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Jahrestag des NSU-UrteilsNichts ist geklärt

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Der Fall Lübcke hat eine schwärende Wunde wieder aufgerissen. Rechtsextremisten können auch ein Jahr nach dem Schuldspruch weiter Angst verbreiten.

Kein vergessen: Demonstrierende erinnern in München am Urteilstag an die Opfer des NSU Foto: dpa

E s bleibt eine offene Wunde. Zehn Menschen erschoss der „Nationalsozialistische Untergrund“ in diesem Land, über Jahre, ohne entdeckt zu werden. Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boul­garides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter. Vor genau einem Jahr fällte das Oberlandesgericht München sein Urteil darüber: „lebenslänglich“ für Beate Zschäpe, Haftstrafen für vier Terrorhelfer.

Aber es war kein Schlusspunkt. Es konnte keiner sein. Viel zu wenig an dem Fall ist aufgeklärt, nichts ist abgeschlossen. Bis heute sind zentrale Fragen offengeblieben: Woher bekam der NSU seine Waffen? Gab es Helfer an den Tatorten? Wusste der Verfassungsschutz – also der Staat – nicht doch mehr vom Treiben der untergetauchten Rechts­terroristen? Warum werden bis heute Akten zum NSU-Komplex unter Verschluss gehalten? Wenn aber nicht einmal klar ist, wie groß das NSU-Netzwerk war, dann ist nichts geklärt.

Wie groß dieses Problem ist, zeigt sich nach dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke. Wieder war es ein Kopfschuss, wieder Kassel, wohl wieder ein Rechtsextremist. Und wieder sind die Fragen da: Gibt es eine Verbindung zum NSU-Netzwerk? Diente die Mordserie als Vorbild?

Die schwärende Wunde wird nun wieder aufgerissen. Deshalb ist es falsch, im Fall Lübcke von einer Zäsur zu sprechen, wie es zuletzt einige PolitikerInnen taten. Diese Zäsur war spätestens mit den NSU-Morden da. Aber auch davor gab es Rechtsterror in diesem Land. Das Beängstigende ist nur, dass der Terror mit dem NSU-Gräuel nicht aufhörte. Dass es kein Erschrecken der Rechts­extremen gab, kein Innehalten. Im Gegenteil.

Kein Signal der Abschreckung

Zwei der engsten NSU-Helfer sind heute als gefeierte Helden in der Szene zurück. Ein Brieffreund Zschäpes ist tonangebend im militanten Combat-18-Netzwerk. Eine NSU-Opferanwältin erhielt Drohbriefe, mit Daten aus Polizeicomputern, von einem „NSU 2.0“. In Chemnitz formierten sich Neonazis, die erklärten, gegen sie sei der NSU nur eine „Kindergarten-Vorschulgruppe“.

Und nun der Mord an einem Politiker. Die rechtsterroristische Gefahr nach dem NSU bleibt nicht nur, sie scheint größer denn je.

All dies ist auch ein Zeugnis für das Versagen dieses Staates. Es hätte nach dem NSU-Auffliegen ein hartes Vorgehen gegen die rechtsextreme Szene geben müssen, Aufklärung bis ins Letzte. Einen Schlag, der die Szene beeindruckt. Aber den gab es nicht. Und auch das NSU-Urteil, das Vertraute des Terrortrios wie André Eminger schonte, sendete kein Signal der Abschreckung.

Die Rechtsextremen haben das gemerkt. Sie machen einfach weiter. Und der Staat findet kein Mittel dagegen. So bleibt ein bitteres Fazit der NSU-Aufarbeitung. Eines, das Angst macht.

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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5 Kommentare

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  • Wir müssen wohl erstmal und vor allem über Linksterrorismus und Ökoterrorismus sprechen, gelle? Viel wichtiger, weil nicht Demokratie- aber Kapitalismusgefährdent.

  • Am 11 Juli 2018 wurde das Urteil d.d. 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München gegen die Verbrecher ausgesprochen. Ich hatte mir wegen des anstehenden Urteils den ganzen Monat Urlaub genommen und saß persönlich auf der Tribüne im Zuschauerraum, neben einer ganzen Gruppe stinkender Nazis.



    Dann kam der VRiOLG Manfred Götzl mit seinem Anhang in den Saal, es ging schnell zur Sache. In Erinnerung werde ich behalten, als der Richter überraschend mild die Strafe für André E., - den engsten Vertrauten des Trios, einen mit Nazi-Tattoos übersäten Mann, der die Wohnungen und Wohnmobile organisierte – mit drei Jahre Haft aussprach und ihn wegen der Verfahrensdauer gleich auf freien Fuß setzte. In diesem Augenblick, tobten die Nazis die nehmen auf der Tribüne des Saals saßen, klatschten, jubelten und einer brüllte „Heim ins Reich“

    Ich habe keine besonderen Bemühungen des VRiOLG Götzl oder seiner Hilfspersonen erkennen können, diesen Jubel der Nazis schnell und effektiv einzudämmen.

    Später bekam ich mit, wie die Angehörigen der Mordopfer wegen diesem Jubel der Nazis ins weinen und in eine Schockstarre verfallen sind. Nur noch traurig.

  • Der Verfassungsschutz schützt die Verfassung auf die gleiche Art und Weise, wie Rostschutz den Rost schützt...

  • Uns sollte weniger der Rechtsterror, denn die Haltung nicht weniger unter denen, die unsere Gesellschaft, unseren Staat, auf das Grundgesetz vereidigt, in Bund, Ländern, Kommunen zu schützen vorgeben, Angst machen, weil sie, mit Hannah Arendt gesprochen, auf das NS Regime 1933-1945 gemünzt, unglaublich fantastische Ideen entfalten, was für Optionen der Rechtsterror ihnen in ihren speziellen Aufgabenbereichen als Herren in Verfahren an der unsichtbaren Front zu verheißen scheint.

    Interpol u. a. internationale Vereinigungen nehmen inzwischen die Zusammenarbeit mit deutschen Staatsanwaltschaften nur eingeschränkt wahr, die Weitergabe internationaler Haftbefehle aus Deutschland werden häufig nicht akzeptiert. Warum?



    Weil Staatsanwälten in Deutschland ihrer gesetzlichen Vorgabe, ohne Ansehen von Personen, Unternehmen, Gruppierungen, Verbrechen aufzuklären, nur eingeschränkt nachkommen dürfen. Denn Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten kennt Deutschland keine unabhängige Staatsanwaltschaft. Der Bundesjustizminister kann Staatsanwaltschaften anweisen, die wiederum das sog staatsanwaltliche Hilfsorgan Polizei. Er kann Generalbundesanwälte berufen, entlassen. Der Generalbundesanwalt kann wiederum jeden nachgeordneten Staatsanwalt das Verfahren entziehen, einem willfährigen zuweisen. Diese Situation erfüllt Anfangsverdächte von Strafvereitelung im Amt. Innenminister in Bund, Ländern wiederum sind weisungsbefugt gegenüber BKA, Verfassungsschutz.



    Davon abgesehen, hat die Bundesregierung Konrad Adenauer auf Anraten Deutschen Juristentages 1953 das Unternehmensstrafrecht, Verbandsklagerecht, in Westzonen von Besatzungsmächten eingeführt, ausgesetzt, damit Staatsanwaltschaften gar nicht erst Idee entwickeln, zu ermitteln, s. Zwangsarbeit Entschädigung, Contergan Skandal 1962, Dieselgate 2015.

    S. Consultative Council of European Judges (CCJE)

    www.heise.de/tp/fe...chutz-3339986.html

  • Nichts ist geklärt: bis man diese sog. "Verfassungsschutz" endlich auflöst, die auf 120 Jahre verschlossen Akten ans Tageslicht bringt, und einige der V-Leute hinter schwedische Gardinen verschwinden liesse.