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Klangkunstfestival in AppenzellVom All in den Stall

Was Insekten als Vibrationen wahrnehmen: Beim „Klang-Moor-Schopfe“-Festival in der Schweiz sind sensationelle Klanginstallationen zu bestaunen.

Im Innern eines Heuschobers: Lautsprecher am Boden Foto: Kasimir Höhener

Wer ist nicht schon mal fasziniert vor einer Klanginstallation in einem Museum oder einer Galerie stehengeblieben? Die magische Anziehungskraft funktioniert auch bei einem relativ überschaubaren Audiofestival namens „Klang-Moor-Schopfe“, es findet auf der grünen Wiese statt, genauer in einem Hochmoor bei Gais im Schweizer Halbkanton Appenzell Ausserrhoden.

Von der Bahnstation Schachen, einem „Halt auf Verlangen“, sind es noch zehn Minuten zu Fuß bis zum Schießstand der Sportschützen Gais, der temporär zum Festivalzentrum umfunktioniert wurde. Im Umkreis von 500 Metern stehen dann elf Holzhütten, malerisch ins Moor gepflanzt, die für zehn Tage statt landwirtschaftlichem allerlei audiotechnisches Gerät beherbergen.

Nach der Premiere 2017 versammelt das Festival nun zum zweiten Mal ein internationales Best-of – funktioniert allerdings als entspanntes Familientreffen, wo zunächst weder klar noch wichtig wird, wer in diesem kleinen Gewusel denn nun als Sounddesigner, freiwillige Helferin, Podcaster, einheimischer Bauer (und vielleicht Hüttenbesitzer), Landschaftsarchitektin oder einfach nur Spaziergänger anwesend ist.

Über dem einen und anderen „Schopf“, wie die einfachen Holzstadel hier genannt werden, schwebt durchaus der Spirit von Roman Signer oder Norbert Möslang, beide aus der Gegend, einigermaßen weltbekannt und 2017 mit eigenen Installationen vertreten. Soundinstallateure arbeiten gerne transdisziplinär, wie auch der Maler Albert Oehlen, der seit vielen Jahren in Gais lebt und jetzt mit von der Partie war: an einem Abend als DJ, an einem anderen als Performer mit Wendy Gondeln feat. Norbert Möslang.

Murmeln und Gurgeln

Man pilgert von Schopf zu Schopf durch „totales Pflanzenschutzgebiet“, wo sowieso schon Bächlein sonder Zahl vor sich hin murmeln und gurgeln und schäumen, und wundert sich dann nicht mehr groß, dass fast die Hälfte der Installationen ökologische Themen verhandeln, den heiseren Pfiffen der allstündlich vorbeituckernden Appenzeller Bahn zum Trotz.

Man hört die Bienen im Inneren eines Bienenstocks endlich mal beim Call and Response

Mit Message und High-End-Multimedia schier überfrachtet ist das US-österreichische „Noise Aquarium“, das die Reaktion von Plankton auf Lärm untersucht, fast unbeholfen dagegen das Land- und Soundscape-Projekt „A hoch 3“, das dem Thema Wasser in der chilenischen Atacamawüste, im Amazonas-Gebiet und in den Alpen nachspürt, als work in (noch wenig) progress.

In Schopf 5 der Luxemburgerin Nika Schmitt dann ein, nach aller Ambitioniertheit in Technik und Aussage, wohltuend einfacher Ablauf: An Schnüren auf- und absteigende Magneten treffen unten auf mittig montierte Blechscheiben und geben sie auf dem Rückweg wieder frei, das knallt und reibt und schwirrt und scheppert, suggeriert manchmal einen Rhythmus, der aber gleich wieder verebbt. Hier ist man Ohren- und Augenzeuge eines kinetisch-klanglichen Prozesses, der ganz ohne Mikros und Lautsprecher auskommt, im Lauf der zehn Festivaltage infolge Materialermüdung immer mehr abflacht und sich zu guter Letzt sogar selbst erledigen würde.

Geräuschkulisse einer Autopsie

Schopf 6 von Ludwig Berger: Wie tönt es im Inneren eines Bienenstocks? Was die Insekten als Vibrationen wahrnehmen, über die sie miteinander kommunizieren, klingt für uns wie ein opulentes Call-and-Response-Repertoire. Der Däne Jacob Kirkegaard fängt in Schopf 9 mit Hingabe und empfindlichsten Mikrofonen etwas Unerhörtes ein, das in seinem geschlossenen Ablauf wie eine intime Suite anmutet: die Geräuschkulisse einer Autopsie. Theatralisch überzeugend agiert der Schweizer Dimitri de Perrot, auch wenn die Stimmen seiner unsichtbaren Schauspieler im mit rostigem Wellblech ummantelten Schopf 2 nur gut getaktete Zahlen aufsagen.

Patrick Kessler, Initiator und künstlerischer Leiter von „Klang-Moor-Schopfe“ und selbst experimenteller Musiker, freut sich über den regen Besuch aus nah und fern. Er beobachtet aber auch, dass die ganze Soundartistik inzwischen recht schick geworden ist, und will sein Festival nicht zu groß werden lassen. Er weiß auch noch nicht, ob er das Carte-Blanche-Konzept zukünftig aufrecht erhalten will. Zwischen fast bedrohlich perfekten Hochleistungs-Acts und dem unschuldigen Anything Goes anderer Projekte ist die programmatische Balance gar nicht so einfach herzustellen.

Am Samstagabend mischt „A hoch 3“-Mitglied Luisa Lemberger aus Brasilien spontan beim Auftritt der Schweizer Gesangselektronikerin Julie Semoroz mit, der sich mühelos zu einem betörenden Konzert auswächst, unkonventionell, aber auch ohne jede Überforderung: Klangmalerei, die sich ständig verwandelt, bloß nicht in Musik.

Eingefleischte Nerds, verdutzte Spaziergänger

Auf dem Gelände herrscht das ganze Wochenende über ein vielsprachiges Gespräch zwischen eingefleischten Nerds und überraschten Passanten, man sieht andächtiges Lauschen kleiner Menschentrauben bei den kundigen Führungen, vereinzelt auch Kopfschütteln, etliche entrückte Mienen und verzückte Gesichter. Was will man mehr? Ein krönendes Finale natürlich!

Zum „Ausblasen“ am verregneten Abschlussabend ist der schwedische Saxofonist Mats Gustafsson angereist. Schon beim Soundcheck, als sich für einen Moment die schalldichte Schiebetür des Schießstands öffnet, traut man seinen Ohren kaum. Da ist, auch wenn der Freejazzer sein Instrument dann im Konzert nach alter Väter Sitte malträtiert, plötzlich wieder echtes Fleisch am Knochen, sprich: tatsächlich so etwas wie Musik im Spiel.

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