Urteil lebensverlängernde Maßnahmen: Leben ist trotz Leid kein „Schaden“
Ärzte haften nicht, wenn sie Patient*innen durch künstliche Ernährung länger als medizinisch sinnvoll am Leben halten. Das entschied der Bundesgerichtshof.
Den Prozess führte der in den USA lebende Sohn des Mannes aus Bayern als alleiniger Erbe. Er hält es für einen Behandlungsfehler, dass sein kommunikations- und bewegungsunfähiger Vater ohne jede Aussicht auf Besserung jahrelang weiter per Magensonde ernährt wurde. Die Klage richtete sich gegen den behandelnden Hausarzt. Dieser sollte mindestens 100 000 Euro Schmerzensgeld zahlen und Behandlungs- und Pflegekosten von mehr als 52 000 Euro erstatten.
Vorsorglich können Menschen in einer sogenannten Patientenverfügung aufschreiben, in welchen Situationen sie wie behandelt werden möchten und wann sie keine Behandlung mehr wünschen. In dem Fall hatte der Vater nichts hinterlassen und konnte sich selbst nicht mehr äußern. Ob er die Magensonde noch gewollt hätte, war deshalb unklar.
Das Oberlandesgericht (OLG) München war 2017 der Ansicht gewesen, dass der Arzt die Sondenernährung trotzdem nicht einfach hätte weiterlaufen lassen dürfen, ohne die Situation mit dem bestellten Betreuer gründlich zu erörtern. Wegen verletzter Aufklärungspflichten sprachen die Richter dem Sohn damals 40 000 Euro Schmerzensgeld zu.
Urteil über den Wert eines Lebens
Dagegen legte der Arzt mit Erfolg Revision ein. Auch der Sohn und dessen Anwalt hatten die OLG-Entscheidung angefochten, um ein Grundsatzurteil herbeizuführen. Aus ihrer Sicht werden medizinische Standards nur eingehalten, wenn Ärzte für Verstöße haftbar gemacht werden. Das müsse auch für die Behandlung am Lebensende gelten.
Dem wollten sich die BGH-Richter aber nicht anschließen. Die Vorsitzende Richterin Vera von Pentz sagte, es könne dahinstehen, ob der Arzt Pflichten verletzt habe. „Das Urteil über den Wert eines Lebens steht keinem Dritten zu.“ Es fehle deshalb schon an einem immateriellen Schaden, der Schmerzensgeld-Ansprüche auslösen könnte. (AZ: VI ZR 13/18)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
Trumps Sieg bei US-Präsidentschaftswahl
Harris, Biden, die Elite? Wer hat Schuld?
Wirtschaftspolitik der FDP
Falsch und verlogen
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen