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die dritte meinungCarsten Linnemann stammt aus einer ostwestfälischen Parallelwelt, bedauert Sergey Lagodinsky

Sergey Lagodinsky

wurde 1994 ohne Deutschkenntnisse in die 12. Klasse Gymnasium aufgenommen und sitzt heute für die Grünen im Europaparlament.

Wer wissen möchte, wie man ein wichtiges Thema innerhalb eines Tages diskreditiert, der lerne von Carsten Linnemann. Die Sachfrage ist real: Wie integrieren wir Kinder ohne Deutschkenntnisse in unser Bildungssystem. Und zwar so, dass es allen guttut – diesen Kindern, anderen Kindern, dem Schulsystem selbst.

Dass es stattdessen zu einer verkürzten Debatte kam, ist auch der Tatsache geschuldet, dass Carsten Linnemann aus einer Parallelgesellschaft heraus gesprochen hat. Seine Erlebniswelt ist anders als die von vielen von uns, und das hat nur beschränkt mit Migration zu tun. Auch in Berlin oder Hamburg lebt es sich anders als in Ostwestfalen.

Dreieinhalb Jahre bevor Linnemann sein Abitur in Paderborn gemacht hat, war ich in meiner eigenen Parallelwelt angekommen – in der Welt von Flüchtlings- und Aussiedlerheimen in Schleswig-Holstein. Mein Kontakt zu „Deutschen“ beschränkte sich auf die Sozialamtsberaterin. Für mich hieß es, ich solle mit meinen 18 Jahren zehn Monate auf einen Sprachkurs warten, bevor ich auf eine Schule oder Uni darf. Dass ich doch ein Jahr vor Linnemann deutsches Abitur machen konnte, habe ich einem Schulleiter zu verdanken, der mich ohne Deutschkenntnisse aufgenommen hat. Erst dadurch konnte ich die Parallelwelten meiner russisch- und albanischsprachigen Wohnheime verlassen und täglich in die Parallelwelt von Linnemann eintauchen.

Die Ausgangspunkte einer heterogenen Gesellschaft sind unsere Parallelwelten. Meine Erfahrungswelt war sicher eine andere als die heutige Schulwelt in Neukölln oder die von den Großstadteltern, die häufig ihre Kinder auf Privatschulen schicken müssen, um ihnen noch gute Bildung zu sichern. Doch bei allen Unterschieden bleibt eines die Konstante: Schulen bringen unsere Parallelleben zusammen und verknüpfen sie zu einer Gesellschaft. Daher habe ich einen einzigen, aber grundsätzlichen Widerspruch zu dem, was Linnemann sagt: Es darf kein Kind geben, das auf einer Schule nichts zu suchen hat. Über alles andere können wir gerne diskutieren.

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