Ausstellung „Von Wölfen und Menschen“: Durchs Reich der Metaphern
Ambivalentes Verhältnis: Das Hamburger Museum am Rothenbaum nimmt den Umgang des Menschen mit dem Wolf in den Blick.
Eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, einen Deutschkurs absolvieren, ein Bankkonto einrichten. Formalitäten mit denen sich der Homo sapiens unserer Zeit, nicht aber ein Canis lupus abmüht, wenn er ins Bundesgebiet migriert. Dass der Mensch sich lesbar macht, um sich in einer vom Gesellschaftsvertrag geregelten Gemeinschaft vor sich selbst zu schützen, ist notwendig und politischer Konsens. Dem entzieht sich der als Nomade umherstreifende Wolf. In unserem von Regeln und Grenzen geformten Leben macht ihn das zum Reflexionspunkt menschlichen Objektivierungsdrangs.
In einer performativen Kunstaktion hat sich Corinna Korth anderthalb Jahre lang als hybride Wolfsfrau dem mühevollen Prozess einer Einbürgerung unterworfen. Anhand von Urkunden und Fotografien dokumentiert sie Behördengänge und den Versuch, als Wolf in menschlichen Kategorien Platz zu finden.
Die Ausstellung „Von Wölfen und Menschen“ im Hamburger Museum am Rothenbaum (Markk) macht genau das. Denn hier geht es nicht um die physiologischen Eigenheiten oder Verhaltensweisen des Tieres, sondern darum, wie der Mensch sich auf den Wolf bezieht. Das ist ebenso widersprüchlich wie aussagekräftig.
Der Wolf ist überall
Als wild und eigenständig wird er beschrieben, aber auch als ein Tier mit hochentwickeltem Sozialverhalten und ausgeprägtem Familiensinn. Er gilt als kräftig und ausdauernd, denn anders als Raubkatzen verfolgen Wölfe ihre Beute über einen langen Zeitraum hinweg. Sie gelten als überaus intelligente Tiere, die ihr Wissen an die jüngeren Generationen weitergeben.
Die Fülle an Assoziationen, die der Wolf beim Menschen hervorruft, macht ihn zu einer geeigneten Projektionsfläche, zum „Sinnstifter“ und zur „Angstfigur“ gleichermaßen. Ob als Sportmaskottchen, Krafttier, Namensgeber, politisches Symbol, Werbelogo oder Protagonist in Filmen oder Erzählungen – der Wolf ist überall, und das nicht erst neuerdings.
Denn lange war der Wolf das am weitesten verbreitete Landsäugetier der Erde. Erst wir Menschen lösten ihn in dieser Position ab und verdrängten ihn in das Reich der Mythen, Märchen und Metaphern. Dass der Vorfahre des Hundes nun nicht nur wieder über Felder und durch Wälder streift, sondern auch in Museen großer Städte Einzug hält, verwundert daher nicht: Einen lebensgroßen Wolfsbau findet man im Eingangsfoyer des Markk – zurzeit jedoch noch unbewohnt.
Viele Bedeutungsebenen
Für die Besucher*innen stehen im Museum vier Stationen bereit, um durch die kulturanthropologischen Bedeutungsebenen des Tieres zu streifen. Im ersten Teil wird dem damals vorrangig bedrohlichen Aspekt des Tieres dessen Bedeutung als Bereicherung der Artenvielfalt gegenübergestellt. Feierte man vor 150 Jahren noch die Ausrottung des Tieres in Europa als zivilisatorischen Erfolg, gilt der Wolf heute als besonders schützenswert.
Wolfsmonitoring etwa versucht deshalb, die Routen und Bestände der Rudel zu erfassen. Besucher*innen können nachvollziehen, wie dabei vorgegangen wird und welche Hilfsmittel nötig sind. Aufnahmen von Wildtierkameras zeigen das Rudeltier auch in freier Wildbahn.
Wie konträr die menschlichen Sichtweisen auf den Wolf sind, haben Kulturanthropolog*innen im Rahmen eines Seminars deutlich gemacht. In sieben filmischen Interviews interviewten sie Menschen aus unterschiedlichen Kontexten.
Chance, zu lernen
Während die Geschäftsführerin des Landesverbands Schleswig-Holsteiner Schaf- und Ziegenzüchter auf die wirtschaftlichen Risiken der Rückkehr des Wolfes eingeht und sich darum sorgt, dass „er mehr holt oder die Schafe mal raustreibt auf die Straße“, sieht der Erzieher eines Waldkindergartens es als, „Chance zu lernen, wie wir mit dem Wolf umgehen“. Der Jäger und Vizepräsident des Landesverbands Schleswig-Holstein hingegen dreht den Spieß um: „Nein – der Wolf muss lernen mit dem Menschen zu leben.“
Als Grenzgänger und Objekt der Verwandlung findet der Wolf Einzug in unterschiedliche kulturelle Kontexte. Seit der Antike kennt man Erzählungen vom Werwolf. Im Mittelalter wurde dieser gar als Rechtssubjekt angeklagt, verurteilt und anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder erhängt. Animalisches Verhalten wurde mit physischen oder psychischen Krankheiten assoziiert – oder gleich dem Teufel zugeschrieben.
Für das moderne europäischer Selbstverständnis ist die Abgrenzung zum Tier bedeutend gewesen. Anders verhält es sich bei den von der nordwestlichen Pazifikküste stammenden Nuu-chah-nulth. Die bunten, aus Holz gefertigten Wolfsmasken, die in verschiedenen, unter anderem rituellen Kontexten genutzt werden, zeugen von einer ganz anderen Beziehung zum Tier.
Wölfe als politisches Symbol
Worin die Unterschiede genau bestehen, das versucht die Ausstellung aber erst gar nicht vollumfänglich begreiflich zu machen. Ohne im selben kulturellen Kontext aufgewachsen zu sein, sei das ohnehin zum Scheitern verurteilt, darin sind sich Künstler und Kurator*innen einig: eine erfrischend selbstkritische Einordnung eines Exponats. Aufsetzen darf man eine der Masken trotzdem.
So ästhetisch der Wolf ist, so sehr wurde er als politisches Symbol missbraucht, vor allem von Nationalisten. Hitlers Faszination für die nordische Mythologie, in der der Wolf eine zentrale Rolle spielt, schlägt sich zum Beispiel in der Namensgebung des Führerhauptquartiers, der Wolfsschanze, und der Wahl seines ersten Pseudonyms, Herr Wolf, nieder. Aber auch neuere nationalistische Bewegungen oder Parteien wie die MHP aus der Türkei, bekannt als „Graue Wölfe“, beziehen sich auf ähnliche Ursprungsmythen.
Ausstellung bis 13. 10., Museum am Rothenbaum (Markk), Hamburg
Ob der Wolf nicht nur als Metapher unter Menschen wieder einen Platz finden kann, fragt man sich am Ende. Corinna Korths hybrider Wolfsmigrant jedenfalls hat es nach einer Ausbildung zur Tierwirtin mit Schwerpunkt Schafshaltung geschafft, ein Vertrauensverhältnis zu Huftieren aufzubauen. Beim Wolf fällt das dem hochentwickelten Primaten offenbar noch schwer.
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