Sperrungen vor der Europawahl: Twitter hat's verblockt
Der Kurznachrichtendienst will zur EU-Wahl gegen Wahlmanipulation vorgehen. Doch die Strategie geht nach hinten los, wie der Fall Chebli zeigt.
Hintergrund ist die Twitter-Richtlinie zur „Integrität von Wahlen“. Die soll verhindern, dass durch Fakes die Debatte vor den Wahlen verfälscht wird. Geblockt wurde dann aber unter anderen das Konto der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD), wegen eines Posts, der mit der EU-Wahl gar nichts zu tun hatte. Chebli hatte sich mit der AfD angelegt, wegen eines Posts darüber, dass „Mohammed“ in Berlin der meistvergebene männliche Vorname ist.
Inwieweit Chebli damit gegen die Wahl-Regel verstoßen haben soll, ist unklar. Über die Richtlinie heißt es bei Twitter: „Es ist nicht erlaubt, die Dienste von Twitter mit dem Ziel zu nutzen, Wahlen zu manipulieren oder zu beeinträchtigen“. Darunter falle das Posten oder Teilen von Inhalten, die sich negativ auf die Wahlbeteiligung auswirkten oder „falsche Angaben zum Termin, zum Ort, oder zum Ablauf einer Wahl machen“, steht auf einer entsprechenden Erklärseite des Kurznachrichtendiensts.
Etwas anders ist der Fall Thomas Stadler: Der Fachanwalt für IT-Recht wurde am Samstag für einen Jahre alten Witz gesperrt. Stadler hatte 2016 AfD-Wähler aufgefordert, ihren Stimmzettel mit Namen zu unterschreiben. Offenbar hatten AfD-Anhänger den Tweet nun gemeldet.
„Maßnahmen zum Schutz der Europawahl“
Die Richtlinie selbst ist nicht neu. Die Funktion, mit der Tweets gemeldet werden können, die dagegen verstoßen sollen, gibt es aber erst seit dem 29. April, Twitter will damit nationales Recht umsetzen. Wählertauschung kann laut Strafgesetzbuch mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden.
Der Social Media-Analyst Luca Hammer vermutet, dass die neue Meldefunktion von einigen Nutzern missbraucht wird. „Einzelne Accounts haben dazu aufgerufen, ‚Linkstwitter‘ damit zu melden“, sagt Hammer der taz. Fehlentscheidungen zu Sperrungen seien darauf zurückzuführen, dass die Regel erst jetzt offensiv verfolgt wird. „Das Problem ist, dass Contentmoderator_innen, innerhalb von Sekunden Entscheidungen treffen müssen, die normalerweise Richter_innen in einem Prozess fällen, nachdem beide Seiten ihre Argumente vorgetragen haben.“
Auch Facebook hat „Maßnahmen zum Schutz der Europawahl“ getroffen. Für alle Werbeanzeigen, die sich auf wichtige Themen innerhalb der Europäischen Union beziehen, gibt es einen speziellen Autorisierungsprozess. Die Identität der Werbetreibenden soll so überprüft werden, um Einflussnahme aus dem Ausland zu erschweren. Zudem muss bei politischen Anzeigen innerhalb der EU gekennzeichnet werden, wer die Werbung finanziert hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen