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Proteste in HongkongErstmals schießt die Polizei

Die Demos in Hongkong sind lange Zeit friedlich geblieben. Nun eskalierten sie: Protestierende warfen Brandsätze, ein Polizist gab einen Schuss ab.

Tränengas verschießen sie schon lange: Am Wochenende schoss ein Polizist erstmals aus einer Pistole Foto: ap

Hongkong taz | Nach zuletzt elf Tagen friedlicher Demonstrationen ist in Hongkong am Wochenende die Gewalt wieder eskaliert. Unter dem Jubel von Zuschauern fällten am Samstagabend Demonstranten im Stadtteil Kwun Tong mit einer Kettensäge einen Laternenmast, an dem eine sogenannte smarte Kamera hing. Diese Kameras sind nach Ansicht von Demonstranten mit Gesichtserkennungssoftware ausgerüstet. Hongkongs Regierung weist das zurück. Die „smarten“ Laternenpfähle sammelten lediglich Daten zu Verkehr, Wetter und Luftqualität.

Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei setzten einige Demonstranten in der Nacht zu Sonntag neben Pflastersteinen und Bambusstöcken erstmals Molotowcocktails ein. Ob es wirklich Demonstranten oder Provokateure waren, ist unklar. Die Polizei ging mit Tränengas und Pfefferspray vor und fuhr zum ersten Mal Wasserwerfer auf.

Erstmals gab ein Polizist laut der Agentur AFP aus seiner Dienstpistole während der Demonstration einen Schuss ab. Dies ist erst der zweite Fall, dass ein Polizist in den seit Wochen andauernden Protesten überhaupt seine Schusswaffe gezogen hat. Laut Polizei wurden am Samstag 29 Demonstranten festgenommen. Hongkongs Regierung verurteilte den „Vandalismus“ und die gewalttätigen Demonstranten.

Nach der friedlich verlaufenen Großdemonstration am Sonntag vor acht Tagen mit 1,7 Millionen Teilnehmern, die trotz strömenden Regens für Demokratie und gegen die politische und wirtschaftliche Dominanz Chinas dem Aufruf der Civil Human Rights Front zum Protest gefolgt waren, war Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konflikts aufgekommen. Noch am Freitag hatten 130.000 Menschen friedlich eine Kette quer durch die Stadt gebildet.

Seit drei Monaten kommt es in Hongkong fast täglich zu Demonstrationen, gegen China und die pekingtreue Regierung von Carrie Lam. Viele Hongkonger sehen mit Angst und Wut die zunehmende Aushöhlung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ durch Chinas Regierung. Bei der Rückgabe Hongkongs an China 1997 durch die Kolonialmacht Großbritannien war vertraglich vereinbart worden, dass Hongkong als chinesische Sonderverwaltungszone für 50 Jahre einen autonomen Status genießt.

Forderung nach Untersuchung der Polizeigewalt

Auslöser der Massenproteste war ein Gesetzentwurf, der die Auslieferung von Straftätern an die Volksrepublik China ermöglichen sollte und damit das rechtsstaatliche Hongkonger Justizsystem gefährdet hätte.

Am Samstag kamen 19 prominente Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft zu einer „Plattform für Dialog“ zusammen, die Regierungschefin Lam nach der friedlichen Kundgebung vom 18. August einberufen hatte. Laut der South China Morning Post soll sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer für eine öffentliche Untersuchung der Ursachen der Proteste und der unverhältnismäßigen Polizeigewalt sowie für die endgültige Absage des Auslieferungsgesetzes ausgesprochen haben. Dies sind auch Hauptforderungen der Protestbewegung.

In Shenzhen jenseits der Grenze zu China diskutierten am Wochenende pekingtreue Hardliner andere Lösungsmöglichkeiten der Krise. „Die in Hongkong stationierten Soldaten sind keine Vogelscheuchen, die nur in der Garnison stehen. Sie sind vielmehr ein wichtiger Teil des Prinzips ‚Ein Land, zwei Systeme‘“, sagte die Hongkonger Hardlinerin Maria Tam Wai-chu laut der Global Times, die als Sprachrohr von Chinas Kommunistischer Partei gilt.

Mit Nervosität wird in Hongkong und China der für den 31. August geplanten nächsten Großdemonstration entgegengesehen, die Hongkongs schwerste Krise seit der Übergabe 1997 weiter verschärfen könnte. An dem Tag vor fünf Jahren hatte Peking der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Hongkong eine endgültige Absage erteilt.

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