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Die Kulturszene vor der Sachsen-WahlEs steht was auf dem Spiel

Muss Dresdens vitale Kulturszene Angst vor dem Wahlergebnis in Sachsen haben? Zwischen Kapitulation und Jetzt-erst-recht.

Seit 2015 zieht die Tolerade, Menschen aus Clubszene und Zivilgesellschaft, jedes Jahr durch Dresden Foto: David Hoang

Berlin taz | Es braucht dieser Tage nicht viel, um in Dresden auf das eine Thema zu kommen, das hier alle bewegt. Joachim Klement hat sich in seinem Büro hoch oben im Schauspielhaus gerade gesetzt, da spricht er schon über Jörg Urban, den Spitzenkandidaten der AfD in Sachsen. Jener Partei, die sich zu einer „deutschen Leitkultur bekennt“ und sich in Sachsen eine weitestmöglich entpolitisierte Kultursphäre wünscht. Urban selbst denkt darüber nach, von staatlicher Seite Einfluss auf Spielpläne und Ausstellungen zu nehmen.

„Sehen Sie“, sagt Klement und zeigt auf die Sächsische Zeitung, „der Mann wird hier als ‚wendig‘ bezeichnet. Also: Das ist jemand, der sich beim Kyffhäuser-Treffen des ‚Flügels‘ blicken lässt. Er grenzt sich in keinster Weise vom rechtsextremen Rand ab. Dieser Mann ist alles andere als wendig.“ Klement sagt das mit leiser, heller Stimme, in der dennoch viel Entschlossenheit liegt. Den Zeitungsausschnitt legt er auf den Tisch, „Der Wendige“ ist auch die Überschrift des Porträts. Ein Wort, in dem nicht zufällig auch das Wort Wende steckt.

Joachim Klement ist seit zwei Jahren Intendant des wichtigsten Thea­ters der Stadt, direkt gegenüber dem Zwinger. Klement hat in Graz, Düsseldorf, Bremen und Hamburg gearbeitet, nun erstmals im Osten. Als Wessi. „Da höre ich natürlich oft: ‚Ihr aus dem Westen habt ja keine Ahnung vom Osten.‘ Ja, das stimmt. Umgekehrt gilt das aber auch, ich kenne das Ruhrgebiet sehr gut, das auch seine ganz eigenen Strukturprobleme hat. Dann denke ich, niemand aus Dresden würde dort tot überm Zaun hängen wollen.“

Das Staatsschauspiel weiß, wo es steht. Es hat sich 2014 der Initiative Weltoffenes Dresden angeschlossen, mit „Das blaue Wunder“ kommt hier aktuell ein sehr schlicht gegen die AfD polemisierendes Stück von Volker Lösch auf die Bühne. Das Theater hat auch die „Dresdener Erklärung der Vielen“ unterzeichnet, in der davor gewarnt wird, dass AfD, Pegida und Identitäre Bewegung in Sachsen „Hand in Hand“ arbeiteten. Klement: „Man könnte das als Verletzung des Neutralitätsgebots betrachten. Aber es sind einfach nur Tatsachen.“

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Streitende Stadt

Die Gräben, die sich in Dresden auftun, ziehen sich auch durch die Kulturszene der Stadt. Schriftsteller Uwe Tellkamp war Erstunterzeichner der „Erklärung 2018“, die sich gegen die „illegale Masseneinwanderung“ richtete, die Deutschland „beschädige“. Die stadtweit geschätzte Buchhändlerin Susanne Dagen schwamm in ähnlichem Fahrwasser.

Und erst im Mai gab es Zoff an der Hochschule für Bildende Künste, weil die dortige Bibliotheksleiterin auf der Liste der AfD kandidierte. Student_innen besetzten aus Protest die Bibliothek. Das Positive an alledem: Die Stadtgesellschaft redet, streitet, debattiert wieder darüber, was Konsens ist und was nicht. Und über ihr Dresdenbild.

Das Dresdenbild: ein vielschichtiges Gemälde, mehrfach überpinselt, teils ausgetrocknet, mit ein paar frischen Farbtupfern. Wenn man die Geschichte, die Sozialstruktur, die Selbst- und Fremdwahrnehmung betrachtet, ist wohl keine deutsche Stadt (abgesehen von Berlin vielleicht) komplexer als diese.

Da ist die Besonderheit Dresdens als Residenzstadt, in der Muster des Obrigkeitsdenkens besonders stark ausgebildet waren und der barocke Schein regierte. Da ist der 13. Februar. Da ist das „Tal der Ahnungslosen“ während der DDR-Zeit. Dann die Biedenkopf-Jahre, eine Art Adenauer-Zeit Sachsens. Und so weiter.

Vernetzen gegen Rechts

Die vitale Subkultur- und Kunstszene wird dabei oft übersehen. „Viele machen es sich zu bequem mit dem Bild, das sie von Dresden haben. Es ist immer falsch zu sagen, hier ist das Gute, und dort ist das Schlimme“, sagt Leif Greinus, Betreiber des in Dresden und Berlin ansässigen Verlags Voland & Quist. Greinus, 43, sitzt in der Scheune, einem Kulturzentrum in der Dresdener Neustadt, neben ihm sein Mitarbeiter Björn Reinemer, 32, der zudem Konzertveranstalter ist. Beide sind gebürtige Dresdener.

Selbst Leute, die man eigentlich als progressiv einschätzen würde, haben hier manchmal überraschend altbackene Ansichten

Leif Greinus, Betreiber eines Verlags

In der Gegend rund um die Scheune ballt sich die vielfältige Kultur der Stadt. Mit Cafés, Kneipen und Street-Art, mit einem heterogenen Straßenbild wie in St. Pauli oder Kreuzberg. Darüber hinaus hat Dresden Festivals wie den Schaubudensommer, das Straßenfest Bunte Republik oder das Literatur Jetzt!. „Alle Kulturakteure, die diese Vielfalt verteidigen wollen, sind seit dem Aufkommen von Pegida und dem Erstarken der AfD näher zusammengerückt“, sagt Reinemer, „Wir sind besser vernetzt, sprechen mehr mit einer Stimme.“

Manchmal aber rennen auch sie gegen Mauern mit ihrem Kulturbegriff. „Die Angst vor Neuem und Fremdem ist in Dresden besonders ausgeprägt“, sagt Greinus, „selbst Leute, die man eigentlich als progressiv einschätzen würde, haben hier manchmal überraschend altbackene Ansichten. Als ich zum Beispiel 2003 den ‚Poetry Slam‘ in Dresden etabliert habe, da sagten einige Leute zu mir: ‚So etwas brauchen wir hier nicht.‘ “

Es ist diese verhärtete Klientel, die die AfD in Sachsen gewinnen will. Stimmung gegen weite Teile der Kulturszene macht die Partei schon jetzt. Dem deutschlandweit bekannten Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau will sie die Mittel streichen. Und im Dresdener Stadtrat sorgte ein rechtskonservatives Bündnis aus CDU und AfD Anfang Januar dafür, dass eine von Rot-Rot-Grün geforderte Aufstockung der Mittel für die freie Kulturszene von zwei Millionen auf 400.000 Euro eingedampft wurde.

Bangende Clubs

Muss die Kulturszene Angst vor den Wahlen am 1. September haben?

„Wenn die Politik nach rechts rückt, muss sich die Clubkultur schon fürchten, dass sie wieder ins Fahndungsraster gerät. Denn als Freiraum steht sie ja exemplarisch für das Unbeherrschbare, die Unordnung, den Rausch“, sagt Felix Buchta, Mitbetreiber des Clubs objekt klein a im Dresdener Norden. „Aber wenn man ehrlich ist, macht sich auch Resignation breit. Die Kommunalwahlen im Juni waren sachsenweit nicht gerade berauschend, und etwas bange ist natürlich allen.“

Subkultur wird oft von vornherein abgelehnt.

Elisabeth Heinz, alias DJ Elfaux

Buchta, 31, ein schlanker, ruhiger Typ mit Käppi, lebt seit zehn Jahren in Dresden, er sitzt auf dem Außengelände des Clubs, den er seit zwei Jahren mit einem Kollektiv betreibt. Zudem arbeitet er für den Verein ­Tolerave, der einmal im Jahr die Tanzparade Tolerade ausrichtet. Auch Elisabeth Heinz alias DJ Elfaux, die bereits häufiger im objekt klein a aufgelegt hat, ist auf mehreren kulturellen Feldern unterwegs.

Heinz, 29, gebürtig aus Jena, war zum Beispiel an der im Juni ausgerichteten Konferenz „Raumkon“ beteiligt, auf der über die Zukunft des urbanen öffentlichen Raums debattiert wurde. Events wie diese, sagt sie, seien häufig auf Crowdfunding angewiesen, denn die freie Szene habe es schwer: „Die Arbeit mit der Stadt kann unglaublich zäh sein. Subkultur wird oft von vornherein abgelehnt.“ Solche Sätze fallen mehr als einmal über eine Stadt, die 2025 Kulturhauptstadt Europas werden will.

Hoffen auf die Jungen

So bleibt der Eindruck, dass die Kulturszene zwischen Kapitulation und Jetzt-erst-recht-Attitüde schwankt. Mal schlägt das Pendel zur einen, mal zur anderen Seite aus. So auch bei Schriftsteller Marcel Beyer, der seit 1996 in Dresden lebt. „Es gibt hier einen Hang zur Griesgrämigkeit, den ich überhaupt nicht verstehe“, sagt der 53-Jährige.

„Ich frage mich, ob das mit einer Generation – Menschen meines Jahrgangs und älter – zu tun hat, die diese Verbitterung ausstrahlt. Ich setze auf die jungen Leute. Die werden Ideen haben, die diese Generation gar nicht haben kann.“

Dresden ist zentral, um die Konflikte in der Gesellschaft zu verstehen

Joachim Klement, Theaterintendant

Es ist eine Hassliebe, mit der der in Kiel und Neuss aufgewachsene Beyer über seine Wahlheimat spricht. Beyer besucht auch gern Orte im Umland, die noch viel mehr von lebensweltlicher Verödung bedroht sind. Aber was tun? „Wandertheater helfen sicher nicht. Ich habe den Eindruck, der ganze Kulturbereich kann wenig ausrichten, weil er so in die Defensive geraten ist.“

Es wundert am Ende wenig, wenn Theaterintendant Klement über seine bisherige Dresdener Zeit sagt: „Das, was wir hier an Erfahrungen und Auseinandersetzungen erleben, ist zentral, um die derzeitigen Konflikte in der Gesellschaft zu verstehen. Ich möchte keine Sekunde missen.“

Ob er Angst vor dem 1. September habe? „Angst? Ach Quatsch, überhaupt nicht. Wir haben Haltungen. Und für die stehen wir. Die haben etwas mit lebendiger Demokratie zu tun und mit unerschütterlichem Glauben, dass sich die besseren Argumente durchsetzen.“

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2 Kommentare

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  • 0G
    05031 (Profil gelöscht)

    "... dass eine von Rot-Rot-Grün geforderte Aufstockung der Mittel für die freie Kulturszene von zwei Millionen auf 400.000 Euro eingedampft wurde." boah, schampus! bei einem verhältnis der bevölkerung dresden : minden von 7:1 müssten wir hier mehr als 57.000 euro mehr als im vorjahr bekommen. in minden kriegt die freie szene gerade mal 20.000 insgesamt, soweit mir bekannt. und die szene stellt hier für eine 80.000-einwohner-stadt ohne nennenswerten studentenanteil eine menge auf die füße. ostwestfalen will seinen soli zurück;-)

    • @05031 (Profil gelöscht):

      Dafür können wir nichts, aber bitte vergleichen Sie Ihr Kaff doch mit anderen Käffern. LG