: Die Kunst der Lehrtafel
Ein Miteinander von Kunst und Wissenschaft: Die Ausstellung „Zoologie in Bildern“ zeigt im Tieranatomischen Theater der HU die Geschichte des visuellen Lernens in der Biologie
Von Tom Mustroph
Das Lernen durchs Gucken wurde zwar erst in den 1990er Jahren als „pictorial turn“ in den Kulturwissenschaften rehabilitiert. Diese Wende löste damals die Wissensverarbeitung durch Sprache und Schrift ab. Die Praxis des Lernens durch Bilder aber reicht lange zurück. Das zeigt recht eindrucksvoll die Ausstellung „Zoologie in Bildern“, die die „Wandtafeln der zoologischen Lehrsammlung“ im prächtigen Bau des Tieranatomischen Theaters präsentiert. Einst diente dieser der Antike nachempfundene und vom Baumeister des Brandenburger Tors, Carl Gotthard Langhans, errichtete Kuppelbau Tierärzten für Anatomievorlesungen. Auf einem versenkbaren Seziertisch kam dabei der zu zerlegende Tierkadaver nach oben – ein echtes Schauspiel, gehüllt ins Gewand der Naturwissenschaft.
Jetzt sind in den Räumen um den alten Hörsaal die weniger blutigen Produkte solcher Aufschneidepraktiken zu sehen: Darstellungen von Tieren, die dank künstlerisch geschulter Hand sowohl einen naturalistischen Anblick der Gestalt von Haien, Bienen oder Tauben bieten, zugleich aber auch einen Blick ins Innere, auf die Organe, das Skelett, das Muskelgewebe erlauben und all dieses Wissen um die anatomischen Zusammenhänge auch systematisieren. Wandtafeln aus der Zeit zwischen 1884 und 1971 werden gezeigt.
An ihnen wird das fruchtbare Miteinander von Kunst und Wissenschaft deutlich. Manche Tafeln sind kleine Meisterwerke der naturalistischen Malerei. Carla Stephanie Friedemann, eine Absolventin der Hochschule für Bildende Künste, schuf 1971 eine geradezu spektakuläre Darstellung einer Taube, die – so scheint es – von selbst ihren Bauchraum öffnet und den Blick in ihr Inneres freigibt. Diese späte Arbeit – Friedemann schuf zwischen 1949 und 1979 etwa 700 Lehrtafeln für das Zoologische Institut der FU – schlägt am deutlichsten den Bogen von der Schnippelei am Kadaver zum visuellen Schauspiel.
Wie sehr die Qualität der Abbildung beim Verstehen hilft, zeigt auch der vergleichende Blick auf in Alkohol konservierte Tierpräparate, die der Ausstellungskurator Gerhard Scholtz, selbst Zoologie-Professor und Leiter der Zoologischen Sammlung der Humboldt-Universität, der Ausstellung beigefügt hat. In diesen Präparaten sind die Farben des Muskelgewebes verblichen, nur das geübte Auge vermag noch Strukturen zu erkennen.
Die Ausstellung dokumentiert auch einen Wandel in der Darstellung. Frühe Wandtafeln, etwa die vom Grauen Grundhai, die 1902 der Wiener Gymnasiallehrer Paul Pfurtschneller schuf, dienten vor allem dem Verstehen von Anatomie und Fortpflanzungsphysiologie einer Tierart. Spätere Tafeln konzentrieren sich auf Vergleiche verschiedener Tierarten und auf Entwicklungsprozesse. Wie die von der Malerin und Grafikerin Erika von Bruchhausen 1934 am Zoologischen Institut der heutigen HU angefertigte Übersichtstafel „Gehirne verschiedener Wirbeltiere“, die in schematischer Darstellung die Hirne von Hai, Frosch, Alligator, Vogel, Kaninchen und Hund nebeneinanderstellt. Ebenfalls von Bruchhausen, zwischen 1918 und 1920 gefertigt, stammt die Darstellung der Metamorphose von Seesternen.
Der für Schulverlage tätige Max Riedel schuf um 1935 eine imposante Farbtafel, die den Zyklus der Nonne von der Raupe bis zum Nachtfalter in einem Waldstück darstellt und dabei auch die Fraßschäden der Raupe an den Bäumen betrachtet. Die ästhetisch beeindruckendste Arbeit stammt wieder von Friedemann. 1966 malte sie auf nachtschwarzem Grund, wie Meerestiere wie Fische und Quallen Leuchtstoffe in den dunklen Tiefen der Ozeane produzieren und auf diese Art visuell miteinander kommunizieren. Ein prächtiges Nachtstück am Ende des Ausstellungsparcours.
Einige Wünsche bleiben allerdings offen. Schade ist, dass nicht noch mehr Objekte aus der etwa 600 Stücke umfassenden Sammlung gezeigt werden. Unverständlich ist, dass keinerlei biografische Angaben zu den einzelnen Malerinnen und Malern geliefert werden. Und an den ganz großen Coup, einen Vergleich zwischen den wissenschaftlichen Arbeiten der bildenden Künstlerinnen und Künstler und ihren rein künstlerischen Arbeiten, trauten sich die Ausstellungsmacher offenbar nicht.
Zur Langen Nacht der Wissenschaften am Samstag gibt es Kuratorenführungen, jeweils 19.30 und 21.30 Uhr in deutscher und 20.30 und 22.30 Uhr in englischer Sprache.
Zoologie in Bildern: Tieranatomisches Theater der Humboldt-Universität (Campus Nord), Philippstr. 13, Di.–Sa. 14–18 Uhr, bis 5. Oktober. Eintritt frei
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