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Rechtsruck in der SchwulenbewegungFlagge zeigen

Die Berliner Pride Week gibt Anlass zu einer kritischen Betrachtung schwuler Politik und ihrer Posen.

Verliebt in Macht und Kameras: Jörg Steinert (links) beim Hissen der Pride-Fahne am Roten Rathaus Foto: dpa

„Die deutsche Schwulenbewegung hat sich seit 1989 deutlich nach rechts bewegt“, hat Eike Stedefeldt schon vor 20 Jahren geschrieben. Dem Berliner Publizisten zufolge befindet sie sich nicht mehr am links-alternativen Rand der Gesellschaft, sondern agiert voller Stolz in deren Mitte und vollzieht die allgemeine Rechtsdrift in nahezu allen Facetten nach. Selbst gegen eine Öffnung hin zu rechts außen operierenden Figuren sei die Bewegung nicht mehr immun.

Die Berliner Pride Week, die am Samstag in Schöneberg mit dem 1993 von schwulen Wirten gegründeten Motzstraßenfest ihren ersten Höhepunkt hat (eine Woche später folgt der CSD), drängt dazu, dieser These nachzugehen.

Denn es kursieren momentan Fotos von der Pride Week 2018, die Stedefeldts Behauptung spontan plausibel machen. Gepostet haben diese Bilder führende Köpfe schwul-lesbischer Institutionen in der Hauptstadt. Zu sehen sind sie darauf Arm in Arm mit dem schwulen, ultrarechten US-Botschafter Richard Grenell.

Schwule mit Verantwortung in Grenells Armen

Die queere Community feiert

Das Motzstraßenfest heißt offiziell Lesbisch-Schwules Stadtfest und findet an diesem Wochenende zum 27. Mal in Schöneberg zwischen Motz- und Kleiststraße statt. Ab 11 Uhr beginnt Samstag und Sonntag jeweils das Programm, das Musik, Promi-Talks, Info- und Verkaufsangebote bietet: stadtfest.berlin/de.

Gäste sind in diesem Jahr unter anderem der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, Imam Christian Awhan Hermann vom muslimischen LGBTIQ*-Verein Kalima e. V. und die Singer-Songwritern Malonda. (sah)

Jörg Litwinschuh-Barthel, geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, ließ sich letztes Jahr auf Grenells Privatparty zum Christopher Street Day (CSD) ablichten. Eine Woche zuvor hatten Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands Berlin Brandenburg (LSVD BB), SchwuZ-Vorstand Thomas Schwarz und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit dem Trump-Vertrauten auf dem Motzstraßenfest posiert.

Nicht nur bei Linken ist Grenell umstritten. Der Botschafter ließ schon vielfach diplomatische Zurückhaltung vermissen und irritierte nicht zuletzt mit seiner Äußerung, „unbedingt andere Konservative in ganz Europa stärken“ zu wollen.

Erneut sind diese Fotos in der Diskussion, weil Juliane Fischer, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks Spandau, in einer E-Mail bei Steinert nachgefragt hatte, wie seine auf dem Foto sichtbare Nähe zu Grenell mit Vielfalt, Toleranz und Respekt zusammenpassen würde. Sie wisse um Steinerts „vielfältiges und wichtiges Engagement“, müsse aber im Interesse des Bezirks Steinerts Positionen zum Foto und anderen Vorkommnissen erfragen, da es kritische Bemerkungen zum LSVD BB und zu Steinerts Person gegeben habe. Hintergrund: Wie in Schöneberg wird auch in Spandau zum CSD-Gedenken die Regenbogenflagge vor dem Bezirksrathaus gehisst. Steinert war dabei als Redner vorgesehen.

Gefundenes Fressen für die Rechten

Der LSVD-Funktionär antwortete Fischer nicht vertraulich, sondern beschwerte sich bei den Spandauer Stadt­rät*innen über Fischers ihm zufolge „nicht angemessene“ Anfrage – auch bei Andreas Otti von der AfD. Gegenüber der Berliner Zeitung zog Steinert das Demokratie- und Amtsverständnis der Bezirksbeauftragten in Zweifel.

Ein gefundenes Fressen für die Rechten: „Gleichstellung oder Gleichschaltung“ steht über dem Antrag, den die AfD am 28. Juni in die Spandauer Bezirksverordnetenversammlung einbrachte. Fischer widerfuhr alsdann ein „unglaublicher Shitstrom“, wie sich Spandaus Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD) in einer sie unterstützenden Pressemitteilung ausdrückte.

Von Spandau zurück nach Schöneberg, in eine Zeit, in der geoutete Homosexuelle noch nicht rechte Spitzen­politiker*innen werden oder sich mit ihnen fotografieren lassen konnten, weil sie von Staat, Polizei und Mehrheitsgesellschaft geächtet waren: 1979 gehen in Schöneberg – unter explizit linken und radikalen Vorzeichen – zum ersten Mal queere Berliner*innen zum CSD auf die Straße. Das Vorbild: Queers, vor allem Queers of Colour (QoC), die sich zehn Jahre zuvor in der New Yorker Christopher Street physisch gegen Polizeigewalt gewehrt hatten.

2019 jedoch kann unter Berufung auf Law and Order der frühere Makel Homosexualität einem Grenell, einer Alice Weidel (AfD) und einem Jens Spahn (CDU) explizit zur Ausgrenzung anderer Marginalisierter dienen. Und die AfD-Jugend will nichts lieber als beim CSD mitlaufen.

Der alternative CSD war geboren

Wie kam es zur Anerkennung der Schwulen im konservativen Bürgertum, in der Rechten? Wie entwickelte sich Pride in Nationalstolz?

Eike Stedefeldt machte schon vor über 20 Jahren mit seiner Analyse „Schwule Macht“ (1998) auf diese Entwicklung aufmerksam. Er beschreibt darin nicht nur den westdeutsch und männlich dominierten politischen Werdegang der bürgerlichen „Homo-Ehe“, sondern im Kapitel „Fare­well to Stonewall! Die Entpolitisierung des Christopher Street Day“ auch die Schlüsselszene des Bruchs mit der links-oppositionellen CSD-Tradition im Jahr 1997.

Der linke „Herz mit Hirn“-Block hatte damals mit Nazi-Vergleichen gegen den Abgeordnetenhauspräsidenten Klaus-Rüdiger Landowsky (CDU) protestiert. Dieser lenke die diffusen Ängste großer Teile der Gesellschaft auf Marginalisierte, hieß es damals im Protestaufruf. „1940 hießen diese Gruppen: Juden, Sinti, Roma, Kommunisten, Homosexuelle. 1997 heißen sie: Asylbewerber und Obdachlose.“ – „Herz mit Hirn“ wurde schließlich im Einvernehmen von CSD-Organisator*innen und Berliner Polizei des Zuges verwiesen; der alternative Kreuzberger CSD war geboren.

Mit der Abkehr von radikaleren Zielen und Akteur*innen sei im schwulen Mainstream Berlins ein zunehmender Kommerz einhergegangen, so Stedefeldt. Sichtbarster Ausdruck davon seien die Konzertierte Aktion schwuler Wirtschaft Berlin (KAB) und das von ihr gegründete Motzstraßenfest. Stedefeldt zitiert dazu den ehemaligen LSVD-BB-Vorstand Wolfgang Erichson (früher CDU, heute grüner Bürgermeister von Heidelberg): „Schwule sind ein Wirtschafts- und Machtfaktor – und den gilt es endlich bewusst einzusetzen.“

„Emanzipation von der Emanzipation“

2010 sorgte die weltweit renommierte Queer-Theoretikerin Judith Butler für einen Eklat, als sie die Kommerzialisierung und den mangelnden Einsatz für (rassistisch) Marginalisierte im Berliner CSD-Gewerbe kritisierte und öffentlich den ihr zugesprochenen CSD-Preis ablehnte.

Ähnliche Kritik gibt es am Motzstraßenfest: Der Antidiskriminierungsbereich LesMigraS der Berliner Lesbenberatung und der Verein QoC-Verein GLADT beklagten schon mehrfach rassistische, behindertenfeindliche, trans*feindliche und sexistische Vorfälle auf dem Fest, an dem GLADT in diesem Jahr auch nicht mehr präsent sein wird.

„Emanzipation von der Emanzipation“ lautet übrigens der Untertitel von Stedefeldts Buch.

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4 Kommentare

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  • Ein Wahrnehmungsproblem

    Die "linke" Schwulenbewegung hat es nie gegeben. Der Gedanke ist nämlich Teil eines alten, völlig abwegigen politischen Konzeptes, der Randgruppentheorie.



    Die Randgruppentheorie war eine Idee der 1960er, die aus der Enttäuschung entstanden ist, dass "die Arbeiter" nicht gleich zur sozialistischen Revolution schritten. Und anstatt über die Bedingungen nachzudenken, in der damals schon eine kapitulative Haltung in der Arbeiterbewegung entstand, entschlossen sich eineigeder 'Schönen und Guten', die proletarische revultion ohne Arbeiter zu versuchen. Dazu sollten die sogenannten Randgruppen herhalten, die sie anzuführen gedachten.



    (Und so traf die kleinbürgerliche "Intellektuelle" Ulrike Meinhof das 'Heimkind' Andreas Baader (u.a. eine Klemmschwester).



    Klar, die Schwulen (Männer) hatten Emanzipationsbedarf, und die linken Protestbewegungen waren bereit, sie andocken zu lassen. Aber Schwul sein an sich ist kein linker Inhalt und die bürgerliche Freiheit zu heiraten ist vor allem eine ökonomische Frage.



    Die Schwulenbewegung hat erreicht, dass männliche Homosexuell in bürgerlichen Kreisen (weitgehend) akzeptiert sind. Es braucht kein linkes Gewand mehr, man (n) kann jetzt auch offen spießig sein.



    In der sogenannten schwulen Szene war es aber schon immer so, dass Geld am meisten zählte. Mithin das Bürgertum unter den Schwulen das meiste Sagen hatten.



    Es gab auch immer Faschisten unter den Schwulen, und Schwule unter den Faschisten.Das wird gerne ausgeblendet.

  • Auf einer komplett einseitigen Darstellung lässt sich gut skandalisieren. Unterschlagen wurde u.a. die entschiedenen Gegenreaktionen gegen den Berliner LSVD von Journalisten, Aktivisten und Verbänden. In diesem Zusammenhang von "der" Community und "der" schwulen Politik zu schreiben, ist eine grobe Verzerrung. Auch fehlt die Kritik an einer Linken, die jahrzehntlang die Schwulenbewegung nicht mit der Kneifzange anfassen wollte.

    Nach 40 Jahren hat sich die Bewegung stark verbreitert und ausdifferenziert. Das ist normal. Es ist letztlich ein Que(e)rschnitt der Bevölkerung, der vertreten werden will, und zu glauben, jeder queere Mensch müsste mit sozialistischem Herz geboren werden, ist auf ganz eigene Weise wieder nur ein weiteres Vorurteil über LGBT.

  • Ich möchte manchmal vor Ekel in meine eigene ehemalige Community kotzen.

    Die Wesen, die heute genießen, was wir uns hart erkämpft hatten, möchten heute also ungestört ihrem fitness- und konsumgeilen Ego nachgehen.

    Sie vergessen die Alten, die in der Community immer unsichtbarer werden und allenfalls als Sugardaddies am Ende des Tresens oder lächerliche Witzfigur auf dem Dancefloor noch Raum finden und sie entsolidarisieren sich von denen, die heute unserer Solidarität am meisten bedürfen und von denen, die solidarisch zu handeln den Anspruch haben.

    Es gibt viele Gründe, sich zu schämen, dass meine eigene ehemalige Community dazu gehört, hätte ich nie gedacht.

    Schwule, die mit dem Dackel von Idiot Nr. 1 von Shithole Country posieren?

    Zu meiner Zeit nur eins: Undenkbar!



    Wir hatten nicht viel - aber etwas Stolz gehörte dazu.

  • Auch wenn das die „queere“ Ideologie vielleicht so sieht, schwul sein war noch nie eine bewusst gewählte politische Haltung, sondern eine sexuelle Orientierung, die nicht von einem bestimmten Bewusstsein abhängt oder dies erzeugt.



    So lange es rechtliche Benachteiligungen oder Unterschiede – und sei es nur, dass das Äquivalent zur Ehe einen anderen Namen hatte – oder weitgehende gesellschaftliche Diskriminierungen gab, gab es vielleicht punktuell gemeinsame politische Interessen, aber in einer Zeit, in der es eine komplette rechtliche Gleichstellung gibt und es selbst in einer rechtsradikalen Partei kein Thema ist, dass die Vorsitzende lesbisch und „Regenbogenmama“ ist, kann man nicht mehr von einem gemeinsamen politischen Ziel reden.



    Wer die vielzitierte Diversität ernst meint, der muss sich zumindest im Rahmen dessen, was verfassungskonform ist (und dazu zählt Frau Weidel dann nicht mehr) auch für Schwule offen sein, die nicht dezidiert links sind. Die Einengung, wie man als schwuler Mann zu sein hat, wie „männlich“ man sein darf, wie „anders“ man zu sein hat, was man für einen Lebensstil zu haben hat, für Musik zu hören hat, wie man zu feiern hat, welchen Klischees man zu entsprechen hat aber eben auch wo man politisch zu stehen hat und dass man sich in einer geschlossenen queeren Filterblase zu bewegen hat, findet heutzutage vor allem von Seiten der schwulen „Community“, der CSD etc. ab. Das hat nichts mit Diversität zu tun.