: Keine Bühnefür Alphas
Die Konferenz „Burning Issues“ über Geschlechterungleichheit am Theater, initiiert vom Ensemble-Netzwerk, fand als Teil des Berliner Theatertreffens statt. Das Ziel: ein bisschen Revolution
Von Daphne Weber
Vor dem Haus der Berliner Festspiele steht eine lange Schlange – ein normales Szenario beim Berliner Theatertreffen. Das Besondere: Es sind ausschließlich Frauen, die da auf Einlass warten. Am Freitag eröffnete die Konferenz „Burning Issues. Konferenz zu Gender(un)gleichheit“ am Theater als Teil des Berliner Theatertreffens 2019, initiiert vom umtriebigen Ensemble-Netzwerk.
Von Macht und Solidarität
Zur ersten Abendveranstaltung waren nur Frauen zugelassen, „ladies only“ steht auf dem Programmheft. Das gesamte Wochenende über fanden Workshops statt, in denen Theatermacher*innen andere Theatermacher*innen unterrichten. Man diskutierte über Solidarität am Theater, über Machtmissbrauch, feministische Ästhetik, Körpernormen oder kollektives Arbeiten. Workshopleiterinnen und Diskutantinnen waren unter anderem die Intendant*innen Barbara Mundel, Maria Fleming oder Hasko Weber, Gruppen wie SheShePop und Autor*innen wie Nele Stuhler, John von Düffel und Darja Stocker.
Erst Ende April hatte Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens, für Aufsehen gesorgt: Für die kommenden zwei Jahre verkündete sie eine Frauenquote für die eingeladenen Inszenierungen. Die Frage, ob es intern Gegenwind gab, verneint Büdenhölzer überraschend. Kritik komme hauptsächlich von außen, von konservativen Presseorganen, die der Überzeugung sind, die Frauenquote schade vor allem den Frauen.
Eine Sichtweise, die eine freischaffende Regisseurin, die zu „Burning Issues“ gekommen ist, nicht teilen kann: „Ich sehe mich permanent mit Missständen konfrontiert, muss mich viel härter beweisen als männliche Kollegen. Eine Quote schafft erst mal ein Bewusstsein für das Anliegen, dass zu wenig Frauen an großen Bühnen inszenieren, und das hilft mir als Frau ganz konkret – und vielen anderen Frauen in künstlerischen Berufen.“ Es ist der Tenor des Konferenzauftakts, dass man gemeinsam etwas bewegen und nicht gegeneinander arbeiten wolle. In einem Theatersystem, das Künstler*innen ganz generell zu Konkurrent*innen erzieht, ist es vor allem die Last der Frauen, sich gegenüber männlichen Mitstreitern – aber auch untereinander – zu behaupten. Damit brechen die Initiatorinnen von „Burning Issues“. Liebevoll redet Lisa Jopt, Gründerin des Ensemble-Netzwerks, die zuhörenden Frauen in ihrem Eröffnungsbeitrag mit „Sisters“ an.
Maria Nübling, Leiterin des Stückemarkts, beschwört euphorisch „die letzten Tage des Theaterpatriarchats“. So weit, so pathetisch. Aber es fehlt das ganz große Pathos der Alpha-Platzhirsche an diesem Abend. Büdenhölzer, Jopt, Nübling, Laura Kiehne vom Ensemble-Netzwerk und Dramaturgin Nicola Bramkamp, die zu fünft die Konferenz eröffnen, sind lässig, fröhlich und auf dem Teppich geblieben. Es geht ihnen nicht darum, sich selbst in Szene zu setzen und verbalradikale Reden zu schwingen, sondern ganz konkret Veränderung zu bewirken. Das fesselt die Zuhörerinnen. Sie alle teilen einen Alltag, der wenig auf ihre Bedürfnisse als Künstlerinnen Rücksicht nimmt – und auf ihre menschlichen schon gar nicht.
Die Ensemble-Netzwerkerin Kiehne stellt nüchtern die Ziele der neuen Kampagne des Ensemble-Netzwerks vor. „Ziele 3000“ heißt das Dokument und besteht aus vier Bausteinen: Zeit, Geld, Teilhabe und Respekt. Die Künstler*innen streiten für eine maximale Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, in die auch zeitaufwändige Tätigkeiten wie „Text lernen“ fällt, mehr Zeit für die Familie und probenfreie Samstage. Der Aspekt „Geld“ beinhaltet eine Mindestgage von 3.000 Euro. Theatermacher*innen sind überdurchschnittlich häufig von Altersarmut betroffen. Nur eine Erhöhung der Gagen und die Festlegung solider Mindestgagen kann dem langfristig vorbeugen.
„Teilhabe“ meint eigentlich Demokratisierung. Die sehr hierarchisch strukturierten Theaterbetriebe erlauben auch dem künstlerischen Personal kaum Mitsprache. Das Ensemble-Netzwerk fordert, Ensemblevertretungen dauerhaft und rechtlich verlässlich in den Betrieben zu verankern – eine Forderung, die in anderen Betrieben selbstverständlich ist. Der Teilbereich „Respekt“ subsummiert im Grunde Forderungen nach Arbeitnehmerschutz, der in vielen anderen Sektoren auf dem Arbeitsmarkt sozialer Mindeststandard ist.
Ein Höhepunkt des Abends ist die Rede von Renate Klett, die in den 80er Jahren die Initiative „Frauen im Theater“ und 1980 das erste Frauentheaterfestival in Köln mitgegründet hat. „Dieselben Fragen, die ihr euch stellt, haben wir schon in den 80ern diskutiert“, sagt sie. Viele der überwiegend jungen Frauen im Publikum reagieren überrascht, manche seufzen. Die Mühlen der gesellschaftlichen Veränderung mahlen langsam und Klett zeigt, wie unschätzbar wichtig organisatorische Kontinuität und historisches Bewusstsein sind. „Schön, dass wieder Aufbruchstimmung herrscht. Sprecht mich an, ich hab ein paar Anekdoten auf dem Kasten“, beendet Klett ihre Rede, ganz unprätentiös.
Die Frauen klatschen, man umarmt sich. Die Stimmung ist beseelt und solidarisch. Auf die Frage, warum sie zu „Burning Issues“ gekommen sind, antworten zwei Frauen aus der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Stadttheaters im Süddeutschen Raum: „Revolution! Was sonst?“
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