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Brutal abgeschlagen

Beim Frühjahrsklassiker Mailand–Sanremo hatten die Sprinter keine Chancen. Neuer Sieger in verdächtig hohem Tempo wurde der Bergkönig Julian Alaphilippe aus Frankreich

Alleskönner mit Kraft: Der Franzose Julian Ala­phi­lippe sprintet rechts an der Konkurrenz vorbei Foto: ap

Aus Sanremo Tom Mustroph

Der Sprint-Klassiker Mailand –Sanremo wird zum Tummelplatz für Bergkönige. Auf Ex-Tour-de-France-Sieger Vincenzo Nibali, der im letzten Jahr die Classicissima gewann, folgt in diesem Jahr der Bergkönig der Tour 2018, Julian Alaphilippe. Die Sprinter gehen bei „ihrem“ Frühlingsrennen nicht nur leer aus, die meisten kamen sogar recht abgeschlagen ins Ziel.

Mailand–Sanremo 2019 geht als Schlachtplatz der Sprinter in die Historie ein. Noch nie in der jüngeren Geschichte des 1907 erstmals ausgetragenen Frühjahrsklassikers wurden die schnellsten Männer im Peloton derart brutal in ihre Schranken verwiesen wie an diesem Samstag. Ursache war erst eine Art Mannschaftszeitfahren der Männer des belgischen Rennstalls Deceuninck Quick Step. Zwei Teamkollegen spannten sich im ersten Teil des Anstiegs vor Alaphilippe. Sie nahmen keine Rücksicht darauf, dass sie auch ihrem Co-Kapitän Elia Viviani den Zahn zogen. Der italienische Sprinter, vor dem Rennen als einer der Top-Favoriten gehandelt, fiel recht schnell aus dem Feld heraus. „Was soll es, die anderen Sprinter kamen doch auch alle nicht mit. Es lief genau nach Plan“, sagte triumphierend Davide Bramati, sportlicher Leiter des Rennstalls, der taz. Der Plan war offensichtlich: alle Kräfte für Alaphilippe. Wenn Viviani mitkommt, fein. Wenn nicht, ist es auch kein Drama. „Der Plan war, am Poggio vorn dabei zu sein und dann ein moderates Tempo für mich zu fahren oder ein sehr schnelles für Julian. Ich war nicht vorn dabei, also wurde die zweite Option gewählt“, sagte leicht säuerlich Viviani am Ende. Gemeinsam mit ihm wurde die gesamte Sprint­elite ausgeknockt, ob Fernando Gaviria oder die aufstrebenden Talente Caleb Ewan und Dylan Groenewegen. Auch die früheren Sanremo-Sieger Alexander Kristoff und John Degenkolb mussten passen. Den Frankfurter ereilte noch das Pech, dass ihm auf der Abfahrt vom Poggio die Kette vom Rad sprang. „Wir hatten noch ein paar Männer, um vielleicht die Lücke zuzufahren. Aber dann passierte das. Da bist du raus aus dem Rennen“, sagte Degenkolb der taz.

Ob es ausgerechnet ihm gelungen wäre, noch zu der enteilten 7-Mann-Gruppe aufzuschließen, ist Spekulation. Immerhin drei Fahrer, darunter Titelverteidiger Nibali, holten das Versäumte nach und schlossen in der Abfahrt noch die Lücke.

Kurz vor dem Gipfel hatte Alaphilippe die Vorarbeit seiner Teamkollegen mit einem mächtigen Antritt gekrönt. Das ganze Feld, da schon in lang gezogener Indianerreihe in den Serpentinen, war komplett gesprengt. „Dieser Rhythmuswechsel hat mir endgültig den Zahn gezogen. Ich konnte einfach nicht mehr mithalten“, bekannte Gaviria. Der Kolumbianer ist sonst kein schlechter Mann in kleinen Anstiegen. Aber dieses Tempo war selbst ihm zu hoch.

Fünf Minuten und 50 Sekunden wurden für den Poggio gestoppt. An solche Zeiten kamen die Profis selbst in den Hoch-Epo-Zeiten nur sehr selten heran. Den absoluten Rekord legte 1995 Laurent Jalabert mit 5:46 hin, drei Jahre später brauchte Alberto Elli 5:51, im Jahr 2000 Davide Rebellin 5:56. Alle drei wurden später mit Doping erwischt. Unter sechs Minuten blieb außer ihnen kaum jemand. Solosieger Vincenzo Nibali etwa brauchte im letzten Jahr 6:13 Minuten.

In jüngeren Zeiten knackte nur die Podiumsbesetzung von 2017 die 6-Minuten-Grenze. Für den späteren Sieger Michal Kwiatkowski (jetzt Dritter) wurden 5:55 Minuten gestoppt. Gleiche Zeit damals für den Zweitplatzierten Sagan (jetzt 4.) und Alaphilippe. Der damalige Dritte wurde jetzt zum Triumphator. Zur neuerlichen Verbesserung der Kletterperformance mochte Alaphilippe nichts sagen. Er verwies nur auf die tolle Teamleistung über die ersten zwei Drittel des Anstiegs und darauf, sich selbst die Kraft gut eingeteilt zu haben.

Die Sprinter müssen sich etwas einfallen lassen gegen die Kraftmaschinen

Stand jetzt bleibt nur zu konstatieren, dass die Kraftexplosion am Berg nicht nur den meisten Sprintern den Zahn zog, sondern auch deren Helfern. Dass der gerade von einem Magen-Darm-Virus genesene Peter Sagan überhaupt in die erste Gruppe fand, erheischt daher Respekt – und wiegt fast mehr als die Tatsache, dass er als nominell schnellster Sprinter der Gruppe nur Vierter wurde.

Mit Alaphilippe hat jetzt ein Mann gewonnen, der ähnlich wie Sagan ein (Fast-)Alleskönner ist: schnell im Finish, stark in den Bergen und mit Kraftreserven auch nach fast 300 km Rennstrecke. Für die nächsten Jahre sind spannende Duelle zwischen dem 26-jährigen Franzosen und dem 29-jährigen Slowaken zu erwarten.

Die Sprinter hingegen müssen sich etwas einfallen lassen, um die Kraftmaschinen aus dem Hause Deceuninck Quick Step einzuschränken. Ansonsten geht es auch bei Mailand –Sanremo zu wie bei den belgischen Klassikern. Da stellte der Rennstall zuletzt fast ausschließlich die Sieger.

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