Die Küche Brandenburgs: „So was essen wir nicht!“
Das kulinarische Notstandsgebiet hat seine Nischen. Und statt Mixed Pickles liegt heute fast überall Salat aus regionalen Gärten in der Schüssel.
Gute Küche scheint den Brandenburger abzuschrecken. „So was essen wir nicht“, sagt der Ranger vom Naturpark Dahme – Heidesee, als wir über die Friedersdorfer Alte Mühle sprechen, wo eine frische, regionale, liebevoll zubereitete einfache Küche angeboten wird. In Brandenburg liebt man es grob in Öl ausgebacken, dazu große Salatblätter neben fettigen Bratkartoffeln, die hauptsächlich salzig schmecken. Derbe Hausmannskost.
Das ist Standard. Jedenfalls rund um den Naturpark Dahme – Heidesse. Brandenburgs Männer sind die regionalen Spitzenreiter beim Fleischverzehr, so der Fleischatlas des BUND. Und Wildbraten mit Rotkohl für 9,50 Euro im Buchholzer Stübchen in Märkisch Buchholz entspricht ganz den lokalen Vorlieben. Es wäre durchaus möglich, einfache ländliche Kost ohne Tiefkühlung und Mikrowelle zu servieren. Nur geht das nicht für 9,50 Euro. Geld ist der Schlüssel zum Geschmack.
Den findet man in den touristischen Hotspots Brandenburgs. Drei Brandenburger Küchenchefs haben einen sternewürdigen Ruf erkocht. 2019 können sich das kochZIMMER und das Friedrich Wilhelm in Potsdam sowie das 17fuffzig im Spa-Hotel Bleiche in Burg (Spreewald) mit jeweils einem Michelin-Stern schmücken. Potsdam und die Bleiche sind Ausnahmen in der kulinarischen Wüste.
Sicherlich gehört auch das schön gelegene Waldhaus in Prieros, einst Wohnhaus des ersten Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, dazu. Doch das Waldhaus macht den Vorsprung seiner verfeinerten Küche durch unfreundliche Bedienung wett, was durchaus auch zu den regionalen Besonderheiten zählt. Und allein durch die Bezeichnung Brot-Sommelier wird auch in Gräbendorf kein mittelmäßiges Kaffee zum kulinarischen Highlight
Kaffee bei Rosi. In Köthen, Brandenburg. Rosi ist eine begnadete Kuchenbäckerin. Zwetschgenkuchen, Schweinsohren, Windbeutel, Baumkuchen. Heute serviert sie eine köstliche Schmand-Mandarine-Torte Zum Abendessen gibt es Pizza aus dem Steinofen, frisch geholt aus Hermanns Marktwirtschaft in Märkisch Buchholz. „Eine schöne Abwechslung zum Grillen“, sagt Rosi.
Eine Kochsendung jagt die nächste, Essen ist längst zum sozialen Distinktionsmerkmal geworden, doch Brandenburg bleibt sich treu
Das kulinarische Notstandsgebiet hat seine Nischen. Und statt Mixed Pickles liegt heute fast überall Salat aus regionalen Gärten in der Schüssel. Dazu triumphiert immer noch das Jägerschnitzel, eine Zentimeter dicke Scheibe Jagdwurst oder Bierschinken, paniert und mit einer Sauce aus Tomaten mit Zwiebeln serviert. Als Beilage bevorzugt Kroketten.
Eine Kochsendung jagt die nächste, das weltzugewandte Berlin liegt vor der Haustür und Essen ist längst zum sozialen Distinktionsmerkmal geworden, doch Brandenburg bleibt sich treu.
Leser*innenkommentare
Ataraxia
Ich wills den Ortsansässigen nicht vergraulen: Magengewohnheiten sind eben solange stur, bis man was Besseres findet.
Ich ersatzverkehre regelmäßig in Brandenburg, aber für Vegetarier ist es schlicht grässlich (ich halte mich an ein paar Detektive vor Ort). Inzwischen bemühen sich jedoch viele um mindestens ein vegetarisches Gericht (bitte keine schlaffen Risottos).
Aber Kleinstädte z.B. auf dem Balkan, in Griechenland oder der Ukraine können bessere Salate, Teigtaschen, Desserts; ich spreche gar nicht von Süddeutschland oder Italien.
Man braucht das Klischee nicht bemühen, es überfällt einen auf Schritt und Tritt. Deshalb sind die Oasen in der Wüste umso höher zu bewerten. Und manchmal hilft einfach auch eine einfühlsame Bedienung: Unverbrannte Bratkartoffeln ohne Speck mit gedünstetem Gemüse sind ja nicht so schwer.
Jens Däumel
Wer das Klischee sucht, wird es auch finden. Zwischen den erwähnten, einsamen Gastroleuchttürmen in Potsdam und Hotel Bleiche und den Jägerschnitzelschankwirtschaften gibt es auch in Brandenburg ausreichend gute Gaststätten mit sogar lächelnden Personal. Aber der Artikel gefällt dem Berliner in seinen Vorurteilen.
Vigoleis
"Geld ist der Schlüssel zum Geschmack". Es kann sich eben nicht jeder Mensch einen Rehbraten für 30 Euro leisten. Ist eine brutale Erkenntnis in der Welt des Geldes.
danny schneider
Problem: was für uns billig ist, ist für jemand mit Ostlöhnen teuer.
Also erst mal aufhören den Osten als Billiglohnland zu missbrauchen, dann reden wir weiter, OK?
Vigoleis
Woche des Brandenburg-Bashings? Innerhalb weniger Tage der zweite Beitrag einer TAZ-Redakteurin, dass es ihr im Berliner Umland grundsätzlich nicht gemundet hat. Die Kunst bestünde aus meiner Sicht darin, in der gefühlten kulinarischen Wüste die Oasen zu finden, wo es dann zum Glück wie in Kreuzberg schmeckt - und darüber zu berichten.