: Wendegewinnerinnen
Ostdeutsche Frauen haben das Land verändert, sagt die Autorin Sabine Rennefanz. Ein Gespräch über Sichtbarkeit, Anpassung und Emanzipation
Sabine Rennefanz, Jahrgang 1974, arbeitet bei der Berliner Zeitung. Sie ist Autorin von „Eisenkinder“ und „Mutter to go“.
Interview Nora Strasssmann
taz am wochenende: Frau Rennefanz, eine neue Studie besagt, dass Ostdeutsche in Führungspositionen bundesweit stark unterrepräsentiert sind. Fühlen sich Ostdeutsche vernachlässigt?
Sabine Rennefanz: Ostdeutsche haben einen Bevölkerungsanteil von 17 Prozent, besetzen aber nur 1,7 Prozent der Führungsjobs. Es gibt eine strukturelle Benachteiligung von Ostdeutschen in Führungspositionen, was zu einem Gefühl der Fremdbestimmung führt. Ich finde es unglaublich, dass es keinen ostdeutschen Hochschulrektor gibt, keine Bundesrichter. Von 120 Abteilungsleitern in Bundesministerien sind nur drei ostdeutsch. Selbst in den ostdeutschen Ministerien sind die meisten Abteilungsleiter aus dem Westen. Kurz nach der Wende konnte man vielleicht noch rechtfertigen, dass viele Posten an Westdeutsche gingen. Aber 30 Jahre später? Da läuft was falsch, das merken die Leute.
Unter den wenigen Ostdeutschen in Führungspositionen sind überdurchschnittlich viele Frauen. Wie erklären Sie sich das?
Das hat mich nicht überrascht. Denn die ostdeutschen Frauen sind ja womöglich das größte Erfolgsprodukt der deutschen Wiedervereinigung. Für sie war es schon zu DDR-Zeiten selbstverständlich, Beruf und Familie zu verbinden. Ostdeutsche Frauen trugen schon in den 80er Jahren 40 Prozent zum Haushaltseinkommen bei. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit gab ihnen Selbstbewusstsein.
Würden Sie sich persönlich als Ostdeutsche identifizieren?
1990 habe ich mich überhaupt nicht ostdeutsch gefühlt. Aber mit jedem Jahr, das vergeht, fühle ich mich mehr als Ostdeutsche.
Wie kommt das?
In den 90er Jahren wurden Ostdeutsche verspottet, der Begriff Jammerossi kam auf. Es war peinlich, aus dem Osten zu sein. Ich lebte in Hamburg, und das größte Lob, das mir jemand geben konnte, lautete: Du siehst gar nicht aus wie aus dem Osten.
Wie wollten Sie sein, als die Mauer fiel?
Ich war damals 15 Jahre alt und ging in Eisenhüttenstadt zur Schule, ich wollte weg, meine Herkunft hinter mir lassen. Wenn man älter ist, merkt man aber, dass man seiner Vergangenheit nicht davonlaufen kann. Inzwischen bin ich selbstbewusster geworden und sehe meine Herkunft als etwas Positives, als etwas, das mich produktiv macht. Ich habe eine andere Perspektive, auch auf Fragen der Emanzipation und Gerechtigkeit, und eine andere Sensibilität im Hinblick auf die Frage nach sozialen Brüchen und Klassenbewusstsein.
Auf dem taz lab spricht Sabine Rennefanz über „Sehnsüchte, Enttäuschungen und Heimat aus Sicht (Ost-)Europas“: 12.15 Uhr, taz Panorama.
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