: Taxi, Taxi!
In seinem Fotobuch „Berlin Taxi“ zeigt Ben de Biel die morgendliche Stadt, hupende Chauffeure und bleiche Pendler der Nacht. Die Autofenster nutzt er als Rahmen
Von Ulrich Gutmair
Luxus ist, wenn man stets zwanzig Euro für ein Taxi in der Tasche hat, schrieb Rainald Goetz sinngemäß einmal. Auch wenn die Städte heute voller E-Roller und Fahrräder sind, gilt doch immer noch: Wer nachts oder im Morgengrauen aus einem Club stolpert, will schnell und zügig von einem Profi nach Hause oder in den nächsten Club gebracht werden. Wenn es sich ergibt, man nicht allein geblieben ist oder in derselben Ecke wohnt, teilt man sich auch gerne eins. In derangiertem Zustand oder auch nur müde sitzt man lieber zu zweit auf der Rückbank.
In den Morgenstunden gehört die Stadt also den Taxis und denen, die drin sitzen. Das ist so wahr wie banal. Das Wahre, das auch das Banale ist, zu erkennen und zu erfassen ist eine der vornehmsten Aufgaben der Kunst in der Moderne. Fotograf Ben de Biel widmet sich in diesem Sinn in einem neuen Fotoband dem nächtlichen und morgendlichen Taxifahren. Er trägt den Titel „Berlin Taxi“. Mehr muss man nicht wissen, um zu verstehen, worum es geht.
Ben de Biel ging jahrelang beruflich in Clubs, unter anderem war er Geschäftsführer des Maria am Ostbahnhof. Anfangs steuerte er noch selbst einen roten Volvo. Ein Unfall brachte ihn dazu, fortan ein Taxi zu rufen. Und wenn er mit dem Taxi fuhr, fotografierte er. Seine Bilder, meist zwischen 2010 und 2014 entstanden, zeigen den Verkehr der bleichen Pendler der Nacht und alles, was dazugehört. Mal hat der Fotograf Mitfahrer auf der Rückbank, mal erwischt er den Fahrer punktgenau beim Hupen. Seine Kamera erfasst eine Gruppe junger Leute, die eben ihr Taxi verlassen, um auszugehen. Aus dem Fenster seines Taxis fotografiert er eine lange Schlange, die sich wohl vor dem KitKat gebildet hat und schon um die Ecke bis auf die Köpenicker reicht.
Das Taxifenster ist ein Frame, den de Biel als „wiederkehrendes, serielles Bildelement“ einsetzt. Aber auch den Blick aus dem Dachfenster nutzt er, um Bilder zu machen, in denen der Himmel zu sehen ist oder der Slogan „Science For A Better Life“.
Es regnet und es schneit, es ist dunkel und es ist hell. Die Lichter der Stadt, die Laternen, die Ampeln und die Blaulichter, brechen sich in Regentropfen. Viele Aufnahmen sind leicht verwackelt, ihre Qualitäten hat der Fotograf oft erst beim Sichten entdeckt. Die Digitalfotografie hat den Vorteil, dass man nachher nicht massenweise Negative wegwerfen muss, wenn man auf gut Glück eine schnelle Aufnahme macht. Der Zufall ist ein wesentlicher Faktor für das Gelingen dieser Aufnahmen. Außerdem gilt: „Du kannst der Kamera nicht immer aufzwingen, genauso zu fotografieren und so zu sehen, wie du als Mensch siehst“, erzählt Ben de Biel in dem so unterhaltsamen wie erhellenden Interview mit Max Dax, das dem Band vorangestellt ist.
Seine Aufnahmen sind meist schwarz-weiß, manche farbig. Auf einem der Farbfotos zeigt der Berliner Morgenhimmel die wunderbaren Farben, die nur der märkische Sand hervorzubringen weiß, der das Licht der Sonne in erstaunliche Rosatöne am Horizont bricht, während das Nachtblau des Himmels schon heller geworden ist.
Ben de Biel zeigt auf seinen Bildern vor allem aber Taxis. Sein eigenes von innen, aber auch all die anderen, die auf der Nebenspur fahren, Gäste aufnehmen oder entlassen. Zu sehen ist der Berliner Verkehr, an der Ampel haltend, vorbeirauschend. Auch ein Unfall zwischen zwei anderen Taxen auf der Kreuzung wird dokumentiert.
Die Fotografien sind dabei so beiläufig wie präzise, sie erfassen das Alltägliche, das unsere Blicke meist ausblenden, und sie erfassen die soziale Situation des Taxiverkehrs. Der Wackeldackel auf dem Armaturenbrett erzählt uns was über seinen unsichtbaren Fahrer. Von rechts beugt sich eine junge schwarzhaarige Frau über die Frontscheibe. Ihr Handwischer zieht gerade das Wasser vom Glas, ihr schwarzes T-Shirt ist von der Schulter gerutscht und gibt den dünnen schwarzen Träger ihres BHs frei. Die einen tanzen und lassen sich nach Hause fahren. Die anderen steuern die Taxis und putzen die Scheiben.
Der Fotograf scheint gut mit den Fahrern auszukommen. Auf einem Bild sieht man das Cocktailglas des Sitznachbarn, auch die Frau am Fenster hat eines in der Hand. Oft geht die Party im Taxi weiter, man kann es den Gesichtern der Mitfahrenden entnehmen. „Sie saufen auch und küssen sich. Der Taxifahrer ist in solchen Momenten hilflos und froh, uns wieder los zu sein“, sagt de Biel. „Oft konnte ich einen Fahrer erst mit einem erhöhten Trinkgeld beruhigen.“
Ben de Biel: „Berlin Taxi“. Bobsairport & St. Lucia Galerie der Gespräche, Berlin 2019. 108 Seiten, 50 Euro. 99 signierte Exemplare. Zu bestellen per E-Mail an ben@clubmaria.de
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