: Im Bund mit der Geschichte
Noch prägen Ruinen das Bild der Hauptstadt Suchumi, doch in den Cafés herrscht eine erstaunliche Weltoffenheit
AUS SUCHUMI KLAUS-HELGE DONATH
„Sie sollen sich gefälligst an uns wenden“, zischt Sergei Schamba ins Telefon. Wieder war eine Beschwerde beim abchasischen Außenministerium eingegangen. Auf dem Umweg über Moskau allerdings. Eine Delegation aus Europa wartet auf die Einreise in den subtropischen Landstreifen am Schwarzen Meer. Den Visumantrag stellte sie in Moskau. „Die Europäer tun so, als gäbe es uns nicht, mal fragen sie in Moskau, mal in Tiflis an“, meint Außenminister Schamba verärgert. Solche Fälle bleiben in der Visaabteilung der Republik Abchasien natürlich unbearbeitet liegen.
Nach Lesart der Abchasen ist „Apsny“, wie sich das junge Staatswesen in der Landessprache nennt, längst ein Subjekt der internationalen Staatenwelt. Russland schenkte dem von Georgien abtrünnigen Sonnenflecken vor einem Jahr die Souveränität. Nicaragua folgte mit der Anerkennung auf dem Fuße und auch die Hamas im Gazastreifen zögerte nicht lange. Als Letzter hieß der Venezolaner Hugo Chávez die Mandarinenrepublik willkommen. Das baut auf, nutzt aber nicht viel. Mit den Freunden in Übersee, gesteht Schamba freimütig, gäbe es bislang wenige Überschneidungen. Moskau vertritt Apsnys Interessen im karibischen Raum.
Das Außenministerium ist in einem Flügel des Ministerrats untergebracht, es kommt mit ein paar Räumen auf einer Etage aus. Bescheiden geht es zu, der junge Staat gönnt sich keinen Luxus. Noch begnügt er sich mit dem kargen Interieur aus dem Nachlass sowjetischer Amtsstuben. Es ist der Preis für den selbst gewählten, 17 Jahre währenden Ausschluss aus dem Kreis der souveränen Staaten. Nach dem Sezessionskrieg gegen Georgien 1992/93 machte die Geschichte einen Bogen um den von der Natur verwöhnten Küstenstreifen. Die selbsternannte Republik sah sich zum Nichtstun verurteilt.
Wie zum Trotz schuf sich Apsny ein paralleles Universum, von dessen Existenz die Staatenwelt kaum etwas ahnte. Über die Unpo (Unrepresented Nations and Proples Organisation) stellte Abchasien Kontakt zur Außenwelt her. Hinter dem Kürzel verbirgt sich die über den Erdball verstreute Familie der nicht repräsentierten Völker. Nach dem Vorbild der UNO legte sich auch die Unpo Generalsekretär und Sicherheitsrat zu. Regelmäßig treffen sich die Beauftragten fürs Auswärtige solcher Ethnien wie der Rehoboth Basters aus Namibia, der Buffalo River Dene Nation, der laotischen Hmony oder der im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Kaschmir beheimateten Gilgit-Baltistan zu Vollversammlungen. Unpo-Mitbegründer war Schambas Vize Maxim Gwindschija.
Riskante Schutzmacht
Dass Russland als Geburtshelfer und Schutzmacht auftritt, birgt Risiken. Vom selbständigen Staat am Tropf zum Protektorat ist es nicht weit. Zumal die gemeinsame Geschichte mit dem Schutzpatron nie eine wirklich ungetrübte Liebesbeziehung war. Nach dem kaukasischen Krieg im 19. Jahrhundert flohen hunderttausende Abchasen vor den russischen Kolonisatoren in die Türkei. Um die Nachfahren dieser Flüchtlinge wirbt Suchumi heute. Noch übersäen Kriegsnarben das Stadtbild. Das Amt für Repatriierung in der Sacharowstraße jedoch wurde schmuck wieder hergerichtet.
Neben dem gewienerten Messingschild ziert Abchasiens bunte Flagge die blendend weiße Fassade. „Viele Landsleute aus der Türkei haben Interesse und erkundigen sich“, erzählt Denis, der vor 17 Jahren der Diaspora den Rücken kehrte und als Freiwilliger am Unabhängigkeitskrieg teilnahm. Nur ein Bruchteil geht das Wagnis aber auch ein, in die Heimat der Vorväter zurückzukehren. Die meisten lassen sich von der wirtschaftlichen Rückständigkeit und der ungewissen politischen Zukunft dann doch abschrecken, vermutet Denis. Wenn sie schon nicht bleiben, möchte man sie wenigstens als Investoren gewinnen. Schon um ein Gegenwicht zum russischen Kapital zu schaffen, das nur zu gern die einstige sowjetische Riviera aufkaufen würde. Noch immer klingt den Abchasen Wladimir Putins Sottise in den Ohren, der zu Besuch in Suchumi sinngemäß gesagt haben soll: Der Westen ignoriert euch, dann kaufen wir, und wenn er aufwachen sollte, verkaufen wir teuer weiter. „Putin sei Dank für die Offenheit, lustig fanden wir es nicht“, sagt Inal Chaschig, der Chefredakteur der Tschegemer Prawda.
Noch können Ausländer keine Immobilien erwerben. „Wir sind Russland für die Unterstützung dankbar, aber ob sie selbstlos war …“ Chaschig kommt ins Grübeln. „Zurzeit decken sich unsere Interessen“, meint er nüchtern. Die Beziehungen zu Russland müssten so schnell wie möglich juristisch festgeklopft werden. „Wer weiß, wie Moskau in einigen Jahren zu unserer Freiheit steht?“
Der Ort Tschegem, der dem Blatt den Namen gab, ist auf keiner Landkarte zu finden. Mit der Figur des Sandro aus dem Bergdorf Tschegem schuf der berühmteste Schriftsteller des Landes Fasil Iskander ein modernes abchasisches Epos des 20. Jahrhunderts. Sandro, der bäuerliche Held, ist eine Mischung aus Don Quijote und Schwejk. Seine Geschichten sind die Geschichte eines Untergangs. Iskander beschreibt, wie die Sowjetisierung die Bergbauernkultur zerstörte und die Gebirgler nötigte, in die Ebene zu ziehen. Dort, im ethnischen Schmelztiegel, waren sie nicht mehr die Herren im Hause. Vor diesem Hintergrund erscheint der Konflikt mit Georgien als eine unausweichliche Fortschreibung derselben Passionsgeschichte.
Chaschig ist ein Vertreter der jungen Intelligenz und bekannt wie ein bunter Hund. Während des Gesprächs schüttelt der umtriebige Mittdreißiger unentwegt Hände. Es sind Leute wie er und der Menschenrechtler Bartal Kobachija, die viel dafür getan haben, dass Abchasien nach dem Krieg nicht auf den Abweg dumpfer Bauerntümelei geriet. Trotz Isolation bewahrten sich die Intellektuellen eine erstaunliche Weltoffenheit. Chaschigs Stammcafé liegt einen Steinwurf vom Außenministerium entfernt und ist der wichtigste Umschlagplatz für Nachrichten. Wer informiert sein will, schaut wenigstens einmal am Tag auf einen türkischen Kaffee vorbei. „Ostkaffee“ heißt der hier. Wie ein Wunder haben die uralten Palmen an der Promenade die Kriegswirren überstanden, auch der üppige Oleander entfaltet die alte Pracht. Früher stieß gelegentlich noch der Präsident der Republik, Sergei Bagapsch, dazu. Mit der Souveränität ist das innenpolitische Mikroklima rauer geworden. Für Außenstehende sieht es dennoch so aus, als träfe sich eine weitläufige Verwandtschaft zur Familienfeier. Natürlich trügt die Idylle. Verwerfungen und Probleme gibt es zuhauf.
Vertrackte Verhältnisse
Bei den Tributleistungen fängt der Streit an. Gegner werfen dem Präsidenten vor, den Nachbarn eilfertig und über Gebühr belohnt zu haben. Neben langjährigen Nutzungsrechten an der Eisenbahn erhielt der Ölkonzern Rosneft die alleinige Lizenz zur Ausbeutung der Ölvorkommen vor der Küste. Dabei sei die ökologische Belastung nicht bedacht worden, moniert die Opposition. Für Abchasien, das auf den Tourismus angewiesen ist und sich von russischen Zuwendungen abnabeln möchte, ist dies lebenswichtig. Ins Fadenkreuz geriet auch das Stationierungsabkommen. Die russischen Truppen sind als Sicherheitsgaranten über alle politischen Gräben hinweg willkommen. Das neue Beistandsabkommen markiere für die meisten Menschen die Stunde null, meint Batal Kobachija. „Wir müssen keine Angst mehr haben und können endlich den Wiederaufbau angehen.“ Die Erleichterung ist nicht gespielt. Ausgerechnet Expremier Raul Chadschimba legt den Finger auf die Wunde. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen stellte ihn Wladimir Putin dem eigenständigeren Bagapsch noch als Aufpasser zur Seite. Von Beruf sei er Jurist, von Berufung aber KGB-Mann, scherzt Chadschimba im Gespräch. „Die Armee errichtet einen Staat im Staate“, behauptet er. Sei das etwa Souveränität, wenn sich die russischen Streitkräfte nicht an abchasische Spielregeln halten müssten? Kaukasische Verhältnisse, vertrackt wie sie sind.
Die Unstimmigkeit rüttelt aber nicht am gesellschaftlichen Grundkonsens: Russland ist die Garantiemacht, und kein Weg führt jemals zurück nach Georgien. Auch die Rückkehr der 250.000 georgischen Flüchtlinge ist ein Tabu. Egal, was die internationale Gemeinschaft davon halten mag.
An diesem Tag steht aber nicht die Politik im Vordergrund. Bei den Weltmeisterschaften im Freistilringen holte der Abchase Denis Zargusch den Titel. Rechtzeitig zum 16. Jahrestags des Sieges über Georgien. Der Zeitungsverkäufer am Platz der Freiheit wirbt mit dem Landsmann. Nur eins schmälere den Triumph, gesteht der Ringer: Er errang den Titel für Russland, nicht für Abchasien.
Die Abchasen denken in größeren Zeiträumen. Dass sie nach mehr als tausend Jahren wieder in einem eigenen Staat leben, bestärkt sie in dem Glauben, zu guter Letzt die Geschichte doch als natürlichen Bundesgenossen auf ihrer Seite zu haben. Apropos Historie. Geschichte und Archäologie haben den Rang von Königswissenschaften. Allein vier Institute widmen sich der Vergangenheit. Deren Kenntnis fördert auch die politische Karriere. Sergei Schamba ist nur einer von vielen promovierten Archäologen unter den Politikern. Als er die schon etwas holzstichige Arbeit zur„politischen und kulturellen Situation des antiken und mittelalterlichen Abchasiens anhand von Erkenntnissen der Archäologie und Numismatik“ aus dem Schreibtisch hervorholt, leuchten seine Augen. Das Gespräch entspannt sich. „Glauben Sie mir, wir wollen eine mehrgleisige Außenpolitik fahren“, sagt er zum Abschied. Der Wachmann im Ministerrat hebt beim Verlassen kurz den Kopf. Er ist in die Tschegemer Prawda vertieft, Chaschigs Oppositionsblatt. In Suchumi weht ein anderer Wind als in Moskau.
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