piwik no script img

„Dann haben wirin der Altenpflege verloren“

Die Tarifgemeinschaft Pflege Bremen will ihren Tarifvertrag gern für allgemeingültig erklären lassen. Das geht aber nur mit einer Änderung des Gesetzes, sagt ihr Vorsitzender Arnold Knigge

Nur das Land Bremen hat einen trägerübergreifenden Pflege-Tarifvertrag Foto: C. Schmidt/dpa

Interview Simone Schnase

taz: Herr Knigge, wie viele Mitglieder hat die Tarifgemeinschaft Pflege Bremen inzwischen?

Arnold Knigge: Wir haben erst vor Kurzem ein neues Mitglied aufgenommen, die Egestorff-Stiftung. Außerdem ist die Bremer Heimstiftung hinzugekommen, die ja ursprünglich Mitglied des kommunalen Arbeitgeber-Verbandes war. Nachdem der sich aber gegen die Allgemeinverbindlichkeit unseres Tarifvertrags gestellt hat, hat sie den Verband verlassen und ist bei uns eingetreten. Wir sind jetzt 18 Träger und arbeiten natürlich daran, unseren Kreis noch zu erweitern. Aber das ist teilweise schwierig.

Inwiefern?

Von den privat-gewerblichen Trägern ist kein einziger dabei. Von denen argumentieren einige, man habe mit dem eigenen, freiwilligen Tarifsystem ja ohnehin ähnliche Bedingungen wie der TVPfliB, also der Tarifvertrag Pflege in Bremen, aber die Bindung an einen Tarif ist natürlich etwas ganz anderes.

Und warum hat die AWO Bremerhaven hat ihre Mitgliedschaft gekündigt?

Aus wirtschaftlichen Gründen. Alle Beteiligten haben sich gefragt: Können wir das überhaupt finanzieren, kriegen wir den Tarif refinanziert von den Kostenträgern? Wir haben da große Anstrengungen unternommen. Mit der sogenannten „Bremer Erklärung“ haben wir die Sozialsenatorin, die Pflege- und die Krankenkassen aber dahinter versammeln können und alle haben sich bekannt zu dem Ziel, die Beschäftigungsbedingungen tarifvertraglich zu regeln. Trotzdem waren die Verhandlungen mit den Kostenträgern schwierig.

Welche Probleme gab es?

Im ambulanten Bereich gab es für manche Schwierigkeiten, die volle Refinanzierung ist uns dort nicht gelungen. Das Problem liegt bei den Krankenkassen. Tarifverträge im System der Pflegeversicherung gelten als gesetzt bei den Vergütungsverhandlungen. Kostenträger können Tarifverträge also nicht mit der Begründung zurückweisen, das sei unwirtschaftlich. Das steht so ausdrücklich im Gesetz. Aber in der Krankenversicherung, die für die Refinanzierung in der ambulanten Pflege zuständig ist, gab es solche Regelungen bisher nicht. Deswegen hatten wir vor allem in der häuslichen Krankenpflege, die ja rund 40 Prozent der ambulanten Pflege ausmacht, große Probleme. Das ist aber inzwischen glattgezogen, das hat die Bundesregierung auf den Weg gebracht.

Sie würden den TVPfliB gern für allgemeinverbindlich erklären lassen. Haben Sie das schon beantragt?

Ja, wir wollen das unbedingt. Aber wir haben das bereits bei dem Tarif für die Pflege-Auszubildenden versucht und eine Klatsche kassiert: Die Arbeitgebervertreter haben sich im Tarifausschuss geweigert, das zu befürworten. Das Problem ist, dass der Ausschuss paritätisch besetzt ist von den Sozialpartnern, also Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Kommt keine Mehrheit zustande, kann der Arbeitssenator keine Entscheidung fällen.

So war das beim Azubi-Tarif?

Ja. Hier muss sich etwas am System ändern, deswegen haben wir im Sommer an den Senat herangetragen, dass, wenn es zu keiner Einigung im Tarifausschuss kommt, die Politik die Freiheit haben muss, eine Entscheidung zu treffen. Aus unserer Sicht darf es kein Vetorecht geben.

privat

Arnold Knigge, 70, ist Ex-Staatsrat (SPD), Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände sowie Vorsitzender der Tarifgemeinschaft Pflege Bremen.

Dafür wäre eine Gesetzesänderung nötig – was sagt denn Herr Günthner dazu?

Erst einmal muss ich dazu sagen, dass auch die Grünen in der Bürgerschaft die Allgemeinverbindlichkeit beantragt haben und dabei von der SPD unterstützt wurden. Insofern ist der Senat in der Pflicht, hier tätig zu werden. Der Arbeitssenator ist unserem Vorstoß gegenüber sehr aufgeschlossen. Bei dem Azubi-Tarif war er ja auch bereit, ihn für allgemeinverbindlich zu erklären. Aber ihm waren die Hände gebunden. Wir haben ihm deswegen vorgeschlagen, eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes durch eine Bundesratsinitiative Bremens anzuregen und das Sozial- und das Arbeitsressort haben gesagt: Ja, wir unterstützen das.

Gab es diese Initiative inzwischen?

Inzwischen hat eine Entwicklung auf Bundesebene stattgefunden, wo es ja diese konzertierte Aktion Pflege gibt, ausgerufen von den Ministern Spahn, Heil und Giffey. Die haben gesagt: Bis nächstes Jahr wollen wir bundesweit flächendeckende Tarifverträge Pflege haben und wir fordern jetzt die Träger auf, einen Arbeitgeberverband zu gründen und mit den Gewerkschaften einen Tarifvertrag zu verhandeln, damit wir den dann auf Grundlage des Entsendegesetzes – also nicht mehr auf Grundlage des Tarifvertragsgesetzes – durch Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich erklären können. Deswegen hat Bremen bisher keine Bundesratsinitiative anschieben können.

Sind die Pläne aus dem Bundeskabinett begrüßenswert?

Ja, denn bisher gibt es nur einzelne Tarifverträge von einzelnen Verbänden. Bremen ist ja das einzige Bundesland mit einem trägerübergreifenden Tarifvertrag Pflege – so etwas gibt es sonst nirgends. Wir brauchen eine flächendeckende Regelung.

Halten Sie dennoch am ­TVPfliB und dem Wunsch nach Allgemeinverbindlichkeit fest?

Ja, denn es kann natürlich sein, dass auf Bundesebene nur auf niedrigerem Niveau ein Konsens zustande kommt. Und da müssen wir weiterhin den Spielraum haben, ergänzende tarifliche Verbesserungen beschließen zu können. Und die sollten dann möglichst flächendeckend allgemeinverbindlich werden.

Wie sind Ihre Prognosen für die Zukunft der Altenpflege?

„Beim Senatist das Thema angekommen, die politische Unterstützung ist da“

Im Jahr 2023 kommt der erste Jahrgang aus der neuen, generalistischen Pflegeausbildung auf den Arbeitsmarkt. Wenn wir es nicht schaffen, bis dahin die Angleichung an die Tarife des öffentlichen Dienstes hinzubekommen, dann also noch immer ein Ungleichverhältnis in den Beschäftigungsverhältnissen herrscht, dann ist doch klar, wo die Fachkräfte hingehen. Und dann haben wir in der Altenpflege verloren.

Sämtliche Verbesserungen gehen finanziell zu Lasten der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen oder des Sozialamts. Ist der Beitrag zur Pflegeversicherung zu niedrig für gute Pflege?

Mit Sicherheit wird der Beitragssatz steigen müssen. Hamburg hat ja Ende Februar eine Bundesratsinitiative zur Deckelung der Eigenanteile von Pflegebedürftigen erarbeitet, der auch Bremen sich angeschlossen hat: Danach soll der Eigenanteil für einen Pflegeplatz, ähnlich wie bei einer privaten Teilkaskoversicherung, immer gleich bleiben und der Rest soll von der Pflegeversicherung getragen werden. Momentan steigt der Eigenanteil immer weiter mit jeder Verbesserung, die ins Pflegesystem kommt. Das kann so nicht bleiben und diese Initiative ist sehr zu begrüßen. Das bedeutet natürlich, dass alles unterm Strich teurer wird und man wird sich darüber unterhalten müssen, ob man, ähnlich wie in der Kranken- oder Rentenversicherung, einen Bundeszuschuss in die Pflegeversicherung etabliert und wie hoch dann die Beiträge steigen.

Was müsste der Senat neben den Initiativen auf der Bundesebene für eine bessere Pflege tun?

Beim Senat ist das Thema angekommen, die politische Unterstützung ist da. Wir beobachten die Entwicklung auf Bundesebene sehr genau und wenn wir den Eindruck haben, dass es dort nicht wirklich vorangeht, werden wir den Senat auch wieder ansprechen, damit Bremen Dampf macht. Wir warten nicht auf die Entwicklung auf Bundesebene, sondern verhandeln aktuell mit Ver.di den TVPfliB 2. Wir müssen hier die regionale Karte in der Hand behalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen