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IRAK: DER VERFASSUNGSPROZESS IST EIN PLACEBO FÜR DIE US-WÄHLERBush gehen die Argumente aus

Washington braucht gute Nachrichten aus dem Irak. Vom Wiederaufbau fehlen sie, von der inneren Sicherheit erst recht: Seit dem vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Bombenanschläge verdoppelt, die Zahl der Toten unter den im Irak eingesetzten Reservisten war noch nie so hoch wie in den ersten Augustwochen. Sollen die US-Amerikaner den Glauben an den Irakeinsatz nicht ganz verlieren, muss Bush zumindest auf dem politischen Feld Erfolge vorweisen können.

Dabei ist Washington ein riskantes Poker eingegangen, indem es den politischen Fahrplan, wie er vor gut einem Jahr verabschiedet wurde, für unumstößlich erklärt hat. Bis zum 15. August musste ein Verfassungsentwurf auf den Tisch – egal um welchen Preis. Damit der Entwurf eine Chance hat, bei der geplanten Volksabstimmung angenommen zu werden, braucht es einen Konsens zwischen den arabischen Schiiten und Sunniten sowie den Kurden. Doch deren Vorstellungen vom künftigen Irak liegen himmelweit auseinander.

Im Grunde schwebt den Schiiten eher Iran denn Europa als Vorbild für das Zweistromland vor. Die Sunniten kämpfen mit dem Verlust der Macht und einer fehlenden politischen Interessenvertretung, fürchten aber schon jetzt die schiitischen Rollkommandos. Die Kurden möchten mit alldem nichts zu tun haben und wollen sicher sein, dass ihre Kämpfer sie auch künftig vor sunnitischen Terroristen und Fatwas der Geistlichen in Nadschaf schützen. Zum Überleben ihres Teilstaats fehlt ihnen nur noch das Öl von Kirkuk. Kurz: Allen mangelt es an Vertrauen in die demokratische Zukunft.

Vertrauen lässt sich freilich nicht erzwingen. Mehrmals haben die Amerikaner auf die Wende gehofft, zuletzt nach den Wahlen. Stattdessen ist das Land immer weiter ins Chaos abgeglitten. Die Gründe dafür sind zahlreich – einer liegt in der Geschichte des Irak. Nie hat es hier einen Gesellschaftsvertrag gegeben, zusammengehalten wurde das Land in erster Linie durch die Gewalt. Dies zu überwinden, braucht es Zeit. Da im Zweistromland aber die Waffen das Wort haben, gehen Bush allmählich die Argumente für den Irakeinsatz aus. Der Verfassungsprozess ist deshalb nicht mehr als ein Placebo für die US-Wähler. INGA ROGG

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