: Vorsprungverspieler
Es mutet geradezu grotesk an, dass die so offensivstarken Hoffenheimer nur auf Platz 9 landen. Aber das hat Gründe!
Aus Mainz Tobias Schächter
Am Sonntag räumte Julian Nagelsmann sein Büro. Er wechselt zu RB Leipzig. Dreieinhalb Jahre prägte Nagelsmann als Cheftrainer diesen Klub. Nach erfolgreicher Mission als Retter im Abstiegskampf schloss Hoffenheim die zwei folgenden Spielzeiten als Vierter und Dritter ab. Das Erbe, das dieser erst 31 Jahre junge Mann hinterlässt, ist also groß. Die TSG erlebte die erfolgreichste Zeit ihrer nun auch schon elf Jahre währenden Mitgliedschaft in der Bundesliga. Aber seit Samstag liegt die Messlatte für Nagelsmanns Nachfolger Alfred Schreuder, derzeit noch Assistenztrainer bei Ajax Amsterdam, nicht allzu hoch.
Die Europapokalteilnahme verspielten die Hoffenheimer nach einer 2:0-Pausenführung durch die 2:4-Pleite in Mainz. Am Ende dieser kuriosen, wechselhaften Runde landet diese Mannschaft also hart auf Platz neun. Ein Hohn ist das angesichts der Qualität ihres Spiels und der vielen guten Ausgangspositionen, die sie sich im Verlauf der Saison erspielt hat. Aber die zu oft gezeigte Unfähigkeit dieser zumeist begeisternd offensiv spielenden Elf, Führungen in Siege umzumünzen, kostete den Erfolg. „In dieser Hinsicht war das Spiel heute ein Sinnbild für die ganze Saison“, klagte Nagelsmann.
Hoffenheim ist jene Mannschaft in der Liga, die die meisten Führungen verspielte und mit 27 Latten- oder Pfostentreffern den Ligarekord auch in dieser Kategorie hält. „Wir waren nicht gerade von Glück verfolgt“, meinte Nagelsmann: „Es ist unerklärlich, wie wir manchmal nach Führungen aus dem Tritt kommen.“ Für diese Schwäche fand er während der ganzen Saison keine Lösung. Das hat auch damit zu tun, dass in Benjamin Hübner der wichtigste Abwehrspieler verletzt ausfiel. Und oft spielte diese Mannschaft in den Schlussphasen der Partien zu vogelwild. Auch in Mainz kassierte die Mannschaft noch drei Treffer, nachdem sie bis zur 83. Minute in Unterzahl 2:1 geführt hatte und sich mit diesem Ergebnis wenigstens die Europa-League-Qualifikation gerettet hätte.
Der Fall vom Champions-League-Teilnehmer auf Platz neun tut weh. Doch die Mannschaft scheiterte an sich selbst, vergab vorne immer wieder zu viele Chancen und kassierte hinten zu leicht Gegentore. Das von Nagelsmann ausgerufene Saisonziel – den dritten Platz des Vorjahres zu toppen – trug sie mit. Doch die klinische Kälte einer wahren Spitzenmannschaft zeigte sie zu selten.
Im Rückblick, so Nagelsmann, würde er wieder dieses Saisonziel ausrufen. Und er würde wieder vor Beginn der Saison seinen Wechsel zu RB bekanntgeben. Dass es im Verhältnis Trainer/Mannschaft wegen des nahenden Abschieds zuletzt Reibungsverluste gab, deutete Nagelsmann jüngst aber selbst an. Diese wurden durch die harsche Kritik von Andrej Kramarić am Trainer via Bild-Zeitung auch öffentlich. Der Kroate beschwerte sich über zu viele Umstellungen während der Spiele. In den letzten vier Spielen holte die TSG nach zuvor vier Siegen in Serie nur einen Punkt. Doch Nagelsmann sagt zu Recht: „Wir hätten die fehlenden Punkte auch in der Vorrunde holen können.“
Trotzdem: In Rekordzeit hat sich Nagelsmann zu einem der spannendsten Trainer Deutschlands entwickelt. Mit Mut, taktischem Variantenreichtum und Entertainerqualitäten prägte dieser Coach die Liga mit und baute in Hoffenheim mit Sportchef Alexander Rosen aus vielen zuvor verkannten Profis eine Mannschaft, die den Klub sportlich und wirtschaftlich Perspektiven eröffnet. Allein mit den Wechseln von Nico Schulz (für 27 Millionen nach Dortmund) und Kerem Demirbay (für 32 Millionen nach Leverkusen) macht die TSG diesen Sommer rund 55 Millionen Euro Gewinn. Noch viel mehr als die beiden Europapokal-Teilnahmen sei sein Vermächtnis, einen Kader hinterlassen zu haben, der 200 Millionen Euro Ablösesummen generieren könne und somit Arbeitsplätze und Bundesligazugehörigkeit auf Jahre garantiere, sagt Nagelsmann selbst.
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