piwik no script img

Rassismus bei StadtverwaltungWeißabgleich beim Blitzer

Ein Schwarzer fährt zu schnell durch eine Radarfalle. Das Amt vermerkt: „Fahrer hat kein deutschstämmiges Aussehen.“ Nun herrscht Empörung.

Warum interessiert Braunschweigs Verwaltung, welche Hautfarbe Verkehrssünder haben? Foto: dpa

Berlin taz | Dass der Schleichweg, auf welchem er von seiner Arbeitsstelle in Wolfsburg nach Hause nach Braunschweig fuhr, eine Tempo-30-Zone ist, wusste Simon nicht. Er hat 55 km/h auf dem Tacho, wird geblitzt – und kurz darauf trudelt die Buße bei ihm ein. Simons Anwalt beantragt Akteneinsicht bei der Braunschweiger Stadtverwaltung und schickt ihm die PDF. Bei einem Vermerk wird er stutzig: „Fahrer hat kein deutschstämmiges Aussehen“.

Simon wurde vor 35 Jahren geboren, deutsche Mutter, englischer, Schwarzer Vater. Er wuchs bei seiner deutschen Familie in Hannover auf. Rassistische Situationen habe er leider sein ganzes Leben erfahren, erzählt er. Überrascht sei er daher nicht gewesen, als er den Vermerk las, aber verärgert. Es sei nicht notwendig, bei einer Verkehrskontrolle auf sein Aussehen hinzuweisen und über seine „Deutschstämmigkeit“ zu spekulieren. „Sowas ist herabwürdigend und unangenehm“, findet er.

Simons bester Freund, der Migrationssoziologe Cihan Sinanoğlu, teilt das Erlebnis auf Twitter mit dem Hashtag #vonhier. Gerade wenn offizielle Behörden des Landes auf diese Art und Weise rassistische Bemerkungen gegenüber Nichtweißen machen, sei es wichtig, das zu thematisieren. „Was hätte man jetzt geschrieben, wenn der Fahrer ein blonder, blauäugiger Schwede gewesen wäre? Hätte man dann genauso darüber gemutmaßt, dass er nicht deutsch aussehe?“, fragt sich Simon.

Der Tweet findet viel Beachtung, die Bemerkungen wird scharf kritisiert. Twitter wäre nicht Twitter, wenn sich nicht auch Kommentaren finden würden, dass das Foto eben „keinen Deutschstämmigen zeige“. Nach der massiven Kritik antwortete der Twitteraccount der Stadt Braunschweig am folgenden Tag mit einem Statement. Es sei ein Fehler passiert und man wolle sich ausdrücklich für diese Formulierung entschuldigen.

Stadt Braunschweig rudert zurück

Gleichermaßen wird in dem Twitter-Statement versucht, zu rechtfertigen, wie es zu dem Fehler kommen konnte: „Wenn nicht einwandfrei geklärt werden kann, wer der Mensch auf einem „Blitzerfoto“ ist, ermittelt die Verwaltung die Fahrerin bzw. den Fahrer.“

Dazu werde die Aufnahme des Blitzers mit dem Foto des Fahrzeughalters aus dem Melderegister abgeglichen und das Ergebnis in einem Vermerk festgehalten. Für Simon ist das keine vernünftige Begründung. „Es wäre doch ausreichend gewesen, wenn man geschrieben hätte, dass die Idenitifkation bestätigt sei.“ Die Stadtverwaltung räumt allerdings auch ein, dass die Begründung in dem Vermerk „natürlich völlig unangemessen“ sei.

Wie es denn nun dazu kommen konnte, dass die Frage nach dem Aussehen und damit zusammenhängend der „Deutschstämmigkeit“ des Fahrers in einer Verkehrskontrolle vermerkt wird, lässt die Stadt Braunschweig dennoch offen.

Auf Anfrage der taz erklärt eine Pressesprecherin, dass die Stadt „unverzüglich nach Bekanntwerden des Tweets die interne Aufklärung in dieser Angelegenheit begonnen habe“. Abgeschlossen habe man diese Aufklärung noch nicht, die zuständige Sachbearbeiterin befinde sich im Urlaub.

Sprach-Schulung für MitarbeiterInnen

Im Twitter-Statement der Stadt wird zudem erwähnt, dass nun alle MitarbeiterInnen der Abteilung „noch einmal für dieses Thema sensibilisiert werden“. Die Pressesprecherin konkretisiert auf Anfrage, dass die Bußgeldstelle mit den MitarbeiterInnen besprechen will, wie die Vorgaben an solche Vermerke „angemessen und sachdienlich“ umgesetzt werden können – dabei solle es auch um eine „angemessene Sprache“ gehen. Mit Rat und Tat soll das städtische Büro für Migrationsfragen zur Seite stehen.

Simon jedenfalls ist froh, dass der Tweet diese Debatte über Alltagsrassismus und Ausgrenzung ausgelöst hat. „Hätte ich mich mit einem Beschwerdebrief an die Behörden gewandt, wäre vielleicht nicht mal eine Antwort gekommen.“ Dank Social Media und der Öffentlichkeit, die dadurch generiert wird, fühle sich die Stadtverwaltung zumindest zum Umdenken gezwungen – obwohl für ihn unklar ist, ob aus öffentlichem Druck oder aus ehrlicher Einsicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Volker Maerz: Wahrnehmung ist eine Funktion aus Erfahrung und Motivation. Womöglich bedingt eine starke Sensibilisierung für den vermeintlich allgegenwärtigen "Alltagsrassismus" auch dessen permanente Feststellung/Markierung. Verrückte Alternativerklärung: Könnte es im vorliegenden Fall eventuell auch so gewesen sein, dass der Fahrzeughalter behördlicherseits korrekt als "Deutscher" ermittelt wurde und der/die dies vermerkende Beamte mit der, von mir aus komplett überflüssigen Feststellung eines "nicht deutschstämmigen Aussehens" einer möglichen Diskrepanzwahrnehmung vorbauen wollte, die auf Seiten eines den Vorgang ggfs. weiter bearbeitenden Kollegen daraufhin unter Umständen hätte auftreten können? Oder erscheint Ihnen die verdammungswürdige Herrenmenschen-Rassistenmentalität bereits unumstößlich erwiesen?

  • [...] Nicht dass der Typ in einer 30er-Zone fast doppelt so schnell wie erlaubt unterwegs war, ist der Aufreger, sondern dass im Zusammenhang mit seiner Identifizierung als Fahrzeugführer seine nicht zu übersehende dunkle Hautfarbe behördlicherseits als "nicht deutschstämmiges Aussehen" umschrieben wurde. Allein diese unbeholfene Behördenverrenkungsprosa zeigt doch das krampfhafte Bemühen darum, die mittlerweile allgegenwärtigen sprachlichen Tretminen vermeiden zu wollen. Wieder daneben! Denn deren Empfindlichkeit steigt stetig.

    Kommentar gekürzt. Bitte formulieren Sie Kritik konstruktiv. Die Moderation

    • @Claudia Beck:

      Der Halter wird über das Kennzeichen identifiziert, die Information ist für den Vorgang eines Fotoabgleichs komplett irrelevant, da sein Aussehen jedem Sehenden offenbar ist, wurde aber dennoch eingetragen. Das legt nahe, dass der Beamte die „Abstammung“ aus anderen als sachbezogenen Gründen für eine irgendwie relevante Kategorie hält. Soetwas ist zu Zeiten, in denen Parteiführer von einer Reinigung des imaginären Volkskörpers predigen für einen Beamten, der dem GG verpflichtet ist, erklärungsbedürftig.

  • In Zukunft darf man dann auch nicht mehr schreiben, dass jemand blond ist ... oder ca 1,75cm groß ... alles diskriminierend ...



    Denn: jede Beschreibung einer Person ist nicht etwa eine Beschreibung sondern ein Angriff, der nur darauf abzielte den Beschriebenen zu beleidigen und Herabwürdigen ... na super! :-/

    • @Franz Georg:

      Zu schreiben, der Fahrer habe "kein deutschstämmiges Aussehen", ist aber keine Personenbeschreibung, sondern eine Spekulation über seine Herkunft und verrät nichts über sein Aussehen. Der Vergleich mit dem Schweden erläutert es ja auch im Text.



      Hier gab die Sachbearbeiterin bloß zu Protokoll, was sie sich unter einem "Deutschstämmigen" vorstellt (oder eben nicht).

  • Wo ist hier der Rassismus?



    Wo ist hier eine Benachteiligung des Schnellfahrers zu finden?



    Worin besteht der Schaden für den Zuschnellfahrer, wenn in einer nichtöffentlichen Notiz eine etwas unbeholfene, aber nicht abwertende Formulierung steht?



    Eine Bezahlung des Bußgeldes und der Vermerk "Ob Sie's glauben oder nicht, ich bin waschechter Deutscher" hätte gereicht.

    • @Eberhard Schmidt:

      Hallo Herr Schmidt,

      auch wenn Ihre Frage scheinbar nur rhetorisch gemeint war und Sie gar nicht in Erwägung ziehen, ernsthaft darüber nachzudenken, hier meine Antwort dazu:

      Der Rassismus besteht zumindest darin, dass 1.) die Behörder überhaupt von phänotypischen Merkmalen Menschen hinsichtlich ihrer Herkunft analysiert und einordnet und 2.) dabei offenbar auch noch speziell People of Color als nicht-deutsch einstuft, nicht aber z.B. Menschen mit besonders hellen Haaren und blauen Augen, und 3.) damit potenziell Nachteile im Verfahren und härtere Repressionen verbunden sind.

      Von Ihrem Text her gehe ich davon aus, dass Sie keine Erfahrung mit Rassismus machen und finde es überaus anmaßend, dass Sie darüber urteilen wie betroffene Menschen sich zu fühlen und damit umzugehen haben. Das obliegt aus Gründen der Erfahrung und Gründen des Respekts einzig den Betroffenen! Zu verstehen, wo in unserer Gesellschaft Rassismus verankert und dazu beizutragen ihn abzubauen, ist die eigentliche Aufgabe für uns Weiße Personen.

      Sie hinken wirklich dem aktuellen Stand der Auseinandersetzung hinterher, wenn Sie noch darüber lesen, OB etwas rassistisch ist, was ein Betroffener eindeutig als rassistisch identifiziert hat und meinen, dass Ihre Einschätzung aus der Ferne qualifzierter sei als deren Analyse.

      • @sahimsa:

        zu 1) phänotypischen Merkmale sind für die Identifizierung einer Person nicht unerheblich ... warum sollte man nicht das Aussehen beschreiben dürfen wenn man das Aussehen einer Person beschreibt? [Wie hilfreich die Beschreibung im konkreten Fall war ist eine andere Frage, schließlich weiß ich ja noch immer nicht, ob betreffende Person asiatisch, dunkelhäutig, arabisch oder sonstwie aussieht ... aber gut]



        zu 2) weshalb unterstellen Sie das?



        zu 3) warum sollte das so sein?