: Faser mit großer Zukunft
Lyocell: Cellulose bietet Petrochemie die Stirn. Aus Gründen des Umweltschutzes werde der Markt von der klassischen Viskosefaser zu Lyocell übergehen, meinen Experten
Die Natur ist intelligent. Und raffinierter als menschliche Chemie. Das wissen kluge Chemiker. Sie spielen daher gar nicht erst Schöpfer, sondern versuchen, Bausteine der Natur zu kopieren. Wie die langkettigen Kohlenwasserstoffe, die so genannten Polymere. Diese Reproduktion beschert der Menschheit eine Vielzahl von Chemiefasern mit besonderen Eigenschaften. Allerdings auf der Basis von Erdöl – mit all seinen Problemen.
Cleverer und umweltfreundlicher ist die direkte chemische Extraktion von Cellulose, die in vielen nachwachsenden Rohstoffen, allen voran in Bäumen und Faserpflanzen, enthalten ist. So wird auch Viskose aus Cellulose gewonnen, obwohl sie als „Chemiefaser“ gehandelt wird.
Allerdings ist das Herauslösen der Cellulose aus dem Rohstoff Holz für die Viskose-Produktion alles andere als umweltneutral. Das angewandte Lösungsmittel ist toxisch und biologisch nicht abbaubar. Um dieses Handicap zu überwinden, haben Chemiker nach umweltfreundlicheren Herstellungsmöglichkeiten geforscht. Das Resultat ist die so genannte Lyocell-Faser, bei der ein Direktlösungsmittel eingesetzt wird, das nach dem Spinnprozess wieder in den Produktionskreislauf zurückgeht.
Weltweit produzieren bisher nur zwei Unternehmen diese umweltfreundliche Faser im großen Maßstab: zum einen Acordis, eine Konzerntochter von Akzo. Zum anderen Weltmarktführer Lenzing AG aus Österreich, dessen umweltinnovative Faserproduktion vor einigen Jahren mit der „Europäischen Blume“ ausgezeichnet wurde. Weil die Nachfrage nach Lyocell stetig steigt, will das Unternehmen seine Lyocell-Produktion sogar verzehnfachen. „Aus Umweltgründen wird der Markt von der klassischen Viskosefaser zu Lyocell übergehen“, prognostiziert auch der Ingenieur Harald Schwippl von der Schweizer Rieter AG, die Anlagen für die Herstellung und Verarbeitung gesponnener Garne aus natürlichen und synthetischen Rohstoffen anbietet. Dabei bewegt sich Lyocell in einem stark wachsenden Markt für „Chemiefasern“. Während sich die weltweite Baumwollproduktion jährlich zwischen 18 bis 20 Millionen Tonnen einpendelt, ist die globale Erzeugung von Chemiefasern bis auf über 14 Millionen Jahrestonnen angestiegen. Der Anteil von Cellulosefasern, bis heute hauptsächlich Viskose, beträgt rund sieben Prozent. Dabei brauchen die Cellulosefaser-Produzenten keine Rohstoffknappheit zu befürchten, erzeugt doch die globale Photosynthese die gigantische Jahresmenge von geschätzten 200 Billionen Tonnen des Biopolymers.
Weil die Erdölvorkommnisse schwinden und die Klimadiskussion hohe Wellen schlägt, wittern Experten große Potenziale in der Cellulose. Das Verbraucherministerium fördert durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) 16 Cellulose-Projekte mit über fünf Millionen Euro. „Wir bemühen uns besonders, heimisches Holz in die Verarbeitungskette der Chemiezellstoff-Industrie zu integrieren, um die nicht ausgeschöpften Absatzpotenziale für Rest- und Durchforstungsholz in die Wertschöpfung einzubinden“, skizziert FNR-Geschäftsführer Andreas Schütte die Förderstrategie. Er spricht vom „Multitalent Cellulose“, weil dieses Biopolymer nicht nur für Papier und Textilfasern einsetzbar ist, sondern auch in anderen Industrien umweltbelastende Materialien ablösen kann.
Allerdings ist Cellulose in ihrer ursprünglichen Form kein Thermoplast. Deshalb wird die Umformung in einen solchen Werkstoff untersucht und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in einem sechsjährigen Forschungsprogramm unter dem Projekttitel „Cellulose und Cellulosederivate“ vorangetrieben.
Am Kompetenzzentrum für Polysacharid-Forschungen der Universität Jena arbeitet man zusammen mit dem Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt an alternativen Celluloseverfahren, die Produkte erstellen sollen, die strapazierfähig, bruchfest, hydrophil und stabil sind. Letztlich schwebt allen Beteiligten die Vision vor, einen thermoplastischen Rohstoff auf Cellulosebasis zu entwickeln, der den Massenkunststoffen aus der Petrochemie ebenbürtig ist.
DIERK JENSEN
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