piwik no script img

Im Westen nur Neue

Überall hat Selenskis Partei gewonnen. Nur nicht in Lwiw an der polnischen Grenze. Dort wählte man schon häufiger anders als im Rest des Landes

„Glauben Sie, dass die Reformen machen? Ich nicht“

Jaroslaw, Taxifahrer in Lemberg

Aus Lwiw Juri Durkot

Der Taxifahrer Jaroslaw wirkt genervt. Der Straßenverkehr ist Anfang der Woche chaotisch, immer wieder bilden sich Staus. Selbst um zehn Uhr morgens bewegen sich die Autos in Richtung Innenstadt im Schritttempo.

Es gibt jedoch noch einen Grund für seinen Missmut – das Wahlergebnis: „Ich habe Holos gewählt, war sogar bei deren letzten Wahlveranstaltung dabei. Jetzt werden aber wohl Selenski und seine Partei alleine regieren können. Glauben Sie, dass die Reformen machen? Ich nicht.“

Die „Diener des Volkes“, die Partei des Präsidenten Wolodimir Selenski, ist nicht wirklich beliebt in Lwiw, zu Deutsch Lemberg. In der galizischen Metropole kommt sie nur auf magere 15 Prozent. Lwiw hat schon wieder anders gewählt als der Rest des Landes. Hier hat die junge Partei Holos des populären Rocksängers Swjatoslaw Wakartschuk die Wahlen gewonnen. Die „Diener des Volkes“ liegen in der Stadt nur auf Platz drei hinter der „Europäischen Solidarität“ des ehemaligen Präsidenten Poroschenko.

Julia Timoschenko mit ihrer Vaterlandspartei landet abgeschlagen auf Platz vier. Insgesamt gelang es der Selenski-Partei aber, in der Gesamtregion auf dem zweiten Rang hinter Holos zu landen.

Das Ergebnis ist wenig überraschend. Der Zweikampf zwischen Holos und der „Europäischen Solidarität“ hat sich schon vorher abgezeichnet. Beide setzen auf Themen wie EU-Integration, was in der Grenzregion zum EU-Land Polen nicht nur von theoretischer Bedeutung ist. Zudem verurteilen sie scharf die russische Aggression und plädieren für die Nato-Mitgliedschaft des Landes, die im Westen der Ukraine von einer großen Mehrheit unterstützt wird.

In den viel ärmeren ländlichen Regionen des Verwaltungsbezirks (Oblast) überwog allerdings der Wunsch nach dem politischen Wechsel. Im Gegensatz zum boomenden Lwiw wissen die Einwohner der kleinen galizischen Städte und Dörfer viel besser, was Elend, Arbeitsmigration und wirtschaftliche Misere sind. Das gilt auch für zwei andere galizische Regionen – Iwano-Frankiwsk und Ternopil, wo „Diener des Volkes“ die Wahlen gewonnen hat.

In einem Punkt unterscheiden sich Lwiw und Galizien jedoch kaum vom Rest des Landes. Auch hier hat man überwiegend neue Gesichter gewählt, was besonders sichtbar in den Wahlkreisen ist. Fast keine alten Politiker hatten eine Chance. Der Eindruck ist, dass das frühere Mandat und die politische Erfahrung ein eingebauter Nachteil waren.

Auch die junge Ulana, die Gemüse und Obst auf dem Markt verkauft und immer wieder nach Polen zu Saisonarbeiten fährt, ist nicht wirklich begeistert. Gewählt hat sie nach langer Überlegung Poroschenkos „Europäische Solidarität“. „Vielleicht sollten diese ,Diener des Volkes‘ eine Chance bekommen. Wenn sie aber etwas falsch machen, gehen wir wieder auf die Straße.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen