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„Hubert Ulrich ist ein Mafioso“

DANIEL COHN-BENDIT Der Grünen-Politiker über Jamaika im Saarland und die Perspektiven der Grünen

Daniel Cohn-Bendit

■ 64, ist Co-Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europäischen Parlament und gilt als Vordenker des Realo-Flügels der Grünen.

taz: Herr Cohn-Bendit, wie beurteilen Sie die Entscheidung der saarländischen Grünen für eine Jamaika-Koalition?

Daniel Cohn-Bendit: Man darf die Saarland-Geschichte nicht überschätzen, sie wurde von sehr speziellen Personen entschieden. Saarlands Grünen-Chef Hubert Ulrich halte ich seit langem für eine zweifelhafte Persönlichkeit. Er ist ein Mafioso.

Wie bitte?

Er hat die Partei auf sich zugeschnitten. Wenn die Hälfte der Parteimitglieder aus dem Kreisverband des Landesvorsitzenden kommt, ist das ein Problem. Das erinnert doch an Sizilien. Ich halte auch das Argument, durch Lafontaines Rückkehr drohe ein Schattenministerpräsident, für vorgeschoben. Natürlich hatte sich Ulrich schon vor der Nachricht, dass Lafontaine den Fraktionsvorsitz im Bund abgibt, für Jamaika entschieden.

Was hätten die Grünen dort stattdessen tun müssen?

Die Grünen sind im Saarland nicht stark genug für die Regierung, sie stellen im Parlament nur drei Abgeordnete. Sobald sie den Koalitionsvertrag unterschrieben haben, werden sie nicht mehr existent sein. Besser wäre gewesen, eine Minderheitenregierung aus CDU und FDP oder SPD und Linken zu stützen. Dann wären die Grünen jahrelang ein machtpolitischer Faktor geblieben. Keine Entscheidung hätte ohne sie getroffen werden können.

Das heißt, die erste Jamaika-Koalition Deutschlands hat keinerlei Signalwirkung?

Richtig. Das Saarland ist das Saarland ist das Saarland.

Wirklich? Die Grünen positionieren sich als Scharnierpartei in der Mitte, die sowohl mit Schwarz-Gelb als auch mit Rot-Rot funktionstüchtig ist.

Mag sein. Die Realität ist immer ein Signal, zugegeben. Aber das Saarland ist inhaltlich irrelevant. Das wichtige Ereignis ist die Landtagswahl Nordrhein-Westfalen, hier kommt es darauf an, eine gesellschaftliche Position gegen das Modell Schwarz-Gelb aufzubauen.

Die Linken können jetzt in Nordrhein-Westfalen plakatieren: Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern.

Ja, das könnte die Linke tun. Aber Debatten auf der Wahlkampfebene führen nicht weiter. Sie garantieren, dass Schwarz-Gelb der Sieger für lange Zeit bleibt. Grüne und Linke haben eine historische politische Verantwortung, sie müssen die Diskussion rationalisieren. Und sich fragen: Was können wir, jede Partei für sich, einbringen, wenn es gilt, Ökologisierung und soziale Frage zusammenzudenken?

Durch eine Fünf-Parteien-Landschaft und die stetige Abfolge von Landtagswahlen ergibt sich doch eher eine Dauertaktiererei.

Das ist in der Tat eine Gefahr. Doch ich bin fest davon überzeugt: Es wird nicht reichen, in den letzten Monaten vor der nächsten Wahl zu rufen, bäh, Schwarz-Gelb hat alles falsch gemacht. Stattdessen müssen gerade Grüne und Linke ab sofort einen alternativen Entwurf aufbauen, weil Schwarz-Gelb bei den entscheidenden Fragen die falschen Antworten gibt. Dieser Dringlichkeit muss sich Taktiererei unterwerfen.

In NRW wird der linke grüne Landesverband im Zweifel vor allem der SPD Stimmen rauben. Wie soll da eine rot-rot-grüne Mehrheit gewonnen werden?

Die Sozialdemokraten haben NRW zu lange als ihr Eigentum betrachtet. Die SPD muss sich bewusst machen, dass sie stärkster der drei sein wird. Aber sie muss aufhören zu glauben, sie sei eine 40-Prozent-Partei. Jede der drei Parteien bringt bestimmte Inhalte ein, und über diese sollte es im Vorfeld der Wahl eine breite gesellschaftliche Debatte geben. An der Gewerkschaften, Umweltverbände, Bürgerinitiativen und Migrantenorganisationen beteiligt sind. Dann wird die alternative Mehrheit zwar nicht selbstverständlich, aber eine reale Option. INTERVIEW: ULRICH SCHULTE ULRIKE WINKELMANN

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