfahren zugunsten der Partei entschieden werden.“

Doch er gestand, dass viele wie die Labour LGBTQ+-Gruppe trotzdem aus Besorgnis dafür gestimmt hätten. Denn unter den Gegnern waren Corbyn-treue Personen, Gruppen und Gewerkschaften, welche der Auffassung waren, dass keine Sonderregelungen notwendig seien, da Labour schließlich kein Antisemitismus-Problem habe.

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10 Kommentare

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  • Die Karikatur auf dem Bild am Bauzaun ist von dem Brasilianer Latuff, der für seine Gleichsetzungen von Gaza mit dem Warschauer Ghetto bekannt ist. wiki.



    Billige Masche.



    während die Alte Linke Israel als Kolonisateur Englands und Palästina aus Befreiungsbewegung sieht, ist Labour gespalten wegen der Remain-Leave-Frage.

  • "Rund die Hälfte aller Parteitagsdelegierten trägt dieses Jahr Aufdrucke der Palästina-Solidaritätsbewegung samt palästinensischer Fahne auf den Umhängebändern ihrer Konferenzausweise." Ist also die Hälfte der Delegierten antisemitisch? Ganz ehrlich, ich glaue nicht, dass das so lange einer kritischen Öffentlichkeit und den Tabloids entgangen wäre. Oder haben wir hier einen Fall von Blitzkonversion zum Antisemitismus vor uns? Handelt es sich beim (vielleicht nur angeblichen) Antisemitismus Labours um ein Phänomen der letzten drei Jahre? Gab es also bis vor wenigen Jahren eine Verschwörung zur Vertuschung des antisemitisachen Wesens Labours? Oder ist gerade eine Kampagne im Gange?

    • @My Sharona:

      Nö, es gibt einfach Anlass für viele Labours ihrem Antisemitismus einfach freien Lauf zu lassen. Abgesehen davon, dass unter Corbyn super viele Leute aus der antiisraelischen Linken in die Partei eingetreten sind. Im Übrigen ist natürlich die Frage 'ist dann die Hälfte der Delelegierten dann antisemitisch?' in ihrer Implikation etwas absurd. Egal wie verwerflich politische Positionen sein können, eine Mehrheit für sie findet sich schnell.

      • @LesMankov:

        "..Anlass für viele Labours ihrem Antisemitismus einfach freien Lauf zu lassen." Greift mir zu kurz, ist aber wenigstens eine Antwort. Dass Positionen, die den Finanzkapitalismus kritisieren, mitunter unbewusst an Nazisprech anschließen ist bekannt. Das Antiimperialismus in extrem einseitige Israelkritik umschlagen kann auch, aber was soll eine "antiisraelische Linke" sein?

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @My Sharona:

      Es ist keine Kampagne. Es sei denn man sagt, der Überbringer der Nachricht ist der Böse.

      Lesen Sie hier:

      de.wikipedia.org/w...smus-Vorw%C3%BCrfe

      Und hier:

      www.nzz.ch/interna...r-party-ld.1408991

      Und hier:

      www.zeit.de/politi...ng-grossbritannien

      Und hier:

      www.mena-watch.com...chen-labour-party/

      Und hier:

      www.stuttgarter-na...-c059ac683607.html

      Und so weiter und so fort. Die "Kampagne" läuft, seit es die Vorwürfe gibt.

      Das ist immer so bei Antisemitismus-Vorwürfen.

      Sie stimmen nie.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        OK. Meine Frage neu formuliert: Warum diese "Vorwürfe" in den letzten Jahren erst? Gab es bis dahin das große, außerordentlich erfolgreiche Verschleierungsmanöver? Lassen jetzt alle die Maske fallen, die bis dahin in Labour so diszipliniert an der Täuschung der Öffentlichkeit gearbeitet haben? Ist Corbyn der große moralische Verderber? Beinahe omnipotent, nur an den härtesten New-Labour-Köpfen sich die Zähne ausbeißend?

        Ich bin der letzte, der abstreiten würde, dass es auch auf der Linken Antisemitismus geben kann, aber mir kommt es wie ein politisch motiviertes Zerrbild vor, die Partei so zu charakterisieren.

        Als Antwort auf Ihre letzte, wohl ironisch gemeinte Bemerkung: Schade, dass Sie sich der schwarz/weiß-malenden Diskursverweigerung hingeben. Das ist billig und weder moralisch noch intelektuell besser als die Umkehrung (die ich Ihnen nur zu Demonstrationszwecken vorführe): Antisemitismus-Vorwürfe? Die stimmen immer (= bringen jedeN in die Defensive; verlagern immer die Diskussion; irgend etwas bleibt immer hängen; kurz: die unsäglich "Keule"). JedeR von uns kann sich diesen albernen Dynamiken entziehen und sich um Mäßigung und Differenzierung bemühen.

        • 8G
          88181 (Profil gelöscht)
          @My Sharona:

          Schon gut, vergessen Sie die Bemerkung.

          Ich denke mit der Wahl Corbyns, der schon vor seiner Wahl mehr als fragwürdige Positionen vertreten und sich mit ebenso fragwürdigen Personen umgeben hat.

          In seiner Wikipedia-Biografie gibt es extra einen Passus, der diese Problematik abhandelt.

          Mit seiner Wahl wurden dann antisemitischen und antizionistischen Positionen Tür und Tor geöffnet.

          Auf die darauf folgenden Vorwürfe hat Corbyn reagiert wie die AfD auf Nazi-Vorwürfe.

          Zugeben, was man nicht mehr leugnen kann, ansonsten zurückweisen, die Störenfriede verunglimpfen und die antirassistische Fahne energisch schwenken.

          Für viele jüdische Labour-Mitglieder war das schwer zu verkraften. Auch, weil niemand auf sie zu ging.

          Vielleicht auch, weil es mehr muslimische Wählerinnen und Wähler als jüdische gibt.

          Wobei Antizionisten meist Überzeugungstäter sind und gar nicht anders können.

          Und es ist wirklich so wie fast immer: Das eigentlich Schlimme ist, dass die Vorwürfe erhoben wurden und nicht, dass sie stimmen könnten.

  • 8G
    87233 (Profil gelöscht)

    Selbstzerstörung zu einem Zeitpunkt wo diese Partei notwendige den je ist.



    Katastrophal.

    • @87233 (Profil gelöscht):

      Wenn 2 mit Auto aufeinander zurasen,



      muss einer nachgeben.



      Tut das Einer von Beiden nicht, tritt die Zerstörung ein.