: Im Westen kaum Neues
In Bremen wird sich erstmals im deutschen Westen die Linkspartei an einer Koalition beteiligen – zur Kompensation von Wahlverlusten von Rot-Grün. Eine erste Zwischenbilanz der Koalitionsverhandlungen verspricht viel Kontinuität
Von Klaus Wolschner
Rot-Grün-Rot – wie geht das im Westen? Das ist die Brille, durch die bundesweit nach Bremen geschaut wird, auf die ersten Koalitionsverhandlungen in dieser Konstellation. Am Dienstagabend haben die VerhandlerInnen von SPD, Grünen und Linkspartei erstmals über den Stand ihrer Koalitionsverhandlungen berichtet – und eine halbe Stunde lang Nachfragen abgewehrt mit dem Hinweis, sie hätten noch wichtige Themen auf ihrer Tagesordnung.
Zwar ging es bei den Verhandlungen nicht um Finanzierbarkeiten, aber so viel ist schon deutlich geworden: Die Linke wird sich von ihrer jahrelangen Polemik gegen die „Schuldenbremse“ verabschieden, um mitzuregieren. Zwischen Rot-Grün (vergangene Legislaturperiode) und Rot-Grün-Rot (nächste Legislaturperiode) wird es ein großes Maß an Kontinuität geben. Für das hoch verschuldete Bundesland läuft gerade eine zwölfjährige Finanz-Sanierungsphase aus.
Die größte Summe, die mit Blick auf die nächsten vier Jahre zur Diskussion stand, war eine 180 Millionen Euro schwere Rücklage für den Bau eines Offshore-Windenergieterminals in Bremerhaven (OTB). Die Gerichte hatten auf die Klage des Naturschutz-Bundes hin das Projekt auf Eis gelegt, weil nach Ansicht der Richter der geringe nachgewiesene Bedarf die Eingriffe in die Natur nicht rechtfertige. Für die Bremer Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) waren die 180 Millionen so etwas wie eine heimliche Spardose. Nun soll sie geöffnet werden: ein anderes Terminal soll für Bremerhavener Offshore-Firmen hergerichtet werden. Und ökologisch profilierte Wirtschaftsförderung soll finanziert werden.
Ganz aufgeben will die Bremer SPD das OTB aber noch nicht – es könnte ja auch sein, dass die Bundesregierung irgendwann ihre Ausbauziele für die Offshore-Energie wieder nach oben setzt und dadurch ein größerer Bedarf an Häfen und Terminals entsteht.
Auch bei der Verkehrspolitik setzen die Koalitionäre auf Kontinuität – „Autofreie Innenstadt 2030“ ist die Parole, auf die sich alle einigen konnten. Die seit Jahren nicht ausgelastete, teilweise vierspurige Martinistra-ße, die die Innenstadt von der Weser abschneidet, soll zurückgebaut werden. Die Idee ist nicht neu, ebenso wenig wie die der Schließung des Autobahnrings.
Weiter gefördert werden soll der Radverkehr: War die Überquerung der Weser, die Bremen in zwei Teile trennt, bisher nur auf Auto-Straßen möglich, sollen jetzt drei Weser-Radbrücken entstehen. Zudem sollen ampelfreie „Premium-Routen“ für die schnellen Radfahrer eingerichtet werden. Das größere Gewicht der Grünen in der neuen Koalition wird bei der Umsetzung des Programms vielleicht mehr Druck erzeugen, als die Grünen in der Regierung mit der SPD ausüben konnten.
Eine Förderung der E-Roller, die in Zukunft die Innenstädte vom Autoverkehr zu entlasten versprechen, waren nicht Thema bei den Verhandlungen – der ausgeschiedene grüne Senator Joachim Lohse (Grüne) hatte in der bundesweiten Diskussion zu den Bedenkenträgern gegenüber dem neuen Mobilitäts-Angebot gehört.
Das Thema Bildung haben die Koalitionäre erst Ende der Woche auf der Tagesordnung. Beim Thema Sicherheit hingegen haben sie sich schon festgelegt: Aufstockung der Zahl der Polizeibeamten, aber keine neuen Befugnisse. Mehr Kontaktbeamte sollen das Sicherheitsgefühl in den Stadtteilen stärken.
Ein Anliegen, mit dem die Linkspartei sich profilieren kann, das die SPD aber gern erfüllt, waren arbeitsmarktpolitische Initiativen, bei denen sich die Koalitionäre auf „Prüfaufträge“ geeinigt haben: Die Integration von Alleinerziehenden in den Arbeitsmarkt soll gefördert, die Gleichheit des Lohnes für Frauen tarifpolitisch gestärkt werden. Mit einer „Ausbildungsumlage“ könnten Betriebe motiviert werden, Azubis einzustellen, die aufgrund mangelnder Qualifikation oder Deutsch-Kenntnisse schlechte Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben. Ein kleines Bonbon gibt es für alle: Der Öffentliche Nahverkehr soll die Preise familien- und jugendfreundlicher gestalten, Schüler sollen nur noch 25 Euro für das Monats-Ticket bezahlen. Aus der Forderung der Linken, den ÖPNV kostenlos zu machen, wurde nur ein „Prüfauftrag“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen