„Wir bleiben mehr“ in Chemnitz: Keinen Millimeter nach rechts
50.000 Menschen feierten am Donnerstag in Chemnitz unter dem Motto beim Kosmos-Festival – und diskutierten über ihre Stadt.
Dort, wo im August des vergangenen Jahres Daniel H. getötet wurde, trägt nun ein Stein im Straßenbelag seinen Namen. Jemand hat eine rote Grabkerze dazugestellt und ein Foto von ihm. Vor dem Dönerladen ein paar Meter weiter steht ein DJ-Pult. Junge Leute tanzen fröhlich zu elektronischer Popmusik. Unter dem Motto „Wir bleiben mehr“ feiern sie das Kosmos-Festival – eine Folgeveranstaltung des Konzertes „Wir sind mehr“, bei dem 65.000 Menschen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Hetze gesetzt hatten, nachdem der Tod von Daniel H. von rechten Gruppierungen, Hooligans und Neonazis für rechtsextreme Demos und Ausschreitungen instrumentalisiert wurde.
„Damals lag es auf der Hand, dass wir reagieren mussten“, sagt Jan Kummer, bildender Künstler, Vater der Kraftklub-Jungs und Chemnitzer Szenegröße. „Wir hatten die Infrastruktur und die Verbindung in die Popkultur. Das haben wir gnadenlos ausgenutzt – und dafür auch auf den Deckel bekommen.“ Auf den Deckel gab es unter anderem, weil K.I.Z und Feine Sahne Fischfilet mit auf der Bühne standen, zwei provokante Bands, deren Texte sich auch mal gegen die Polizei aussprechen.
Beim „Kosmos“ ist das nun anders. Neben Tocotronic, Großstadtgeflüster und Alligatoah heißt der Headliner jetzt Herbert Grönemeyer. Ein Künstler, auf den sich alle einigen können. Junge Hipster, Rentnerpärchen, auch die Chemnitzer Bürgermeisterin klatscht mit. Grönemeyer spielt seine Hits von „Männer“ über „Flugzeuge im Bauch“ bis „Alkohol“, und doch ist es kein Wohlfühl-Gig zum Mitschunkeln.
Der Bochumer betont immer wieder seine Botschaft: „Wir bewegen uns keinen Millimeter nach rechts“, ruft er. „Wir grenzen keinen aus. Niemand wird diskriminiert.“ Punkt. Grönemeyer ist gut drauf, springt auf der Bühne herum, lacht und lebt und ist sichtlich bewegt von den Zehntausenden, die ihre Handytaschenlampen im Takt winken. Seinen Song „Mensch“ dichtet er am Ende um, singt mit allen „Chee-eem-nitz“. Ein großer Abschluss eines Tages, der ein Zeichen für Weltoffenheit in einer von vielen Problemen geplagten Stadt gesetzt hat.
Kürzungen für linke Initiativen befürchtet
Da sind die rechten Hooligans beim FC Chemnitz, da ist die rechtspopulistische Wählervereinigung Pro Chemnitz, die bei der Stadtratswahl knapp 8 Prozent gewann, zusätzlich zu den 18 Prozent der AfD. Nun fürchten viele, dass der neue Stadtrat, auch mit der Unterstützung der stärksten Kraft CDU, linken Initiativen und Kulturvereinen die Gelder kürzt, nachdem der lokale Aktionsplan des Bundesfamilienministeriums demokratische Initiativen gerade erst stärker gefördert hat.
Eine, die sich sorgt, ist Anna Pöhl vom Verein „Support“, der Opfer von rechter Gewalt unterstützt. Im letzten Jahr gab es sachsenweit in Chemnitz die meisten Opfer zu verzeichnen. „Das hatte auch mit den Ausschreitungen hier zu tun“, sagt Anna Pöhl. Im Umfeld der rechten Demos gab es viel Angriffe. Aber auch jetzt erwartet sie kein ruhiges Jahr: „Vor der Landtagswahl ist extrem viel los.“ Wahlhelfer und Plakatekleber werden angegriffen und diejenigen, die Flyer gegen Neonazis verteilen.
Auch Gabi Engelhardt vom Bündnis Aufstehen gegen Rassismus warnt, dass es vor der Sachsen-Wahl im September schlimmer werde. Die Chemnitzerin und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter würden mit Anzeigen überhäuft werden. Schon kommen an ihrem Stand auf dem Kosmos vier Polizisten in voller Montur vorbei. Grund: Ein Poster mit Björn Höcke, der den Hitlergruß zeigt. Darunter der Satz: „Nie wieder! Keine Bühne der AfD.“
Zeichen der Liebe
Es gab eine Anzeige wegen des Verdachts auf Verwenden verfassungsfeindlicher Zeichen. Nach einer Prüfung der Polizei darf es dann doch verteilt werden. „Alerta, alerta Antifascista“, rufen einige Fans beim Konzert der Hiphopper Zugezogen Maskulin. Wegen solcher Parolen war das Konzert vom letzten Jahr im sächsischen Verfassungsschutzbericht in der Rubrik „linksextrem“ gelandet.
Der Singer/Songwriter Joris stand letztes Jahr im Publikum, diesmal steht er auf der Hauptbühne und freut sich, dass „Zeichen der Liebe von hier ausgehen“. Neben ihm tanzt eine Übersetzerin sein Konzert in Gebärdensprache. Zeichen der Liebe und der Freude sieht man in der ganzen Innenstadt.
Es gibt verschiedene Bühnen, die von Punk an der Straßenecke über Chemnitzer Newcomerbands bis zu Techno beim angesagten Boiler Room reichen. Bei Diskussionsrunden erzählen Jugendliche von ihren Erfahrungen auf dem sächsischen Land. In einem Waschsalon erkunden junge Ostdeutsche die Gedanken und Geschichten ihrer älteren Nachbarn. Das Museum Gunzenhauser hat kostenlos geöffnet, die Chemnitzer Filmnächte machen mit, der Chemnitzer Basketballverein Niners hat ein kleines Spiel mit Kraftklub- und anderen Musikern organisiert, und vor der Jacobikirche hat die Pfarrerin Dorothee Lücke Wasser und Wein auf Stehtische gestellt.
Chemnitz bewirbt sich als Kulturhauptstadt
Sie lädt Chemnitzerinnen und Chemnitzer ein, darüber zu reden, wie sie in dieser Stadt leben wollen. „Ich versuche, Gesprächsangebote zu machen“, sagt sie über ihren Umgang mit den rechten Vorfällen in der Stadt. Sie kann ihnen aber auch etwas Positives abgewinnen: „Das Gute ist, dass hier alle politisierter sind als in Dortmund.“ Es wird viel diskutiert. „Man kriegt hier mehr mit als in Freiburg oder Kreuzberg“, sagt auch Jan Kummer.
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Nun bewirbt sich Chemnitz als Kulturhauptstadt für das Jahr 2025. „Diese Bewerbung hat eine Gewissensfrage in Gang gesetzt: In welcher Stadt leben wir?“, sagt René Szymanski vom Kulturhaus Arthur, das Kunst, Kultur und bildungspolitische Arbeit zusammenbringen will. „Wir sind mehr“ sieht er vor allem als Prozess, der immer weiter gehen muss. „Es ist wichtig, dass es so einen Tag gibt und dass es funktioniert“, sagt er übers Kosmos.
Am Freitag folgt direkt das Kosmonautfestival am Rande der Stadt, wo Zehntausende seit 2013 jedes Mal aus dem ganzen Land anreisen. „Bei einem Festival wie dem Kosmonaut ist ein Zaun drum, ein ‚Kein Mensch ist illegal‘-Schild am Eingang, da hat alles seine Ordnung“, sagt Jan Kummer. „In der Stadt ist das eine andere Nummer.“ In sie müsse man hineinwirken, sie ist kein geschützter Raum.
Das sieht man auch an der Kerze für Daniel H. Mit Kreide wurden Worte wie „Respekt“ und „Weltoffenheit“ auf die Straße gemalt. Eine Frau kommt und zündet die vom Wind erloschene Kerze wieder an. Ihr Freund versucht derweil wütend, mit dem Fuß die Worte „Toleranz“ und „Rücksicht“ wegzuwischen. Grönemeyers Worte reichen nicht bis hier.
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