Binationale Ehen: Bis dass der Brexit sie scheidet
Böse Überraschung für bis zu 5.000 Berliner Brit*innen: Ihre Ehen mit Deutschen könnten nach dem Brexit annulliert werden.
Der Brexit könnte für manche Berliner*in noch ganz unerwartete Folgen haben: eine Zwangsscheidung. Nach taz-Recherchen könnten zwischen britischen und deutschen Staatsbürger*innen geschlossene Ehen mit Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union ihre Gültigkeit verlieren – wenn sie auf der Insel geschlossen wurden.
Betroffen sind nach bisherigen Schätzungen bis zu 5.000 der in Berlin lebenden 18.000 Britinnen und Briten – und ihre jeweiligen deutschen Ehepartner*innen, wie die Senatsinnenverwaltung auf taz-Anfrage antwortete. Grund ist ein EU-Beschluss, nach dem alle Mitgliedsländer Zivilehen anerkennen, die in anderen Mitgliedsländern geschlossen wurden. Für Nichtmitgliedsländer gilt der Beschluss jedoch nicht.
Der bislang einmalige Vorgang, dass mit Großbritannien ein Mitgliedstaat die EU verlassen will, beunruhigt auch die britische Community in Berlin. Nach dem Leave-Referendum droht vielen Britinnen und Briten neben der Annullierung ihrer Ehen über Nacht quasi die Illegalität, wenn sie sich nicht um ihren Aufenthaltsstatus kümmern.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte Anfang des Jahres die in Berlin lebenden Briten aufgefordert, sich möglichst schnell um eine Aufenthaltsgenehmigung zu kümmern. 8.870 Briten sind dem bislang nachgekommen und haben bis Ende März einen Aufenthaltstitel beantragt. Damals erwähnte die Innenverwaltung aber noch mit keinem Wort, dass ein Brexit auch Auswirkungen auf internationale Ehen hat.
Man sei erschüttert und bemüht, die Rechtslage zu klären und schnellstmöglich eine Lösung zu finden, heißt es nun aus der Innenverwaltung, der die Berliner Standesämter unterstehen. Diese Lösung könnte eigentlich ganz einfach aussehen: Die in Großbritannien geschlossene Ehe müsste nur von einem hiesigen Standesamt anerkannt werden – vor dem EU-Austritt der Briten. Eigentlich. Denn der Berliner Landesregierung ist es auch zur Halbzeit der rot-rot-grünen Koalition noch nicht gelungen, den eklatanten Personalmangel auf Berlins Standesämtern zu beheben. Die Wartezeiten auf Termine betragen bis zu vier Monate – zu lang selbst für einen auf den 22. Mai verschobenen Brexit.
Standesbeamte wüchsen schließlich nicht auf Bäumen, hatte erst kürzlich Pankows Bürgermeister Sören Benn (Linke) der taz erklärt. In seinem Bezirk sind die Wartezeiten besonders lang. „Es gibt in Deutschland nur eine Stelle, die Standesbeamte ausbildet“, so der Bezirksbürgermeister.
„Wir überlegen jetzt, unsere Ehe in einem anderen Bundesland anerkennen zu lassen“, sagt Birgit Miller (Name auf Wunsch geändert). Die 36-jährige Berlinerin hatte ihren Ehemann vor 15 Jahren bei einem Studienaufenthalt in Manchester kennengelernt und später auch dort geheiratet. „Wir hoffen sehr, dass wir in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern schnell genug einen Termin bekommen.“
Gezwungen, in Sünde zu leben
Diese Nachricht, dass binationale Ehen akut von Zwangsscheidung infolge des Brexits bedroht seien, war natürlich ein Aprilscherz. Auch auf der Insel geschlossene Ehen sind nach einem EU-Austritt Großbritanniens weiter gültig – mal abgesehen vielleicht von politischen Differenzen und sonstigem Ehekrach. Zwar stimmt es, das bereits über 8.800 britischen Berliner*innen eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt haben. Auch sind längere Wartezeiten in hiesigen Standesämtern nicht unüblich. Aber der Rest des Artikels „Bis dass der Brexit euch scheidet“ war frei erfunden: Weder gibt es das katholische Ehepaar Miller, das nun in Sünde leben muss, noch den 50-jährigen Briten, der zum Brexit-Fan mutiert ist, weil er keinen Unterhalt mehr zahlen muss. Gegen entstandene Aufregung helfen warmes Ale und Douglas-Adams-Zitate: Don’t panic. (taz)
Denn eine Auflösung der Ehe würde die Millers vor weitere Probleme stellen: Ihre beiden Kinder, vier und sieben Jahre alt, sind in Berlin geboren. Gelingt es den Eltern nicht, ihre Ehe noch vor dem Brexit anerkennen zu lassen, müsste auch die Vaterschaft von Birgit Millers Derzeit-noch-Ehemann neu anerkannt werden – bei einem der bezirklichen Jugendämter, die allerdings ebenfalls erheblich überlastet sind. „Eine Katastrophe“, findet Birgit Miller. Für das streng katholische Ehepaar wären eine Ehe ohne Trauschein ebenso wie uneheliche Kinder „eine Sünde“, erklärt sie.
Doch nicht alle potenziell Betroffenen sehen die Lage so dramatisch: Eine solche Zwangsscheidung „spart mir möglicherweise viel Geld“, sagt etwa ein 50-jähriger Brite, der seinen Namen lieber nicht preisgeben will. Er habe die Scheidung von seiner deutschen Ehefrau nämlich bisher nur aufgeschoben, so der bisherige Brexit-Gegner, der jetzt nach eigener Auskunft zum „Brexit-Fan“ mutiert ist. Er habe die hohen Unterhaltszahlungen für sie und vor allem die gemeinsamen Kinder nicht aufbringen wollen. Denn: „Alle drei studieren an britischen Privatunis.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“