Neues Album von Britrapper Skepta: Autonomie und Stichwaffen
Skepta ist der helle Stern am dunklen Firmament des britischen Rap-Dialekts Grime. Auf dem neuen Album zieht er alle Reimregister.
Skepta lacht nicht. Dabei hätte der Grime-MC aus dem Londoner Norden einige Gründe dazu. 2017 gewann er den Mercury-Musikpreis für sein Album „Konnichiwa“, letztes Jahr hatte er einen Welthit mit A$AP Rocky. Und im März ist er Vater einer Tochter geworden. Neben ihrem Kinderwagen sitzt Skepta im Video zu seinem neuen Stück „Bullet From A Gun“ in einer Londoner U-Bahn-Station. Neben ihm knutscht ein Paar, eine Frau schminkt sich, und ein junger Mann wird von zwei Polizisten zu Boden gerungen. „It ain’t safe, even in a world full of cops“, rappt Skepta, bevor er sich mit dem Luxuskinderwagen wieder auf den Weg macht.
„Bullet From A Gun“ ist Grime nach dem Lehrbuch: eine Mischung aus Kitchen-Sink-Realismus und Ghetto-Fabulous-Fantasien, versetzt mit Londoner Slang und trockenem Humor. Es ist das attraktivste Identitätsangebot, das der britische Pop in diesem Jahrtausend hervorgebracht hat. Grime war die Musik derjenigen, die in den nuller Jahren auf der Schattenseite der Londoner Immobilienblase aufgewachsen sind und in den Kinderzimmern ihrer Sozialwohnungen mit billigen PCs Beats gebaut haben.
Unter ihnen auch Skepta, bürgerlich Joseph Adenuga, sein Bruder JME und seine Schwester Julie. Das ist rund 15 Jahre her. Heute sitzen die drei Geschwister an Schlüsselstellen der britischen HipHop-Szene. Julie moderiert beim Apple-Radiosender Beats 1, JME traf sich 2017 im Wahlkampf mit Jeremy Corbyn, nachdem die Labour-Nachwuchsorganisation Momentum monatelang an ihm gegraben hatte. Bei seinem Treffen erklärte er, dass der Labour-Chef ihn dazu gebracht habe, das erste Mal wählen zu gehen.
Stammgäste in den Nachrichten
Skepta: "Ignorance is Bliss" (Boy Better Know/The Orchard)
Seitdem sind Grime-MCs regelmäßig Gäste in britischen Nachrichtensendungen, wo sie über psychische Gesundheit oder die Messerattacken unter afrobritischen Jugendlichen sprechen. Selbst der konservative Spitzenpolitiker Matt Hancock sah sich genötigt, Skepta zu einem seiner Lieblingsmusiker zu erklären. Und Skepta selbst? Der meinte vier Monate nach dem Wahlkampf: „Jetzt interessieren sich die Politiker wieder einen Scheiß für uns.“
Auf seinem neuen Album, „Ignorance Is Bliss“, verweigert sich der Londoner MC dann auch der sozialrealistischen Erzählung. Stattdessen sprenkelt er sein Werk mit Verweisen auf die Afro-Diaspora. Mal zitiert er einen Vers aus der goldenen Ära des US-HipHops Anfang der 90er, mal klingen seine Synthesizer nach Detroit Techno, ein anderes Mal erweist er dem Naija Pop aus Nigeria kurz Reverenz – auch der nigerianische Popstar Wizkid hat einen kurzen Gastauftritt.
„Ignorance Is Bliss“ verortet Skeptas Heimatstadt London nicht auf den Britischen Inseln, sondern inmitten eines transkontinentalen Netzwerks, das existiert, seit in der Römerzeit die ersten Schwarzen den Ärmelkanal überquert haben. Im Zentrum dieses Netzwerks steht aber die afrobritische Underground-Dance-Szene, über die der 36-jährige Künstler wie ein Pate wacht.
In die Brüche gegangen
Auf „Love me“ rappt Skepta auf einem 2-Step-Beat über Beziehungen, die in die Brüche gegangen sind, und teilt sich die Verse mit dem Garage-MC B Live, einer bekannten Stimme des Londoner Piratenradios. Auf „What Do You Mean?“ hat dann der Londoner MC J Hus seinen Auftritt. Der 24-Jährige, der als Jugendlicher bei einem Messerangriff verletzt wurde, wurde 2018 wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Haftstrafe verurteilt – Skepta forderte damals seine Freilassung.
„I made some mistakes that I gotta redeem“, rappt J Hus über einem Boom-Bap-Beat, bevor Skepta ihn zum Teil seines Teams macht. „Ignorance Is Bliss“ bezieht seine Stärke aus der Geschichte einer Subkultur, die Skepta mit aufgebaut hat, ein Symbol einer Autonomie, die auf Anerkennung durch Dritte locker verzichten kann – auch weil Skepta weiß, wie flüchtig sie ist.
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