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Eritrea-Festival in GießenProtest gegen die Diktatur-Party

Beim Eritrea-Festival in Gießen feiert die Diktatur sich selbst. Nicht weit entfernt davon demonstrieren Menschen, die das gar nicht lustig finden.

Einige Menschen sehen Eritrea unter der Führung von Isaias Afewerki als Dikatur – und fliehen vor ihr Foto: dpa

Gießen taz | Der Mann, der vor den Messehallen in Gießen gerade aus seinem Auto steigt, ist festlich gekleidet: Schlips, Anzug aus Seide. Jedes Jahr komme er hierher zum Eritrea-Festival, sagt der Mittsechziger aus Düsseldorf der taz. „Es ist ein Fest. Wir treffen Freunde und Bekannte aus anderen Städten. Wir alle lieben unser Land.“

Das Land, das er liebt, Eritrea, hat er vor mehr als 30 Jahren verlassen. Damals kämpften Eritreer für die nationale Unabhängigkeit von Äthiopien. Dass aus der nationalen Befreiungsbewegung eine Diktatur hervorgegangen ist, eine der übelsten weltweit, davon will er nichts wissen. „Eritrea ist ein Staat ohne Kriminalität, ohne Diebe.“

Eritrea ist ein Land, aus dem Menschen in Scharen fliehen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen fliehen Monat für Monat zwischen 2.000 und 3.000 Menschen aus dem nur fünf Millionen Einwohner zählenden Land. Ein großer Teil der Geflüchteten im Mittelmeer stammt aus dem kleinen Land am Horn von Afrika. Amnesty International spricht von einer „entsetzlichen Menschenrechtssituation“, von willkürlichen Inhaftierungen und außergerichtlichen Tötungen. Das alles sehen Besucher des Eritrea-Festivals in Gießen anders. Die Flucht gebe es, weil Europäer und Amerikaner Unruhe stifteten, sagt der Mann aus Düsseldorf, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Das Eritrea-Festival gibt es seit 2011 in Gießen, der Ticketpreis beträgt 30 Euro. Anfangs wurde es von der eritreischen Botschaft abgehalten, inzwischen ist die nach Angaben des Mitveranstalters Cahsai Tewelde aus Frankfurt am Main nur noch Schirmherrin. Die Diktatur fliegt hohe Generäle und Musikgruppen ein, es gibt politische Diskussionen und Kinderprogramme. „Die hier geborenen Jugendlichen sollen die eritreische Kultur kennenlernen“, sagt Tewelde der taz.

Eritrea wirbt um die Kinder

Daran hat der eritreische Staat großes Interesse. Im Ausland lebende Landsleute gehören zu den wichtigsten Investoren der lange mit internationalen Embargos überzogenen Diktatur. Selbstverständlich investieren nicht die Geflüchteten, die in den letzten Jahren der Diktatur den Rücken gekehrt haben. Aber die vor dreißig Jahren geflohenen Eritreer, die mit dem Staat sympathisieren, sind in die Jahre gekommen. Eritrea wirbt um deren Kinder. Die Teilnehmerzahl des Festivals nimmt von Jahr zu Jahr ab. Wurden in den ersten Jahren 5.000 Gäste gezählt, waren es dieses Jahr nach Veranstalterangaben 2.000, nach Schätzungen der taz 1.500.

Seit 2011 läuft in Gießen eine Debatte, wie man damit umgeht, dass sich eine Diktatur in der Stadt feiert. Im ersten Jahr hatte eine offizielle Stadtvertreterin das Eritrea-Festival besucht. 2012 erklärte hingegen die Stadtverordnetenversammlung die Veranstaltung für unerwünscht. Seitdem nimmt der Magistrat keine Einladungen mehr an. Verhindern kann Gießen das Eritrea-Festival nicht, die Räume sind Privatgelände.

Eritrea werde von den westlichen Medien als Nordkorea Afrikas dämonisiert, lautet die Kritik der Festivalgäste

Doch auch die Stadtverordneten sind gespalten. Die Grünen unterstützen seit Jahren die Gegenveranstaltung der eritreischen Geflüchteten vor dem Festivalgelände. Die Linke-Fraktion hingegen schickt offizielle Vertreter zur Jubelveranstaltung des eritreischen Staates. In Statements haben Stadtverordnete der Linken in den letzten Jahren den Staat Eritrea verteidigt – anders übrigens als die Linke-Bundestagsfraktion, die die dortige Menschenrechtssituation scharf kritisiert. Eine Presseanfrage der taz ließ die Fraktion der Gießener Linken unbeantwortet.

„Warum haben Sie die Fraktion gefragt, warum nicht mich?“, sagt Michael Beltz der taz-Reporterin. „Ich hätte geantwortet.“ Beltz ist DKP-Mitglied und sitzt im Stadtparlament in der gemeinsamen Fraktion von Linken und DKP. Der Kommunalpolitiker nimmt als Ehrengast am Eritrea-Festival teil. „Eritrea ist ein armes Land“, sagt er. „Aber es gibt kostenlose Gesundheitsfürsorge und kostenlose Bildung.“ Das klingt für ihn nach einem sozialistischen Paradies. „Das haben wir nicht einmal in Deutschland.“

Dass die kostenlose Bildung oft nur bis zur 5. Klasse geht, dass sie Prügelstrafen und Inhaftierungen von Schülern in unterirdischen Verliesen einschließt, wenn diese beim Fahnenappell nicht aufrecht genug stehen, davon will Beltz nichts wissen. „Kritisch sehe ich als einstiger Wehrdienstverweigerer allerdings die lange Militärdienstzeit in Eritrea“, sagt Beltz der taz. Offiziell beträgt sie 18 Monate, real kann sie für Männer lebenslang dauern.

Keine seidenen Anzüge, sondern Billigkleidung

„Down, down, Diktatur“ hallt es von der Gegenveranstaltung zum Festivalgelände hinüber. Hier haben sich etwa 200 eritreische Flüchtlinge versammelt. Sie kommen nicht aus dem ganzen Bundesgebiet wie die Festivalbesucher, sondern nur aus Gießen. Sie haben keine Autos wie die Festivalbesucher, sondern sind zu Fuß gekommen. Sie tragen keine seidenen Anzüge, sondern Billigkleidung vom Discounter.

Unter den Eritreern in Deutschland stellen die neuen Flüchtlinge längst die Mehrheit dar, aber sie sind schlecht organisiert, nicht über die kommunale Ebene hinaus mobilisierungsfähig. „Ich habe in einem libyschen Gefängnis gelitten, bin im Mittelmeer fast ertrunken, aber ich hatte keine andere Wahl, als zu fliehen“, sagt ein 27-jähriger Eritreer der taz, der seit vier Jahren in Gießen lebt. „In Eritrea gibt es keine Freiheit, nur den Zwangsdienst beim Militär und im Nationalen Dienst für die Diktatur. Ohne Freiheit kein Leben.“

Die Demonstranten haben Transparente mitgebracht:. „Tanzt für die Freiheit anstatt für die Diktatur!“ Gooy Hiflu, eine Rednerin, berichtet von den eritreischen Jugendlichen, die auf der Flucht sterben, und von Müttern in Eritrea, die um sie weinen. „Letztes Jahr habe ich noch auf der anderen Seite gestanden“, sagt sie und zeigt mit dem Arm zum Festival. Aber dann seien Neffen von ihr auf der Flucht umgekommen. „Es ist genug!“

Ein sehr eigenes Bild von Eritrea

Davon wollen die Diskutanten auf dem Festivalgelände nichts wissen. Die Deutsch-Eritreische Gesellschaft hat zu einem Podium geladen, laut Ankündigung durfte auch Presse daran teilnehmen. In der Praxis sah das anders aus. Während die taz und zwei regionale Zeitungen hineindurften, blieb zwei freien Videojournalisten trotz Anmeldung der Eintritt verwehrt. Die Podiumsgäste malten ein sehr eigenes Bild von Eritrea.

Ein Schweizer Entwicklungshelfer sprach von einer großen Hoffnung der jungen Generation, die er im Land erleben würde. Ein Deutscher mit eritreischen Wurzeln machte zwei Schuldige an der eritreischen Misere aus: die westlichen Medien, die das Land als „Nordkorea Afrikas“ dämonisierten. Und die internationalen Investoren, die deshalb keine Arbeitsplätze in Eritrea schaffen würden. „Die Medien schreiben, in Eritrea gibt es keine Pressefreiheit. Aber warum sollen sich Investoren dafür interessieren, ob die Leute Zeitung lesen? In Europa liest doch auch niemand mehr Zeitungen“, wetterte er.

Jubel gab es, als er begründete, warum Eritrea nicht einfach zwangsrekrutierte Soldaten in die Freiheit entlassen könne. „Wenn die Armee 300.000 Leute entlässt, dann werden die Banditen. Die haben doch nur schießen gelernt.“ Widerspruch gab es nicht. Die Diktaturanhänger waren unter sich.

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9 Kommentare

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  • Sehr geehrte Frau Kollegin Mai,

    Sie hatten mich ja direkt auf dem Parkplatz vor dem Einlass des Erititreafestivals in Gießen angesprochen, und mich danach gefragt, was mich denn dazu brächte eine Veranstaltung zu besuchen, auf der sich die eritreische Regierung selber feiere. - Da war ich noch nicht einmal drin....

    Ich räume ein, dass mein Auto nicht ganz stilecht für einen Ehrengast war. Aber mein Anzug. Und das Hemd -(wenn ich es auch bei Oxfam gekauft habe, psst.).

    Vom Discounter trage ich übrigens keine Sachen, wollte ich Ihnen auch noch sagen. Zuviel Kinderarbeit, und so. Da schon lieber was Vernünftiges, second hand, meine ich. Wenn ich mit Flüchtlingen arbeite, dann aber meistens in Jeans und T-Shirt.

    Ach ja. Da waren eine ganze Menge geflüchteter Menschen drinnen und draußen. Das ist mir auch aufgefallen. Ich bin ja auch mal rausgekommen zur Gegendemo, wo wir uns dann nochmal gesehen haben. Da habe ich auch (genau wie drinnen, psst) einige Fotos gemacht. Ich habe gerade mal nachgezählt, wie viele Leute bei der Gegendemo waren. Also auf meinem Foto habe ich 35 gezählt. Zieht man Sie, und den Videoreporter ab von dem Sie im Artikel (ich zähle Sie beide mal nicht zu den Demonstranten?), dann macht das 33. Sonst halt 35. Warum haben Sie sich da eigentlich abgewendet als sie mich fotografieren sahen? "Hutbürgerin"?

    Meine Brille habe ich übrigens von Apollo, und jetzt zwei Jahre alt. Seit zwei Wochen ruft hier brillen.de jeden Tag an. Die wollen mir natürlich eine Neue andrehen. Weiß der Kuckuck, woher die meine Nummer haben. Brillen.de ist sehr preiswert - und haben auch Designerbrillen. Kann ich Ihnen nur empfehlen. Aber wie gesagt. Mit der Apollobrille habe ich 35 gezählt.

    Soll ich Ihnen das Foto mal schicken?

    Herzliche Grüße

    U. Coppel

    PS: Da sehe ich noch zwei weitere Menschen mit weißer Hautfarbe und umgehängten Kameras auf dem Foto. Wenn das die beiden Gießener Lokal-Kollegen waren, dann macht das 31 Demonstranten in toto.

  • Na, hier scheint sich mal wieder die Jugendorganisation der Einheitspartei auszutoben. Für Stalinisten ist Eritrea wohl das sozialistische Paradies, für andere die Hölle. Und es gibt bisher keine Anzeichen der Diktatur, den Zwangsdienst abzuschaffen.

  • Eine sehr einseitige Wiedergabe der Podiumsdiskussion. Als Schlusssatz ein, vollkommen aus dem Zusammenhang gegriffenes Zitat zu verwenden, halte ich für journalistisch fragwürdig....



    Als "Mitjublerin" darf ich wohl anmerken, dass der Jubel folgendem Sinnzusammenhang galt: 300.000 Leute aus der Armee zu entlassen OHNE alternative berufliche Perspektiven für diese sicherstellen zu können führt die Betroffenen dann schnell in die Kriminalität. Dass die Armee und der Zwangsdienst abgeschafft werden muss stellte NIEMAND im Raum in Frage, vielmehr wurde dieser Ansatz von allen Anwesenden befürwortet.

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  • Danke für den ausführlichen Artikel, auch ich wusste davon nichts.



    "„Wenn die Armee 300.000 Leute entlässt, dann werden die Banditen. Die haben doch nur schießen gelernt.“"



    Das sind ja echt super Aussichten. So funktioniert Diktatur – und deswegen "muss" sie bleiben… die Angst regiert.



    Mir unverständlich, dass die hier lebenden Eritreer so eine offenbar einseitige Sichtweise auf ihr "Ex"-Land haben. Von der Sichtweise einiger Linken ganz zu schweigen.



    Unterirdisch.

    • @Frau Kirschgrün:

      nein der Artikel ist Unterirdisch .Ist dies Journalismus oder Aktivismus.Ich kann hier keine Objektive Berichterstattung erkennen,sondern eine defarmierung mit zusammengewürfelten Lügen."Dass die kostenlose Bildung oft nur bis zur 5. Klasse geht, dass sie Prügelstrafen und Inhaftierungen von Schülern in unterirdischen Verliesen einschließt" nur Kopfschütteln .Der sChulunterricht ist kostenfrei vom Kindergarten bis College .Meine Frau hat ihren Abschluss in BWL dort gemacht und hat keinen Cent zahlen müssen.Die Frage ist nun ,was sind die Motive für diese Propaganda der TAZ?Schulbildung,Medizinische Versorgung sind kostenfrei bis auf eine Anmeldegebühr in Höhe von 1€ .Was ist falsch daran ,wenn die Regierung die Jugendlichen integrieren möchte und Hilfe braucht ,um Jobs zu schaffen?haben Sie gewusst ,dass jeder/Jede Rekrut neben Militärausbildung eine Ausbildung erhält? Es wäre sehr viel zusagen .Dieser Artikel ist nicht nur einseitig ,sondern zielt auf misinformation und defarmierung ,ohne Belege ,dafür zu liefern.

    • @Frau Kirschgrün:

      "…einiger Linken…"



      einiger LinkeR. 🙄 🙄 🙄 .

  • Das ist ja schlimm, dass diese Zwangsarbeitsdiktatur in Deutschland gefeiert wird!



    Ich wusste nichts von Gießen.

  • Auch für einen alten KPDler zum Mitschreiben, denn wir sind ja nicht beim Free-TV (Doof-TV). Es gibt nichts "Kostenloses" auf dieser Welt, weil einer immer dafür bezahlen muss. Das kann doch nicht so schwer zu kapieren sein.