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Der letzte Freiraum in Berlin-MitteSehnsuchtsort Arkadien

Der Club Eschschloraque Rümpschrümp im Haus Schwarzenberg wird 24 Jahre. Er ist eine letzte Oase der Selbstbestimmung im durchkommerzialisierten Kiez.

Mitten in Mitte: Kai Fuhrmann, Betreiber des Eschloraque Rümschrümp am Hackeschen Markt Foto: Stefanie Loos

Zahlreiche pink illuminierte vietnamesische Restaurants, ein Chanel-Store, ein Katjes-Café, eine Filiale des taiwanesischen Teeunternehmens Comebuy, das derzeit die tot geglaubte Bubble-Tea-Branche reanimiert: Da, wo sie letztes Jahr eine zwanzig Jahre alte Seniorenresidenz für schicke Stadthäuser abgerissen haben, klafft noch immer eine Lücke. Der Kiez rund um den Hackeschen Mark unterscheidet sich immer weniger von ähnlichen Ecken in London oder New York.

Außer, man biegt kurz ab.

Zwischen dem Eingang zu den Hackeschen Höfen und den pervers kitschigen Rosenhöfen, in der Rosenthaler 39, geht es rechts rein. Auf einen Schlag ist man ein Vierteljahrhundert in die Vergangenheit katapultiert. Bröckelnde Hauswände, ein junges Pärchen tapeziert ein Bild eines heiligen indischen Manns zwischen bunte Tags, Wandmalereien und Schablonen-Graffiti. Touristen fotografieren sich, andere füttern ein Monster aus rostigem Eisen mit einem Euro, woraufhin es anfängt zu seufzen, zu ächzen, mit den Flügeln zu schlagen.

Wir befinden uns im Haus Schwarzenberg, in der letzten Oase im tot gestylten Bezirk. Hier tickt die Zeit noch anders, die Leute tun noch, was ihnen gefällt: Weit, weit weg vom mühsamen Alltag und gesellschaftlichem Anpassungsdruck, der sie umgibt. An diesem Mittwoch feiert der schöne, düstere Club Eschschloraque Rümpschrümp, die Keimzelle des Hauses Schwarzenberg, ihren 24. Geburtstag – und das ist, auch wenn es nur ein krummes Jubiläum sein mag – ein ziemlich guter Grund, diese Institution, diese Bastion der Unangepassten, zu feiern.

Happy Birthday!

Das Eschschloraque Rümschrümp feiert am Mittwoch, dem 10. April, ab 22 Uhr im Haus Schwarzenberg in der Rosenthaler Straße 39 seinen 24. Geburtstag. Der Eintritt ist frei!

Es spielen Resident DJ MissVergnügen, Die Couchies, außerdem die Eschschloraque Allstar DJs.

Wer etwas früher kommt, kann noch die Galerie Neurotitan oder das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt im selben Haus besuchen, beide haben bis 20 Uhr geöffnet. (sm)

Es ist ein warmer Frühlingstag, also bittet Kai Fuhrmann, der sich nur KAI nennt, nach draußen. KAI, ein Mann mit liebevoll hochgestellter Zauselfrisur, ist Kneipier und Künstler, Mitgründer des Eschschloraque und Schöpfer des ächzenden Metallmonsters nebenan. Jetzt sitzt er an einen der Tische des Eschschloraque unter freiem Himmel, im letzten Hinterhof, trinkt einen Cuba Libre und raucht eine Zigarette. „Ich weiß auch nicht mehr, wie wir auf den Namen gekommen sind“, grinst er schelmisch. „Mich hat er immer an die lateinische Bezeichnung einer seltenen Pflanze erinnert.“

Die Chickens schufen Schrottskulpturen

In den 1980er Jahren war es, als KAI mit ein paar Gleichgesinnten die Kreuzberger Künstlergruppe Dead Chickens ins Leben rief. Die Chickens schufen Schrottskulpturen, wie man sie eine Zeit lang öfter sah, wenn auch nie ganz so schön und so lustig: In der apokalyptischen Mauerstadt Berlin, aber auch bei Performance- oder Theatergruppen wie der britischen Mutoid Waste Company oder den katalanischen La Fura dels Baus.

Auch Touristen wollen träumen. Und finanzieren schöne Experimente

1995 fanden die Dead Chickens wie viele Akteure der Westberliner Subkultur eines jener Häuser in Ostberlin, bei denen die Besitzverhältnisse lange ungeklärt blieben. Mehr als viele andere hatten sie Zeit, ein konsistentes Konzept zu entwickeln, und das vor dem Hintergrund handfester Gentrifizierungserfahrungen. Die Dead Chickens waren vorher aus Räumen in Neukölln und Mitte vertrieben worden.

Man gründete den Verein Haus Schwarzenberg, gleich nach dem Eschschloraque kam die Galerie Neurotitan ins Haus, die damals noch unbekannten KünstlerInnen wie Jim Avignon, Mawil und Danielle de Picciotto eine Bühne gab. Das Central, bis heute das beste Programmkino im Quartier, öffnete seine Türen, es folgte das Café Cinema, auch Ateliers entstanden.

Und schließlich entdeckte eine Geschichtswerkstatt die Blindenwerkstatt Otto Weidt, die sich 1940 bis 1947 im Haus befand. Weidt hatte versucht, seine jüdischen Arbeiter vor der Deportation zu schützen, indem er die von ihnen hergestellten Bürsten und Besen als „wehrwichtig“ einstufen ließ. Er bestach die Gestapo, versteckte Arbeiter. Heute gibt es ein kleines Museum im Haus, das diese tolle Geschichte erzählt. Gleich daneben ist das Anne-Frank-Zentrum einzogen.

Als das Haus Schwarzenberg wegen eines Streits zwischen den Erben und zunehmender Begehrlichkeiten von Investoren 2004 unter den Hammer kam, kaufte es wohl auch deshalb für knapp drei Millionen Euro die WBM, die städtische Wohnungsbaugesellschaft Mitte, zusammen mit der Stiftung Deutsche Klassenlotterie. Der aktuelle Mietvertrag geht bis 2026, und auch, wenn in Berlin eines Tages kein Mensch mehr nach der Subkultur der wilden Neunziger krähen sollte: Ein Anne-Frank-Zentrum rauszuschmeißen, so KAI, „das käme seltsam rüber.“

Die Touristen sehen sympathisch aus

Der Abend schreitet rasch voran im und ums Eschschloraque, allmählich wird es nicht nur in den Höfen, sondern auch drin immer voller. An den Tischen wird Englisch und Französisch gesprochen, Japanisch und Chinesisch, die Leute sehen sympathisch aus. 50 bis 70 Prozent der Gäste, so schätzt KAI, sind inzwischen Touristen. Aber was soll man machen, wenn sich die Stammkunden Mitte nicht mehr leisten können?

„Ich finde die Touristen eigentlich ganz nett“, sagt KAI. Trotzdem findet er nicht, dass das Haus nur noch ein Museum ist. Auch Touristen wollen träumen, sagt er. Und finanzieren so ganz nebenbei schöne Experimente mit. Demnächst will KAI beispielsweise mal wieder Musik machen im Eschschloraque – und das wird sicher eine jener Gelegenheiten, wo nur die echten Fans übrig bleiben. „Ich bin kein Musiker, aber mit Bob kann ich gut“, sagt er und setzt wieder die Pokermiene auf.

Er meint Bob Rutman, den 1931 geborenen deutsch-amerikanischen Künstler, der nach wie vor live auf verbogenem Stahl und Styropor Cello spielt und damit eine Geräuschkulisse zwischen Flugzeugrauschen und Pottwalkreischen erzeugt.

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