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Verzweiflung auf der „Open Arms“

Die Flüchtlinge könnten in Mallorca oder Menorca an Land gehen – doch hat die NGO eine Bedingung

Aus Rom Michael Braun

Nur wenige hundert Meter liegt die „Open Arms“ am Montag von Lampedusa entfernt. Binnen kürzester Zeit könnte sie in den Hafen der italienischen Insel einlaufen, könnten die 107 Flüchtlinge an Land gehen, die sich noch an Bord befinden. Doch stattdessen steht dem spanischen NGO-Schiff jetzt womöglich eine weitere Reise von mehreren Tagen bevor – Richtung Spanien, nach Mallorca oder Menorca.

Spaniens Regierung bot nämlich einen Hafen des Landes als Ziel für die Flüchtlinge an. Zunächst nannte sie das andalusische Algeciras, das 1.800 Kilometer von Lampedusa entfernt ist. Die NGO Proactiva Open Arms lehnte angesichts der großen Entfernung – sie hätte eine Fünftagesreise bedeutet – das Angebot ab. Zu erschöpft, zu verzweifelt seien die Migranten, die seit fast drei Wochen an Bord sind.

Wie angespannt die Lage auf dem Schiff ist, zeigte sich am Sonntag. Fünf der Flüchtlinge sprangen über Bord, um nach Lampedusa zu schwimmen, wurden jedoch wieder aufs Schiff geholt. Zeugen berichten von Verzweiflungsszenen, von Weinkrämpfen. „Elend sind all diejenigen, die 107 ‚namenlose‘ menschliche Wesen und eine Handvoll Freiwilliger als Geiseln benutzen, um auf ihre Kosten fremdenfeindliche und rassistische Propaganda zu betreiben“, twitterte Proactiva. Kapitän Marc Reig warnte vor einer gefährlichen Eskalation: „Jede Sekunde, die vergeht, rückt die Explosion dieser Bombe näher. Entweder jemand schneidet jetzt das rote Kabel durch und deaktiviert sie, oder die ‚Open Arms‘ wird explodieren.“

Verantwortlich für die jetzt womöglich anstehende absurde Reise ist Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini. Erneut tritt er als Hardliner auf, der keinen Millimeter von seiner Politik der „geschlossenen Häfen“ abzurücken gedenkt.

Allerdings musste Salvini in den letzten Tagen gleich zwei Niederlagen einstecken. Zunächst erklärte ein Verwaltungsgericht am letzten Mittwoch das vom Innenministerium gegen die „Open Arms“ ausgesprochene Verbot, in italienische Hoheitsgewässer einzulaufen, für unwirksam. Dann verfügte Ministerpräsident Giuseppe Conte die Evakuierung von 27 Minderjährigen von der „Open Arms“.

Ähnlich dramatisch wie auf der „Open Arms“ ist die Situation auf dem von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée betriebenen Schiff „Ocean Viking“. Sie liegt mit 356 Flüchtlingen an Bord außerhalb der italienischen Hoheitsgewässer, denn auch ihr verwehrte Salvini mit einer ministeriellen Anordnung die Einfahrt. Nach der Rettung vor zehn Tagen hatte die „Ocean Viking“ Malta und Italien um die Zuweisung eines sicheren Hafens gebeten. Malta hatte mit einem kategorischen Nein geantwortet, Italien dagegen mit Salvinis Verbot.

Physisch geht es den meisten an Bord gut, viele von ihnen leiden jedoch unter schweren Traumata und haben psychosomatische Beschwerden, wie die Besatzung berichtet. Eine Lösung ist jedoch nicht in Sicht.

Proactiva Open Arms dagegen erklärte sich am Montag dazu bereit, dass die Flüchtlinge an Bord nach Mallorca oder Menorca gebracht werden. Allerdings formulierte die NGO als Bedingung, dass die dreitägige Reise auf anderen Schiffen erfolgen müsse. Daraufhin signalisierte Italiens Küstenwache, sie könne diese Aufgabe übernehmen. Damit schlösse sich der Kreis der Absurdität: Der italienische Staat ginge einen großen logistischen Aufwand ein, bloß damit die Geretteten nicht in Italien an Land gehen.

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