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Streit um den BrexitJohnson reist zu Juncker

Im Streit um Großbritanniens Ausscheiden aus der EU bewegen sich die Fronten: Am Montag trifft sich Premier Boris Johnson mit Jean-Claude Juncker.

Mit Backstop oder ohne? Boris Johnson muss einen Weg aus dem Brexit-Dilemma finden Foto: ap

Brüssel taz | Die Fronten beim Brexit sind verhärtet, Großbritannien und die EU steuern auf einen unkontrollierten Austritt zu. London habe keine konstruktiven Vorschläge gemacht und sich nicht auf die Europäer zu bewegt, erklärte EU-Verhandlungsführer Michel Barnier noch am Donnerstag.

Doch nun bewegen sich immerhin die Chefs: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der britische Premier Boris Johnson wollen sich am Montag in Luxemburg treffen, um mögliche Kompromisse auszuloten. Sechs Wochen vor der Deadline am 31. Oktober keimt wieder Hoffnung auf.

Dabei ist völlig unklar, worüber Juncker und Johnson eigentlich reden wollen. Soll es um den Backstop gehen, der eine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland verhindern soll, und den Johnson unbedingt streichen will? Oder geht es um eine neue Verlängerung?

Die EU-Kommission hält sich bedeckt. Eine Juncker-Sprecherin konnte nicht einmal schlüssig erklären, warum man sich in Luxemburg trifft – und nicht wie üblich in Brüssel. Man wolle auf „neutralem Boden“ reden, hieß es erst. Juncker sei auf dem Weg nach Straßburg, sagte sie dann.

Zankapfel bleibt die Grenze zu Irland

Widersprüchlich sind auch die Angaben zum aktuellen Stand der Verhandlungen. Nach Darstellung der EU-Kommission haben sie bisher – wenn überhaupt – nur auf „technischer Ebene“ stattgefunden. London habe dabei keine Alternative zum umstrittenen Backstop vorgelegt, so Barnier.

Doch die Briten stellen dies ganz anders dar. Der Brexit-Beauftragte David Frost habe am Mittwoch Pläne für „Irland-spezifische“ Regeln vorgelegt, die den Backstop ersetzen sollen, meldet das Portal „Politico“. Um eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland zu vermeiden, sollen „alternative Zoll-Prozeduren“ mit Kontrollen jenseits der Grenze entwickelt werden.

In Brüssel stößt dies nicht auf Begeisterung, in Dublin noch weniger. Irlands Regierungschef Leo Varadkar sagte, man sei zwar breit, über Alternativen zu diskutieren. Aber die Vorschläge der Briten seien sehr unzureichend. Es werde bis zum letzten Moment gegen einen „harten“ Brexit gekämpft – allerdings nicht um jeden Preis.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass das britische Nordirland auch nach dem Brexit zunächst im europäischen Binnenmarkt oder in der Zollunion bleibt. So würde die Zollgrenze mit der EU nicht quer durch Irland, sondern durch die irische See verlaufen; bis zu einer endgültigen Lösung wäre Nordirland von der britischen Insel abgekoppelt.

Druck auf Boris Johnson wächst

Bisher hat die nordirische DUP-Partei das verhindert. In Brüssel spekuliert man jedoch, dass die DUP für Johnson keine große Rolle mehr spiele, da er ohnehin keine Mehrheit im Unterhaus mehr habe. DUP-Chefin Arlene Foster erteilte diesen Gedankenspielen jedoch eine Absage. Sie erklärte auf Twitter, ihre Partei akzeptiere keinen Brexit-Vertrag, der den Binnenmarkt Großbritanniens spalte. „Das Vereinigte Königreich muss als eine Nation austreten.“

Immerhin ist der Druck auf Johnson gestiegen, sich um eine Einigung mit der EU zu bemühen. Das britische Unterhaus hat ein No-No-Deal-Gesetz beschlossen, das den Premier verpflichten soll, einen weiteren Aufschub beim Brexit zu beantragen, wenn es bis zum 19. Oktober keinen Deal mit Brüssel gibt.

Johnson will, so meinen Beobachter in Brüssel, nun wenigstens so tun, als wolle er wirklich verhandeln. Das Treffen mit Juncker kommt ihm da gerade recht.

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6 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Boris Johnson richtet derzeit ein Kettensägenmassaker bei den Tories an - anders kann das nicht mehr beschrieben werden.

    Als Theresa May Premiere war hatte sie noch eine Mehrheit von 10 Abgeordneten. Mittlerweile haben 44 Tories die Partei verlassen - oder sind rausgeschmissen worden - auch ein Enkel von Winston Churchill ist dabei.

    Der erneute Schlag gegen Boris Johnson ist der Austritt des ehemaligen Minister für Hochschulen, Sam Gyimah.

    Er kehrte den Tories drastisch den Rücken und lief zu den Liberaldemokraten über.

    Den Premierminister Johnson beschuldigte er "zum Populismus und zum englischen Ultra-Nationalismus zu tendieren".



    Sam Gyimah: "Ich bin ein Ausgestoßener in der Tory-Partei"

    Gyimah erklärte, er habe die Konservativen verlassen, um gegen die ""verbrannte Erde Politik"" der Regierung zu kämpfen, die den Brexit, ungeachtet der Kosten durchsetzen wolle.

    Die Lib-Dems repräsentieren momentan ca. 20% (+-) der Wähler und haben gerade beschlossen dafür zu votieren den Artikel 50 (die Austrittsankündigung) schlichtweg zurück ziehen zu wollen.

  • Man muss jetzt im Ganzen denken, es geht um viel mehr als die Mitgliedschaft des UK in der EU. Die faktische verfassungskrise des UK betrifft nämlich in ähnlicher Weise die ganze EU. Hier ist das Problem der Ungelichgewicht der einzelnen Staaten weit entfernt on einer Lösung. Gleichzeitig aber können kleine Mitgliedsstaaten wichtige Entscheidungen blockiern oder verzögern. Dazu kommt die sehr unterschiedlich Verfassungsrealität in einzelnen Staaten. So zum Beispiel Ungarn, Polen Italien.



    Der einzig mögliche Ausweg ist der nach vorne. Die EU muss vom Staatenbund zu einem Föderaltstaat werden. Mit einer übergeordneten Verfassung und auch Regierung. Das kann, sonst kann D nicht mitmachen, nur auf basis einer verfassung nach Vorbild des deutschen GG sein.



    Wir müssen allerdings die großen Föderaten in kleinere Einheiten aufteilen, um eben so Unwuchten zu vermeiden.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Die Prämissen für das was jetzt folgt sind

    1.. Johnsons Besuch in Berlin und Paris, bei Merkel und Macron, werden in UK als Erfolg gewertet. Mit beiden lassen sich Abkommen schliessen, heißt es nachdem dem guardian ein als freundlich beschriebener diplomatischer Austausch vorliegt.

    2..Boris Johnson betont bei jeder Gelegenheit, auch heute, das er zum 31.10 die EU verlassen wird. Michel Barnier beklagt allerdings, dass UK keine konkreten schriftlichen Vorschläge zum Ersatz des Backstops unterbreitet habe, und das sich sein Optimismus deutlich hinsichtlich einer Lösung verringert hat.

    3..Im Deutschlandfunk erklärte Juncker heute, er sei nicht optimistisch, einen Deal mit Johnson abzuschließen zu können aber fügte die Warnung hinzu, dass ein Brexit ohne Abkommen Chaos hervorrufen wird und es Jahre dauern würde, die Katastrophe wieder in Ordnung zu bringen.O-Ton "Wer sein Land liebt und ich nehme an, dass es in GB immer noch Patrioten gibt, möchte seinem Land kein solches Schicksal wünschen."

    4.. Johnson betreibt momentan in UK Wahlkampf den er nur gewinnen kann, wenn der Brexshit vom Tisch ist. Weiterhin spricht Johnson davon das nach der Prorogation



    (ab 14.10.) das Parlament genügend Möglichkeiten haben wird den Brexit zu diskutieren.

    5..Johnson braucht einen Deal - alles andere wäre für ihn unberechenbar -



    und Juncker möchte vermittelt über Merkel und Macron keine wirtschaftlichen Einbussen - und schon gar nicht Stress in Irland, welches am stärksten nach UK durch einen No-Deal leiden würde.

    6..Johnson hat bei der DUP sondiert wie ein backstop momentan bei den Unionisten angesehen wird - allerdings wie beschrieben - braucht Johnson die DUP Abgeordneten zum Regieren nicht mehr.

    Juncker und Johnson werden Kompromisse beim Backstop eingehen - eine Zwischenlösung - teilweise wird in der irischen See kontrolliert, EU Recht bleibt teilweise in NI erhalten - wobei UK unbehindert nach NI liefern kann.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @06438 (Profil gelöscht):

      Eine typische EU Lösung eben - wobei Johnson die ERG Hardliner von Jacob - Rees Mogg mit einem revidierten Deal zwingen kann, zuzustimmen - weil sonst die Aussicht, einen Austritt aus der EU noch hinzubekommen, immer geringer werden wird - die Zustimmung zum Brexit in UK nimmt rapide ab.