Kommentar von Brigitte Werneburg zu Elektrozweirädern und der nötigen Infrastruktur: Macht mal Platz!
Anfang dieser Woche, am Montag, dem 1. April, fuhren in Berlin keine U-Bahnen und Busse. Kein Scherz, sondern Streik der Berliner Verkehrsbetriebe. Ein Scherz schien allerdings zu sein, was man dann auf den Straßen der Hauptstadt beobachtete. Da gab es Autofahrer im Stau, die fanden, dass die 15 Zentimeter Abstand zum Vordermann doch reichen müssten, um so auf ihn draufzufahren, dass er dann auf das vor ihm stehende Auto knallt. Sieht lustig aus und macht schön bums.
Es waren auch die riskantesten, weil ungeschicktesten Manöver unter den Massen der Fahrradfahrer zu bestaunen, die sich auf den Radwegen, den Straßen und selbstverständlich den Gehwegen drängten. Rad fahren will geübt sein. Sich nur alle Jubeljahre aufs Fahrrad zu setzen, gerne an einem schönen Frühlingstag, um dann die Gegend unsicher zu machen, das sorgt für die Spitzenwerte bei der Zahl der Unfälle, wie sie für die Frühjahrs- und Sommersaison regelmäßig vermeldet werden.
So weit, so richtig, was die individuelle Verantwortung angeht. Falsch ist es aber, damit gleich ältere Herrschaften pauschal als Hochrisikogruppe zu diskriminieren, weil vor allem sie die Elektroräder kaufen, die zunehmend in tödliche Unfälle verwickelt sind – das Statistische Bundesamt meldet für 2018 einen Anstieg um 24 Prozent. Auch ältere Menschen haben Fahrpraxis. Einfach Geschwindigkeitsbegrenzungen für ihre Pedelecs zu fordern ist billig. Zumal Elektroräder in Deutschland ohnehin geschwindigkeitsbegrenzt sind und man ein Nummenschild braucht, wenn der Elektromotor sie auf mehr als 25 km/h beschleunigt.
Ideen in eine zukunftsweisende Infrastruktur für Fahrräder und E-Roller zu stecken ist teuer. Dabei haben tödliche Unfälle im Radverkehr eben vor allem strukturelle und nicht individuelle Ursachen, wie Fahrwege auf dem Bürgersteig, die meist völlig verrottet sind, während die Radwege auf der Straße ungestraft zugeparkt werden und gerne auch mal im Nichts enden, gar nicht zu reden von gefährlichen Kreuzungen, die nicht umgebaut werden.
Aber da müsste eben der Autoverkehr zurückstecken. Markierte man auf den Straßen, wo jetzt zum Zweck der Luftreinhaltung 30-km/h-Schilder stehen, extrabreite Fahrradwege, wäre wirklich etwas für die Luftreinhaltung getan – und die Autos führen wegen der Masse der Radfahrer eh langsam. Es sterben ja nicht nur Fahrradfahrer auf unseren Straßen. Hier wird auch die toxische Luft produziert, die zu tödlichen Herzinfarkten und Kreislaufzusammenbrüchen unter den Anwohnern führt. Aber deren Situation betrachtet die Politik wie die der Radfahrer: Ist halt Pech.
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