Ausstellung in Frankfurt/Main: Klassenbewusst und humoristisch
Eine Schau der norwegisch-schwedischen Künstlerin Hannah Ryggen in der Schirn Kunsthalle zeugt von der Wirkmacht von Wandteppichen.
Wütend und eilig webt die schwedisch-norwegische Künstlerin Hannah Ryggen (1894–1970) im Herbst 1935 innerhalb eines Monats einen monumentalen Wandteppich mit dem Titel „Etiopia“. In ihrer reduzierten figürlichen Klarheit zeugt die Arbeit von politischer Dringlichkeit: Unter dem faschistischen Diktator Benito Mussolini besetzten italienische Truppen kurz zuvor das heutige Äthiopien.
Ryggen bezieht in der bühnenartigen Inszenierung der Figuren des Ereignisses eindeutig Position. Im Sinne einer Solidaritätsbekundung lässt sie einen äthiopischen Kämpfer einen Speer durch den Kopf des Faschisten Mussolini stoßen.
In unmittelbarer Nähe zu Picassos berühmtem Antikriegsbild „Guernica“ konnte die ausgebildete Malerin diese Arbeit auf der Weltausstellung in Paris 1937 nur zensiert präsentieren: Der entsprechende Bildteil wurde aus „diplomatischer Rücksicht“ umgeklappt. Mit seiner radikalen Bildgeste steht „Etiopia“ für den politischen Anspruch der autodidaktischen Weberin. Dieser bildet den Ausgangspunkt ihrer Ausstellung in der Schirn Frankfurt.
Flankierend zu Norwegens Gastauftritt auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist die Einzelausstellung mit 25 gezeigten Tapisserien der erste umfassende Einblick in Hannah Ryggens Œuvre in Deutschland. Anhand von räumlich strukturierten Schwerpunkten wird ein thematischer Bogen gespannt, der eine fruchtbare intertextuelle und mediale Ambivalenz offenbart.
Die Präsentation beginnt mit Ryggens „gewebten Manifesten“, bildlichen Statements zu soziopolitischen Ereignissen wie der Hinrichtung der antifaschistischen Widerstandskämpferin Liselotte Herrmann oder der Verurteilung des Friedensaktivisten Carl von Ossietzky durch die Nazis.
Darüber hinaus umfasst sie gewobene Geschichten zur norwegischen Kunstszene oder Anliegen des alltäglichen Lebens. Neben einer großflächigen Verbildlichung des autarken familiären Lebens in „Vi og våre dyr“ (Wir und unsere Tiere, 1934), zeugt auch die Arbeit „Fiske ved gjeldens hav“ (Fischen im Schuldenmeer, 1933) von Ryggens ausgeprägtem Klassenbewusstsein: In zwei Bildebenen stellt sie mithilfe einer expressiven Farb- und Flächenkomposition das ums Überleben kämpfende Proletariat sowie gierige Schuldeneintreiber und Bankangestellte dar.
Die Präsentation untergräbt die Brisanz
Mit dem Triptychon der „unverheirateten Mutter“ (Ugift mor, 1937) und dem collagenartigen Motiv einer problematischen Mutter-Kind-Beziehung greift sie in ihren Bildteppichen aus Wolle und Leinen zudem feministische Themen auf. So wird Hannah Ryggens Verständnis des Mediums als öffentlicher Kommentar deutlich.
Sicherlich kann die Ausstellung an aktuelle Thematiken anknüpfen: Die größte Arbeit „Vi lever på en stjerne“ (Wir leben auf einem Stern, 1958) entstand für das Osloer Regierungsgebäude. Bis heute trägt der Wandteppich die Narben, die das Bombenattentat des rechtsradikalen Anders Breivik im Juli 2011 hinterließ. Damit erinnert das Werk auch an die 69 von Breivik getöteten Teilnehmenden eines Jugendsommerlagers der Arbeiderpartiet.
läuft bis 12. Januar 2020, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Der Katalog (Prestel Verlag) kostet im Museum 29, im Buchhandel 42 Euro
Leider schafft es die Ausstellung an dieser Stelle nicht, die Aktualität der Werke auch in ihrer Präsentation zu visualisieren: Nüchterne Wandfarben, eine klassische Hängung und fehlende visuelle Intermedialität exponieren Hannah Ryggens Werke wie archaische Handwerkskunst. Das untergräbt die Brisanz und Wirkmacht der bisweilen humoristischen Wandteppiche, die als agitierende Manifeste beispielhaft von einem politischen Leben in ständiger Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen erzählen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!