Eine ganz besondere Berliner Uhr: Zeit in der Mengenlehre
Die Berlin-Uhr zeigt die Zeit mit bunten Lichtern. Das führte zur Entwicklung von neuen Glühbirnen. Eine kleine Uhrengeschichte zur Zeitumstellung.
Die Mengenlehreuhr, auch Berlin-Uhr genannt, war auf ihrem ursprünglichen Standort auf dem Kurfürstendamm das Gegenstück zur Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz. Während sich an dieser die verliebten Ostberliner Pärchen verabredeten, war jene für Jugendliche, die damals Mengenlehre in der Schule lernten, ein Hassobjekt, denn wenn ihre Eltern sie fragten „Wie spät ist es?“, versagten sie. Es war weltweit die erste Uhr, die die Stunden, Minuten und Sekunden bloß mit farbigen Feldern anzeigte.
Konstruiert hatte sie 1975 der Weddinger Elektronikerfinder Dieter Binninger. Zu der Zeit, als gerade neu die „Mengenlehre“ in der Schule gelehrt wurde, die Eltern sich aber bereits für die Abschaffung dieser ihre Kinder angeblich krank machenden „Mathescheiße“ stark machten, die nach dem sogenannten Sputnikschock eingeführt wurde, um auch im Westen den Nachwuchs für den Weltraum zu ertüchtigen.
Die sieben Meter hohe Mengenlehreuhr wurde in das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen und ihr Erfinder ließ sie auch noch seriell als kleine Tisch- und Wanduhr herstellen.
Die große auf dem Kurfürstendamm hatte einen Fehler: Wegen der vielen Erschütterungen durch den Verkehr hielten ihre 108 Glühbirnen weniger als die üblichen 1.000 Stunden, und Dieter Binninger hatte sich gegenüber dem Senat verpflichten müssen, sie selbst zu warten. Das hieß, er musste, wenn mal wieder wegen ausgefallener Leuchtfelder die Uhrzeit nicht zu lesen war, schnell eine Hebebühne mieten und die kaputten Glühbirnen auswechseln.
Dem Ingeniör ist nichts zu schwör
Schließlich war Binninger es leid und er wandte sich an Osram und Philips und fragte, ob sie nicht länger als 1.000 Stunden haltende Birnen hätten – für Ampeln zum Beispiel. Die hielten aber auch nicht länger.
Sommerzeit:
Es ist das nächtliche Spiel immer am letzten Sonntag im März um 2.00 Uhr: Dann werden die Uhren um eine Stunde vorgestellt auf Sommerzeit – und das macht man wieder an diesem Wochenende, am 31. März. Die Sommerzeit gilt bis Sonntag, 27. Oktober, dann bekommt man diese eine in die Zukunft investierte Stunde mit der Zurückstellung auf Normalzeit wieder zurück.
Zukunftsfragen:
Dieses Hin und Her mit dem Wechseln der Zeiten soll aber nicht ewig so weite gehen. Am Dienstag hat die Vollversammlung des Europäischen Parlaments dafür gestimmt, die Zeitumstellung in Europa im März 2021 abzuschaffen. Ob dann auf dauerhafte Sommerzeit oder dauerhafte Normalzeit gestellt wird, ist damit allerdings noch nicht geklärt. Das Spiel bleibt offen.
Dem Ingeniör ist nichts zu schwör, sagte sich Binninger und fing an, mit Glühbirnen zu experimentieren: Er veränderte ihre Wendelgeometrie, statt eines Vakuums füllte er sie mit Edelgas und in den Sockel installierte er einen Chip. Am Ende sollten seine Birnen 150.000 Stunden halten.
Die Bewag testete sie in Ampeln – und befand die „Binninger-Birnen“ schließlich für „tendenziell unsterblich“, denn ihre „Seele“, der Wolframdraht, verdampfte nicht mehr, da der Chip wie ein Dimmer funktionierte. Damit wurde Binningers Mengenlehreuhr nahezu wartungsfrei.
Aber der Erfinder ließ nicht nach: Er begann in Talkshows und Interviews eine Aufklärungskampagne gegen ein Elektrokartell, in dem Osram und Philips führend waren, und das die Lebensdauer aller Glühbirnen im Westen aus Profitgründen auf 1.000 Stunden reduziert sehen wollte.
Das Kartell schlug zurück: Als Binninger in Kreuzberg eine kleine Fabrik mit einem Arbeiter zur seriellen Herstellung seiner „Langlebensdauerglühlampen“ errichten wollte, weigerte es sich und ebenso alle von ihm abhängigen Zuliefererfirmen, Binninger Maschinenteile, Glasballons, Chemikalien, Metallsockel und Wendeldraht zu verkaufen. Dem gelang es jedoch, sich das ganze Zeug in Italien zu besorgen. Daraufhin verboten Osram und Philips ihm sein Warenzeichen Vilux, weil es zu nahe an ihren Bilux-Birnen war.
Eine Perspektive in Ostberlin
Trotz der Schikanen lief Binningers Birnenproduktion an, und immer mehr Großkunden stellten sich ein. 1991 unterschrieb Binninger zusammen mit der Commerzbank den Kaufvertrag für die Glühbirnenproduktionsstrecke von Narva in Ostberlin. Dort sollten zukünftig seine Langlebensdauerglühbirnen hergestellt werden. Aber eine Woche später stürzte er mit seinem Flugzeug bei Helmstedt ab und starb. „Beim Absturz blieb Kudamm-Uhr stehen,“ titelte die Bild-Zeitung. Gemeint war damit jedoch die kleine Mengenlehreuhr auf dem Schreibtisch einer Bild-Leserin.
Die große Mengenlehreuhr auf dem Kurfürstendamm wurde von Binningers Witwe an die Stadt verkauft, die wollte jedoch ebenso wenig wie der Bezirk für den weiteren Betrieb aufkommen, sodass man sie 1995 stilllegte.
Durch eine Initiative von Geschäftsleuten wurde die Uhr im Jahr darauf aber umgesetzt – hinter das Europa-Center neben dem Berlin Tourist Center – und wieder zum Funktionieren gebracht. Ihre durchgebrannten Glühbirnen wechselten fortan zwei Mitarbeiter der Europa-Center-Verwaltung mit einer langen Leiter aus. Auch der Verkauf der kleinen Mengenlehreuhren als Tischstand- und Wandmodell ging wieder los: durch die Rudower Firma Kindermann.
Als der Berliner Regisseur Andrew Hood 1997 seine Dokufiktion „Binningers Birne“ drehte, erklärten sich Mitarbeiter des Europa-Centers bereit, für den Kameramann so zu tun, als würden sie einige Birnen an der Mengenlehreuhr auswechseln. 2007 wurde die Uhr schließlich komplett erneuert. Außerdem wurde sie elektronisiert, das heißt, beim Umstellen auf die Sommer- beziehungsweise Winterzeit brauchte man fürderhin bloß noch kurz an einem Relais zu fummeln.
Im Europa-Center gibt es seit 1982 übrigens noch eine 13 Meter hohe Wasseruhr, diese wird mechanisch umgestellt, indem man ein Ventil öffnet.
In „Das Glühbirnenbuch“, das Helmut Höge mit Peter Berz und Markus Krajewski 2011 im Braumüller Verlag veröffentlichte, ist mehr zum Thema zu lesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!