Auch Berlin will mehr Zeltlager wagen

Die Linke will Flächen für staatlich organisierte Obdachlosencamps zur Verfügung stellen. Vorbild dafür ist das amerikanische Seattle, wo es Camps aus Zelten und Tiny Houses bereits gibt

Tent-Cities wie dieses Camp im US-amerikanischen Seattle könnten Vorbild für Berliner Zeltlager sein. In Seattle wohnen Obdachlose nicht nur Zelten, sondern auch, wie hier zu sehen, in Tiny Houses Foto: Stapleton/reuters

Von Antje Lang-Lendorff

Grüne, graue und braune Igluzelte reihen sich aneinander. Statt auf dem nackten Boden stehen sie auf Holzpaletten, dicht an dicht. Manche wurden mit blauen Planen überzogen, gegen den Regen. Zwischen den Zelten verlaufen Gänge, dahinter wachsen Bäume. Was aussieht wie ein gut organisierter Campingplatz ist eine Tent-City in Seattle, Washington: Bis zu 100 Obdachlose kommen dort unter. Jörg Richert, Geschäftsführer des sozialen Trägers Karuna aus Berlin, hat sich die Zeltstadt vor Ort angeschaut – und war angetan. „Das ist sehr ordentlich da und hochgradig selbstverwaltet“, berichtet er.

Staatlich organisierte Camps für Obdachlose – für Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) ist das auch eine Option für Berlin. „Zuallererst geht es darum, die Realität zur Kenntnis zu nehmen“, schreibt sie in einem am Mittwoch veröffentlichten Papier. Für viele der Obdachlosen in Berlin kommen die Angebote der Wohnungslosenhilfe nicht in Frage, weil sie als EU-BürgerInnen von Leistungen ausgeschlossen sind, Tiere haben oder psychisch nicht in der Lage wären, in Notunterkünften zu leben. Sie nächtigen draußen. „Sobald sich aber größere Camps bilden, ist der Staat angehalten, die Nutzung des öffentlichen Raums für alle Menschen sicherzustellen“, so Breitenbach.

Die Sozialsenatorin schlägt deshalb vor, dass Berlin „sichere Plätze“ definiert, von denen Obdachlose nicht vertrieben werden. Dort soll es Toiletten ebenso geben wie eine Müll­entsorgung. Geht es nach Breitenbach, stellt das Land für diese Orte Grundstücke und Ressourcen zur Verfügung, etwa auch Duschmöglichkeiten. In einem Interview hatte die Senatorin zuvor von „Zeltstädten“ gesprochen, in dem jetzt veröffentlichten Papier meidet sie den Begriff. Dort heißt es: „Für mehr als 100 Menschen sollten diese Plätze jeweils nicht ausgelegt sein, von ‚Zeltstädten‘ kann also keine Rede sein.“

Ihre Sprecherin Regina Kneiding betont: „Es geht immer um eine temporäre Lösung.“ Drei bis sechs Monate könnten die Menschen in den Zelten leben. In dieser Zeit sollen SozialarbeiterInnen Beziehungen zu ihnen aufbauen, um sie an die Angebote der Wohnungslosenhilfe heranzuführen und ihnen vielleicht sogar eine legale Beschäftigung zu vermitteln. Die „sicheren Plätze“ könnten an mehreren Stellen in der Stadt entstehen, sagt Kneiding. „Wir wollen keine großen Camps haben, es soll überschaubar sein.“ Sie müssten gut erreichbar sein, aber nicht mitten in der Stadt liegen. „Eine Grünfläche in Mitte ist dafür sicherlich nicht der geeignete Ort.“

Staatlich eingerichtete Camps wären eine von mehreren Neuerungen in der Obdachlosenhilfe: So will die Sozialverwaltung die Menschen auf der Straße an einem Stichtag erstmals zählen lassen, um verlässlichere Zahlen zu Obdachlosen zu bekommen. Zudem soll eine Taskforce von SozialarbeiterInnen eingerichtet werden, darunter ehemalige Obdachlose, die Betroffene vor Ort aufsuchen und Hilfen anbieten.

Breitenbach will zudem einen berlinweit einheitlichen Umgang mit Obdachlosencamps im öffentlichen Raum. Dazu hat die Sozialverwaltung eine Arbeitsgruppe mit VertreterInnen von Senat und Bezirken eingerichtet. Die diskutieren am heutigen Freitag auch über die Einrichtung von Zeltplätzen wie in Seattle.

Die Grünen reagierten skeptisch auf Breitenbachs Vorstoß. „Wir sollten uns weniger Gedanken über Notlösungen wie Zeltstädte machen, wir brauchen vor allen Dingen mehr Unterkünfte“, sagt Stefan Ziller, Sprecher für Armutsbekämpfung. Bislang sind die Bezirke dafür zuständig, Unterkünfte für Wohnunglose bereitzustellen – sie schicken sie teils in Hostels, weil es zu wenig Heimplätze gibt. Ziller fordert, diese Zuständigkeit bei der Sozialverwaltung zu bündeln und das auch gesetzlich zu verankern: „Die Debatte über Zeltstädte verschiebt nur das Problem.“

Stefan Ziller, Grüne

Wenn bestimmte Gruppen Einrichtungen mieden, müsse man sie eben öffnen, etwa für Menschen mit Hunden, sagt Ziller. In München könnten Obdachlose in Unterkünften auch Alkohol konsumieren. „Für so etwas muss man keine Zeltstädte schaffen“, sagt Ziller. Camps bergen seiner Meinung nach auch die Gefahr, dass sie dauerhaft bleiben.

VertreterInnen von sozialen Trägern begrüßten den Vorschlag Breitenbachs dagegen. Immer wieder würden Ordnungsämter Camps räumen, die Obdachlosen wichen dann an eine andere Stelle aus, sagte Robert Veltmann vom sozialen Träger Gebewo. Die Idee, diese Entwicklung durch ausgewiesene Plätze mit Sanitäranlagen, Kochmöglichkeiten, Müllabfuhr und sozialarbeiterische Betreuung zu kanalisieren, sei sinnvoll. „So kann man den Leuten einen Platz bieten.“ Zeltlager aufzustellen hätte für Veltmann noch einen weiteren Vorteil: „Auf jeden Fall geht es schneller, als neue Unterkünfte zu bauen.“

Jörg Richert von Karuna sieht das ein bisschen anders. Er war von der Zelt-Stadt in Seattle zwar beeindruckt. Aber er sagt: „In Seattle ist es im Winter nicht so kalt.“ In Berlin würde er deshalb für eine Unterbringung in sogenannten Tiny Houses, also in kleinen mobilen Häuschen, plädieren. Dann wäre eine Ergänzung des bisherigen Hilfsangebots um vier bis fünf dieser Plätze eine gute Sache. Richert sagt: „Auch eine selbstverwaltete Unterkunft mit Hostelcharakter würde mir viel mehr gefallen als Zelte.“